Dienstag, 16. April 2024

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Jürgen Hardt (CDU)
"Menschenunwürdige Situationen in libyschen Flüchtlingslagern"

Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, befürwortet eine Wiederaufnahme der europäischen Marinemission Sophia vor Libyens Küste. Es müsse dann allerdings eine klare Vereinbarung geben, wie mit den geretteten Flüchtlingen umzugehen wäre, sagte er im Dlf.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.01.2020
12.12.2019, Berlin: Jürgen Hardt (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages, spricht zur aktuellen Stunde zu den Ergebnissen des Normandie-Gipfels. Die Hauptthemen der 134. Sitzung der 19. Legislaturperiode sind die Wiedereinführung der Meisterpflicht in mehreren Handwerksberufen, betriebliche Altersvorsorge, eine Debatte über fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung und eine Aktuelle Stunde zum Pariser Ukraine-Gipfel. Foto: Fabian Sommer/dpa | Verwendung weltweit
Jürgen Hardt (CDU) ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion (picture alliance / dpa / Fabian Sommer)
Die deutsche Außenpolitik steht seit Sonntag auf einmal weltweit im Rampenlicht. Es gibt eine Menge internationales Lob für die Libyen-Konferenz in Berlin, die die Bundesregierung ausgerichtet hat. Dieses Lob kommt natürlich vor allem für das Ergebnis: eine Waffenruhe in diesem Konflikt, der schon viele Jahre andauert. Auch diese Waffenruhe kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zukunft Libyens weiter offen ist, auch weil viele Fragen nach wie vor ungeklärt sind. Vor allem die ganz große Frage, wer das überwachen soll, wenn sich die Konfliktparteien dort tatsächlich entschließen, die Waffen niederzulegen.
Am Telefon ist Jürgen Hardt von der CDU. Er ist außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag:
Armbrüster: Herr Hardt, wer soll einen Waffenstillstand in Libyen überwachen?
Hardt: Wir haben im Augenblick Waffenruhe. Der erste Schritt als Ergebnis dieser Konferenz müsste ein dauerhafter Waffenstillstand sein. Und der kann natürlich nur dann stabil sein, wenn auch tatsächlich ein Waffenembargo verhindert, dass die Konfliktparteien weiter aufgerüstet werden. Ich glaube, da kann die Europäische Union konkret etwas leisten. Wir haben ja die Marineoperation Sophia, die ja zum einen das Ziel hatte, das Waffenembargo zu überwachen, zum zweiten das Ziel hatte, die libysche Küstenwache auszubilden, und zum dritten auch Seenotrettung gemacht hat. Diese Operation ist im Augenblick ausgesetzt, die ist auf Stabsarbeit beschränkt. Es gibt gegenwärtig keine Schiffe, die dort im Einsatz sind. Und ich fände es gut, wenn die Bundesregierung, wenn die Europäische Union darüber reden würde, insbesondere mit den Italienern, ob wir diese Mission zumindest in der Form, wie sie bisher war, wieder aufnehmen und dann gegebenenfalls bereit stehen und sie vielleicht auch für andere Teilnehmer öffnen, wenn tatsächlich eine UN-Resolution die Ergebnisse bekräftigt, die in Berlin am Sonntag erreicht worden sind, und davon darf man ja ausgehen.
"Wir unterstützen die Staaten der Sahelzone"
Armbrüster: Das heißt, solch eine europäische Schutztruppe, die sollte sich beschränken auf eine Marinemission? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Hardt: Ich glaube, das ist ein erster Schritt, den wir liefern können. Die Frage, ob weitere Schritte möglich und nötig sind, stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt, ich sage fast, leider nicht, denn in dem Augenblick, wo wir konkret als Europäische Union oder als Deutsche entscheiden müssten, ob wir auch mit Soldaten oder Polizisten an Land zum Einsatz kommen, das würde ja gleichzeitig bedeuten, dass der Berliner Prozess erfolgreich weitergeführt wird und dass es konkrete Schritte gibt. Ich würde mir wünschen, dass wir eines Tages dazu kommen, dass die UN ein Mandat erteilt, wie man dem libyschen Friedensprozess auch vor Ort helfen kann. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das allerdings Spekulation, was da geschehen kann. Ich glaube allerdings, dass bereits heute wir als Europäische Union die Afrikanische Union und die Staaten südlich Libyens unterstützen sollten bei ihren Bemühungen, ihrerseits auch dann bereit zu stehen, ein entsprechendes Embargo zu überwachen.
