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Jürgen Trittin fordert gemeinsame EU-Wirtschafts- und Steuerpolitik

Jürgen Trittin unterstützt den Vorschlag von Euro-Gruppen-Chef Juncker, in der Eurozone gemeinsame Anleihen - sogenannte Euro-Bonds - einzuführen. Die Union müsse ihre "realwirtschaftlichen Ungleichgewichte" abbauen.

10.12.2010
    Christoph Heinemann: Der Euro ist ins Gerede gekommen, Stichworte der Debatte: Euro-Bonds, Wirtschaftsregierung, Aufgabe nationaler Souveränität. Zwei Wortmeldungen aus dieser Sendung dieser Woche: Zunächst der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof.

    O-Ton Paul Kirchhof: Je mehr wir Zwischenebenen wie etwa eine Wirtschaftsregierung Europas einschieben würden, wäre diese unmittelbare parlamentarische und damit demokratische Verantwortlichkeit geschwächt und das wäre im Grunde eine Verletzung oder zumindest eine Gefährdung des Demokratieprinzips.

    Heinemann: Und der frühere CDU-Außenpolitiker Karl Lamers:

    O-Ton Karl Lamers: Die Wirklichkeit ist doch, dass wir ein immer enger verflochtenes, voneinander abhängiges Europa nicht nur haben, sondern eine immer enger voneinander abhängige, immer enger zusammenwachsende Welt. Also ein solcher Rückzug in das nationale Schneckenhaus ist katastrophal.

    Heinemann: Wie weiter mit dem Euro? Guter Rat ist in dieser Frage teuer, leider nicht nur im übertragenen Sinne, denn die Spekulationen gegen tatsächliche oder vorgeblich schwächelnde EU-Staaten sind nicht beendet und das bewirkt, Albtraum jedes Häuslebauers, die Kreditzinsen für Staatsanleihen steigen. Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident von Luxemburg, schlägt deshalb Euro-Bonds vor, gemeinsame Anleihen starker und schwacher Länder.
    Am Telefon ist Jürgen Trittin, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Guten Morgen.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Trittin, sollen wir für die Schulden der anderen zahlen?

    Trittin: Wir sollen uns auf einem gemeinsamen Markt bewegen und einen gemeinsamen Markt kann es nur geben – übrigens ein Markt, von dem die Bundesrepublik Deutschland am meisten profitiert von allen EU-Staaten -, wenn man bestimmte Regeln beinhaltet, und eine gemeinsame Währung kann nur funktionieren mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Steuerpolitik. Das ist der richtige Gedanke, der hinter dem Papier und dem Vorschlag von Herrn Juncker steht. Es gibt übrigens gegen die These, dass eine europäische Anleihe, die ja nicht alle Staatsschulden übernimmt, sondern nur einen Teil übernehmen soll, dass dieses zinssteigernd wirkt, auch ein wichtiges Gegenargument. Diese europäischen Bonds würden einen sehr viel größeren Markt darstellen und dieser größere Markt wäre natürlich zinssenkend. Das heißt, es gibt gegenläufige Bewegung hier.

    Heinemann: Herr Trittin, Sie sind ein gefragter Mann, man hörte gerade Ihr Handy. Bitte gerade im Augenblick nicht Jürgen Trittin anrufen, er ist gerade bei uns im Interview. – Noch mal die Frage zurück zu Beginn: Sollen wir für die Schulden der anderen zahlen?

    Trittin: Nein. Es geht nicht darum, dass Deutschland für die Schulden anderer zahlt. Das ist übrigens auch noch nicht einmal wahr, dass die Verschuldung von Staaten Ursache der Krise des Euro ist. Diese Ursache liegt neben einer überbordenden Staatsverschuldung beispielsweise in Griechenland in einer überbordenden Verschuldung privater Haushalte Spaniens, in einer spekulativen Entwicklung des irischen Finanzsektors, von dem übrigens deutsche Unternehmen lange hochgradig profitiert haben. Das heißt, es liegt in realwirtschaftlichen Ungleichgewichten, und deswegen ist es notwendig, dass innerhalb der Europäischen Union es zu einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik kommt, die diese realwirtschaftlichen Ungleichgewichte tatsächlich abbaut.

    Heinemann: Das Stichwort lautet Wirtschaftsunion. Was muss man sich denn darunter vorstellen? Wer wählt die und was soll die tun?

    Trittin: Nun, wir haben europäische Institutionen und der Vorschlag, der jetzt hier gemacht wird, ...

    Heinemann: Welche meinen Sie? Entschuldigung! Welche europäischen Institutionen meinen Sie jetzt?

