Musik: Offenbach, "Orpheus in der Unterwelt", Ouvertüre
Die letzte Inszenierung von Offenbachs wohl bekanntester Operette "Orpheus in der Unterwelt" 2005 am Kölner Opernhaus endete in einem Fiasko: Sie wurde nach wütenden Protesten von Publikum und Kritik, die das Ganze schlichtweg als inakzeptabel bezeichneten, nach nur wenigen Aufführungen vom Spielplan genommen – ein in der Geschichte des Hauses am Offenbach-Platz seltener Vorgang. Zwar lieben die Kölner Opernfans durchaus die Musik des Komponisten; dennoch ist das Verhältnis der Stadt zu ihrem prominenten Sohn nicht ganz ungetrübt.
Köln und das Offenbach-Jahr 2019
Nicht nur an der Opernbaustelle am Offenbach-Platz, sondern auch andernorts in Köln hängen Plakate zum Offenbach-Jahr 2019. Neben dem Slogan "Yes, we can can" stellt die Kölner Offenbach-Gesellschaft darauf auch die gar nicht mal so banale Frage: "Wer ist Jacques Offenbach?" Die, so hofft Claudia Hessel, Pressekoordinatorin der Gesellschaft, ist zum Ende des Jahres dann hoffentlich beantwortet:
"Das wäre schon für mich persönlich das Minimalziel, dass in Köln Jacques Offenbach zumindest als Kölner wahrgenommen wird, wenn man hier in Köln, sag ich mal, eine nicht repräsentative Umfrage im Freundeskreis macht und vor allem auch bei jüngeren Menschen, dann kann man ganz schnell sehr viel Geld verdienen, wenn man darauf wettet, wer war Jacques Offenbach. In erster Linie sagen sie alle, er ist ein Franzose gewesen, und wenn man dann sagt, er war ein Kölner, dann hat man schon die Wette gewonnen."
Offenbach zwischen den deutsch-französischen Fronten
Wie sein älterer Kollege Giacomo Meyerbeer geriet auch Jacques Offenbach zwischen die deutsch-französischen Fronten: Der in Paris gefeierte Komponist wurde im Geburtsland eher misstrauisch beäugt. Nach dem Krieg 1871 verschmähten die Franzosen ihn als Deutschen, während er hierzulande als Franzose galt. Seine jüdische Abstammung führte ab 1933 im nationalsozialistischen Deutschland zu einem Aufführungsverbot seiner Werke; damit verschwand Jacques Offenbach nicht nur landesweit von den Bühnen, sondern auch weitgehend aus dem Gedächtnis seiner Geburtsstadt.
Die Rückbesinnung auf ihn fiel den Kulturschaffenden nach 1945 offenbar nicht leicht, sagt Professor Hans-Georg Bögner, Geschäftsführer der SK Stiftung Kultur in Köln und Vorstandsmitglied der Kölner Offenbach-Gesellschaft:
"Die Offenbach-Tradition an deutschen Bühnen allgemein, das ist ja nicht nur Köln, war nicht sehr stark. Die Bundesrepublik hat ja mit vielen Dingen, die während der NS-Zeit verboten waren oder als 'entartet' bezeichnet wurden, worunter ja auch Offenbach drunter fiel, sich schwer getan, sie nach dem Krieg wieder hoch zu holen. Bei aller Sympathie für die Musik von Offenbach, die ja in ihrer Leichtigkeit, in ihrer Fröhlichkeit, in ihrer Art, wie sie die Stimmung transportiert, ja unglaublich gut ins Rheinland passt, was man aber verstehen muss, ist diese Gesellschaftskritik, die Offenbach in seinen Stücken aus dem 19. Jahrhundert verarbeitet hat. In die heutige Zeit zu übertragen, und das ist nicht einfach und da sind viele dran gescheitert. Deswegen hat man sich da nicht so rangetraut, und ich hoffe, dass wir da zu einer Renaissance beitragen."
Musik: Offenbach, "Pariser Leben", Walzer
Köln und das Problem der Leichtigkeit
Nach dem Ende des Krieges setzte Köln auf das Image einer modernen Metropole mit Jahrtausende langer Geschichte und lebendigem Brauchtum. In Sachen Kultur und Musik präsentierte man sich aufgeschlossen, intellektuell und fortschrittlich: In den 50er-Jahren avancierte Köln beispielsweise zu einem wichtigen Zentrum der zeitgenössischen Musik. Gleichzeitig dienten Karneval und rheinische Fröhlichkeit als Aushängeschilder der Tourismusbranche. Die Verbindung zwischen Vergnügen und Seriosität mache den Kölner Kulturschaffenden offensichtlich immer noch zu schaffen, sagt Claudia Hessel:
"Es dreht sich immer wieder um die Frage des Problems der Leichtigkeit, möchte Köln weg von dem Image, immer die leichte, feiernde fröhliche, oberflächliche Stadt zu sein, oder möchte sie die tiefgründige, ernsthafte, kulturell Maßstäbe setzende Stadt sein. In diesem Spannungsfeld bewegt sich meiner Meinung nach auch immer wieder unser Jacques Offenbach. Er ist natürlich ein Operettenkomponist, aber die Sinnhaftigkeit hinter Operetten ist noch nicht diskutiert worden, noch nicht auf diesem Niveau, dass man es wirklich auch tatsächlich als ernsthaftes Genre akzeptieren kann als Kölner."
Köln erinnerte sich nur langsam an Offenbach
Interessanterweise scheint das ein spezifisch kölsches Problem zu sein; denn in Düsseldorf oder Bonn funktioniert die Verknüpfung von ernster und leichter Muse in den dortigen Opernhäusern wesentlich besser. An Offenbach erinnerte sich Köln nur langsam: Der Platz vor der neuen Oper erhielt erst nach kontroversen Debatten im Laufe der 60er-Jahre den Namen "Offenbach-Platz" - wobei damit nicht nur an den Komponisten, sondern auch an seinen Vater erinnert wurde, der als Kantor in der 1938 von den Nazis zerstörten alten Synagoge gewirkt hatte.
Sehr viel später erhielt das Gebäude, das an der Stelle von Offenbachs 1870 abgerissenen Geburtshaus steht, eine Gedenktafel. Und 1991 wurde eine Statue des Komponisten an der Außenfassade des Rathausturms angebracht. In jüngster Zeit hat das Bewusstsein für Jacques Offenbach aber zugenommen – was 2015 zur Gründung der Kölner Offenbach-Gesellschaft führte; Hans-Georg Bögner:
"Dann haben wir in der Stadtgesellschaft rumgehört, und plötzlich sagten alle, ja das verstehen wir auch nicht, wieso gibt es das denn nicht. Und es haben sofort sehr viele mitgemacht, auch Prominente, die beiden ehemaligen Oberbürgermeister und und und, und haben gesagt, das machen wir mit und das muss, und deswegen hat diese Offenbach-Gesellschaft in relativ kurzer Zeit so Fahrt aufgenommen und hat dieses fulminante Programm zusammenbekommen."
Ende des Jahres wird die "Feierstaffel" an Bonn weitergereicht, das 2020 das Beethoven-Jubiläum zu dessen 250. Geburtstag begeht. Man darf gespannt sein, welches Bewusstsein die Kölner dann zu ihrem Jacques Offenbach entwickelt haben.
Musik: Offenbach, "Orpheus in der Unterwelt", Ouvertüre