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Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi herrscht in Libyen Bürgerkrieg. Im Zentrum des Konflikts stehen die international anerkannte Einheitsregierung unter Fayez as-Sarradsch und ihr Gegenspieler, General Khalifa Haftar. Ein Überblick.
Armbrüster: Sie sagen, es ist alles Spekulation. Aber muss man sich nicht möglichst frühzeitig Gedanken über solche grundsätzlichen Fragen machen? Was wollen Sie tun, wenn sich tatsächlich herausstellt, es funktioniert mit der Waffenruhe und daraus wird ein Waffenstillstand? Spätestens dann müsste ja eigentlich irgendjemand bereit stehen, um zu sagen, gut, wir überwachen das.
Hardt: Es gab ja bereits vor einigen Jahren, als wir noch optimistischer waren, dass dieser Libyen-Konflikt vielleicht doch schneller beigelegt werden könnte, Bemühungen einzelner europäischer Staaten, insbesondere der Italiener, die meines Wissens doch in vierstelliger Zahl Polizeikräfte, Carabinieri-Kräfte ausgebildet haben, um gegebenenfalls in Libyen die reguläre Sarradsch-Regierung zu unterstützen beim Staatsaufbau. Ich glaube, wenn eine solche Mission der Europäischen Union eines Tages stattfindet, sollte auch Deutschland dabei sein. Aber wir tun auch bereits heute eine Menge, denn wir unterstützen die Staaten der Sahelzone in ihrer Stabilisierung. Wir haben diese Marineoperation mit Eunavfor Med Sophia sozusagen. Wir machen wirtschaftliche Hilfe vor Ort, 77 Millionen zivile Hilfe, die an die Regierung in Tripolis geflossen ist in den letzten Jahren. Wir sind eigentlich auch mit verschiedenen Elementen bereits beteiligt. Aber Sie haben völlig recht: In dem Augenblick, wo es ein UN-Mandat für eine stabilisierende Mission für Libyen gibt, muss Deutschland prüfen, wie man sich beteiligen kann, und ich glaube, da werden wir als Deutsche auch nicht außen vor stehen können.
"Menschenunwürdige Situationen in libyschen Flüchtlingslagern"
Armbrüster: Was würden Sie denn sagen? Wie kann sich Deutschland da beteiligen?
HaMenschenunwürdige rdt: Eines der drängendsten Probleme vor Ort aus unserer Sicht ist ja die Situation der Flüchtlinge in Libyen. Wir kriegen ja immer wieder beunruhigende Berichte über die menschenunwürdigen Situationen in libyschen Flüchtlingslagern. Wenn wir zum Beispiel für die libyschen Flüchtlingslager zu einer Situation kämen, wie sie in anderen Staaten der Region für Flüchtlinge gewährleistet ist, nämlich Lagereinrichtungen, die unter UN-Mitwirkung auch bestimmte Mindeststandards garantieren, die wir aus Gründen der Menschenwürde für unbedingt notwendig erachten, dann könnte ich mir schon vorstellen, dass auch Europa, die Europäische Union ihrerseits einen Beitrag dazu leistet, dass diese Flüchtlingslager in dieser Form in Libyen gestaltet werden. Denn am Ende des Tages haben wir ja auch gesagt, wir können nur dann tatsächlich Personen, die über das Mittelmeer aus Libyen Richtung Europa fliehen, guten Gewissens nach Afrika zurückführen, wenn wir auch sicherstellen können, dass diese Menschen dort menschenwürdig behandelt werden. Und dann müssen wir auch unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Einrichtungen dann so sind, wie wir uns das vorstellen.