    Trittin: Nun, wir haben eine Europäische Zentralbank und diese soll – das ist ja der Vorschlag von Herrn Juncker – ergänzt werden durch eine europäische Schuldenagentur, die wiederum dafür sorgen kann, dass zum Beispiel auch im Bereich der Haushaltspolitik ein höheres Maß an Disziplin erreicht wird als dieses zurzeit geschieht, etwa in einem sehr komplizierten Verfahren über eine Stiftung nach Luxemburger Recht und mit Hilfe des IWF im Rahmen des europäischen Rettungsschirms. Dieses ist im Grunde genommen eine Aufforderung an die Märkte oder diejenigen, die auf diesen Märkten spekulieren, sich immer wieder einzelne Länder rauszupicken und gegen sie zu spekulieren und so Zinsen hochzutreiben. Das wäre bei einer gemeinsamen oder einer teilweise gemeinsamen Euro-Anleihe sehr viel schwieriger, weil dieses natürlich ein sehr viel größerer Markt darstellt. Wir würden also die Vorteile des Währungsraums auch auf die Frage der Kreditvergabe übergeben.

    Heinemann: Wir haben eben Paul Kirchhof gehört, der sagt, das unmittelbare parlamentarische demokratische Verantwortlichkeitsprinzip würde geschwächt und damit auch das Demokratieprinzip gefährdet.

    Trittin: Das ist eine, wenn ich das sagen darf, zutiefst nationale und nicht europäische Betrachtungsweise.

    Heinemann: Das ist eine juristische Betrachtungsweise vor allem!

    Trittin: Denn natürlich geht es immer um die Frage der Übertragung von Hoheitsrechten. Wer also so etwas erreichen will, der muss dieses dann auch der Kontrolle mit des europäischen Parlamentes unterstellen. Das ist doch selbstverständlich, das kann nicht Angelegenheit bloß einzelner Regierungen bleiben. Nur das ist in meinen Augen der richtige und der einzig mögliche Weg. Die Alternative wäre übrigens die Renationalisierung nicht nur der Frage von solchen Kompetenzen, sondern im Grunde genommen die Aufgabe des Euro. Diese Situation wäre aber ökonomisch gerade für Deutschland eine Katastrophe.

    Heinemann: Herr Trittin, noch mal zurück zu dieser Wirtschaftsregierung. Wie kann ich als Bürger die von Ihnen gerade eben skizzierte Wirtschaftsregierung abwählen, wenn mir deren Kurs nicht passt?

    Trittin: Indem zum Beispiel über die Mitwirkung des europäischen Parlamentes eine andere Entscheidung, eine andere Gesetzgebung mit herbeigeführt wird.

    Heinemann: Ändert aber nichts an der Institution!

    Trittin: Es ist ja nicht so – und das alles weiß Herr Kirchhof auch – verfassungsrechtlich eindeutig geregelt. Hoheitsrechte dürfen auf Europa nur übertragen werden, wenn sie demokratisch kontrolliert werden, das heißt in der Verantwortung auch und gerade des europäischen Parlamentes sind. Die müssen mitentscheiden, unter anderem darüber, dass Sanktionen ausgegeben werden. Der heutige Zustand ist ein Skandal. Wir geben jetzt 60 Milliarden in den Rettungsfonds für Irland und das europäische Parlament hat hierzu nichts zu sagen, auch übrigens der deutsche Bundestag nicht. Hier ist das Demokratiedefizit, nicht bei mehr Europa.

    Heinemann: Noch mal zurück zu dieser Wirtschaftsregierung. Eine kleine Kostprobe von dem, was sie darunter versteht, hat die französische Finanzministerin Christine Lagarde abgegeben, die ja nicht müde wird zu wiederholen, Deutschland solle mehr konsumieren, höhere Löhne zahlen und weniger exportieren.

    Trittin: Das ist doch eine gute Botschaft für die deutschen Arbeitnehmer, die seit über 10 Jahren mit Reallohnverlust zu tun haben!

    Heinemann: Nein! Da lacht vor allem der Chinese!

    Trittin: Wie bitte?

    Heinemann: Da lacht der Chinese, würde ich sagen.

    Trittin: Ich glaube nicht, dass der Chinese da lacht, wenn deutsche Fensterputzer statt 4 Euro 8, 9 Euro verdienen. Das wäre eine entscheidende Behebung der Binnenmarktschwäche. Und Fenster werden auch nicht in China produziert.

    Heinemann: Wenn Lohnstückkosten steigen, dann werden Exporte teuerer und sie sinken damit.

    Trittin: Das ist eine, um Herrn Juncker zu zitieren, simple Logik. Wir haben einen hoch profitablen Exportsektor in Deutschland. In diesem Bereich werden die allerhöchsten Löhne übrigens in ganz Europa bezahlt und trotzdem haben wir dort niedrige Lohnstückkosten. Wir haben aber einen ausufernden Billiglohnanteil im Bereich von Dienstleistungen, und deswegen haben wir nicht zu viel Exportschwäche, sondern eine zu niedrige Binnennachfrage, und dies ist ein Teil des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts, was mit zu der Krise in Europa beigetragen hat. Deutschland kann sich nicht einfach von einer solchen Entwicklung abkoppeln, nicht in einem Raum gemeinschaftlicher Währung, von dem wir als Deutsche am meisten profitieren.

    Heinemann: Jürgen Trittin, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Trittin: Ich danke Ihnen!

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