Armbrüster: Das heißt, Herr Hardt, eher einen humanitären Ansatz bei so einer Truppe? Deutschland, die Bundeswehr wäre nicht dabei, wenn es tatsächlich darum geht, zum Beispiel konkret Waffenniederlegungen zu kontrollieren oder auch die Einhaltung des Waffenembargos, Waffenlieferungen?
Hardt: Das Waffenembargo würde ja von Landseite sicherlich am ehesten kontrolliert werden durch die Staaten der Afrikanischen Union, die Anrainerstaaten, und von Seeseite durch eine Marineoperation, wie ich sie bereits beschrieben habe, die Eunavfor med Sophia, die man ja im Zweifel auch für andere Teilnehmer außerhalb der Europäischen Union öffnen kann und daraus etwas Substanzielles machen kann, was weiter geht als das, was bis heute der Fall ist. Wenn es um Maßnahmen an Land geht, glaube ich, dass am Ende des Tages die libysche Regierung Unterstützung beim Aufbau von Polizei- und Sicherheitskräften braucht und Unterstützung möglicherweise bei dem Betrieb, dem Unterhalt und dem Schutz von entsprechenden Flüchtlingslagern. Aber ob da ganz konkret auch deutsche Soldaten eines Tages zum Einsatz kommen, das hängt von vielen Faktoren ab, die man zum jetzigen Zeitpunkt, glaube ich, nicht abschließend verifizieren kann.
"Wir brauchen einen selbsttragenden libyschen Prozess"
Armbrüster: Von welchen Faktoren denn zum Beispiel?
Hardt: Dass es ein UN-Mandat gibt für eine solche Operation, dass es im Land einen dauerhaften funktionierenden Waffenstillstand gibt, dass dort Aufständische nicht mit gezückter Waffe durchs Land laufen, und dass tatsächlich der politische Prozess, der ganz wichtig ist, nämlich die Aussöhnung der Konfliktparteien im Lande, so gestaltet ist, dass er tatsächlich auch das Land befriedet und nicht den Konflikt nur unter der Decke hält. Ich glaube, wir brauchen einen selbsttragenden libyschen Prozess und keinen, der nur dadurch zustande kommt, dass von außen Druck ausgeübt wird. Das Land ist wohlhabend, das Land hat reiche Erdölquellen, das Land könnte den Wiederaufbau mit entsprechender Unterstützung, aber doch finanziell aus eigenen Mitteln stemmen. Und es geht darum, dass man die Kräfte im Land dazu bewegt, sich diesem Prozess zu stellen und sich das Geld nicht in die eigene Tasche zu stecken. Das war ja bisher ein Teil, der eine Ursache für den Konflikt war, dass viele sich einfach nur bereichert haben.
Armbrüster: Herr Hardt, ich höre jetzt aus Ihren Antworten und aus Ihren Worten generell, dass es da eine große Zurückhaltung gibt, wenn es darum geht, über Bundeswehrsoldaten bei einem möglichen Einsatz einer Schutztruppe in Libyen zu sprechen. Da sind Sie ja in einer Reihe mit vielen anderen Politikern aus Berlin, die wir seit Sonntag hören. Ist das nicht genau die große Gefahr, wenn es diese zögerliche Haltung von Seiten Deutschlands und auch von Seiten der Europäischen Union gibt, dass dann andere Akteure, die schneller agieren, die auch wirklich williger sind und die sich auch schneller entscheiden, dass die dann das Sagen haben in Libyen? Sie haben Italien schon erwähnt. Das ist natürlich nur ein kleineres Beispiel. Aber wir haben natürlich auch das Beispiel Russland, das Beispiel Türkei. Ist das nicht genau die Gefahr?
Hardt: Russland ist ja mit Söldnertruppen dort vertreten. Davon bin ich überzeugt. Das sind Kräfte, die von Russland finanziert werden. Die türkische Regierung hat ja ebenfalls Söldner, die sie finanziert, auf der Seite der regulären Regierung in Tripolis. Auch diese Unterstützung muss natürlich eingestellt werden, oder münden in eine entsprechende UN-mandatierte Operation. Ich glaube allerdings, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Union sehr schnell in der Lage sind zu sagen, was wir bereit sind zu tun. Allerdings, finde ich, muss klar die Anforderung an eine solche Schutzmission formuliert werden, damit wir entsprechend bewerten können, ob wir als Bundesrepublik Deutschland da einen Beitrag leisten können. Die völkerrechtliche Grundlage muss eindeutig sein. Es muss einen Sinn machen, gegebenenfalls auch mit Soldaten dort den Frieden zu sichern. Und die Bundeswehr muss Ausrüstung haben, die geeignet ist, da einen Beitrag zu leisten. Wenn diese drei Bedingungen erfüllt sind – und das wird sich in den nächsten Wochen herausstellen, wenn die entsprechenden Anfragen kommen -, dann bin ich dafür, dass wir das machen. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir allerdings noch nicht, ob überhaupt die Konfliktparteien zu einem Deal kommen, der dazu führt, dass eine solche unterstützende Truppe der Völkergemeinschaft im Land willkommen ist und auch einen sinnvollen Beitrag zur Stabilisierung des Landes leisten kann.
"Eunavfor med Sophia ist damals letztlich an Salvini gescheitert"
Armbrüster: Dann lassen Sie uns über die Marinemission Sophia sprechen. Die ist ja möglicherweise sehr viel schneller wieder in Einsatzfähigkeit zu bringen, beziehungsweise dieses Mandat soll ja verlängert werden, steht in den kommenden Wochen möglicherweise auf der Tagesordnung. Für wie realistisch halten Sie das, dass dieses Projekt, das ja schon mal totgesagt war, noch mal neues Leben gewinnt, diese Marinemission zur Überwachung des Waffenembargos, aber natürlich auch zur Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge im Mittelmeer?
Hardt: Es war noch das dritte Element, nämlich die Ausbildung der libyschen Küstenwache, die ja auch dadurch extrem erschwert war, dass es nicht zu einer Entwicklung von staatlichen Strukturen, wie wir das erwartet hatten unter der Regierung Sarradsch, gekommen ist. Aber das könnte ja konkret jetzt ein Ergebnis dieses Prozesses sein, dass tatsächlich eine libysche Küstenwache aufgebaut wird, der man vertrauen kann und wo man guten Gewissens auch Ausbildungsleistung erbringen kann.
Eunavfor med Sophia ist damals letztlich an Salvini gescheitert, am damaligen italienischen Innenminister, dem Rechtspopulisten, der sich geweigert hat, weiter die Schiffbrüchigen aufzunehmen, die Eunavfor med Sophia natürlich an die Küsten der Europäischen Union gebracht hat. Es muss meines Erachtens dafür eine klare Vereinbarung geben, wie mit dann den möglicherweise einigen hundert oder vielleicht sogar einigen tausend Flüchtlingen umzugehen ist, die im Rahmen dieser Operation als Schiffbrüchige gerettet werden. Ich glaube aber, dass das erreichbar ist, und es müsste dann auch klargestellt werden, dass man genügend militärische Fähigkeiten hat, auch einzelne Schiffe konkret aufzubringen und zu kontrollieren, ob sie Konterbande, entsprechendes Embargomaterial an Bord haben. Das hat bisher nur sehr beschränkt stattgefunden, vor allem konzentriert auf Schlepperschiffe. Da muss die UN einen entsprechenden Rahmen bieten, der dann auch völkerrechtlich die Rückendeckung für alle Beteiligten gibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.