Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Jugendsachbuch über Afrika
Geschichte eines bunten Kontinents

Vor zehn Jahren schrieb Lutz van Dijk eine erste Geschichte Afrikas. Seither ereigneten sich große politische und wirtschaftliche Umwälzungen. So schwoll die Neuauflage seines Porträts "Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents" nicht nur um den doppelten Umfang an, sondern van Dijk sammelte auch zahlreiche Stimmen von Afrikanern, die seinem Buch unmittelbare Frische verleihen.

Von Thomas Linden | 26.09.2015
    Bevor es Supermärkte gab, kauften wir im Tante-Emma-Laden ein, dem Erbe des Kolonialwarenladens. Ein Wort, das niemanden aufhorchen ließ, dabei stellten die Waren das konkrete Ergebnis einer Ausbeutung der afrikanischen Rohstoffvorkommen durch europäische Konzerne dar. Europa bediente sich der afrikanischen Ressourcen nach Belieben und teilte den Kontinent unter seinen Großmächten auf.
    Zu einem Dialog auf Augenhöhe zwischen den Handelspartnern ist es nicht gekommen, sodass uns bis heute ein differenziertes Bild Afrikas fehlt. Schon der Name des zweitgrößten Kontinents der Erde kommt uns so selbstverständlich über die Lippen, als sei Afrika ein Land. Ein Irrtum, dem selbst die amerikanische Präsidentschaftskandidatinnen Sarah Palin schon aufsaß. Tatsächlich aber verteilen sich eine Milliarde Menschen auf 54 Staaten, in denen offiziell mehr als 2.000 Sprachen gesprochen werden.
    Jetzt legt der in Berlin geborene Niederländer Lutz van Dijk mit seinem Buch "Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents" eine historische Bestandsaufnahme vor. Aber warum muss ein Europäer die Geschichte Afrikas niederschreiben?
    "Damit legen Sie den Finger genau auf den wunden Teil der Geschichte dieses Kontinents. Dass zu lange Europäer die Geschichte nicht nur in schlimmster Form mitbestimmt haben, sondern sie auch geschrieben und damit festgelegt haben, was gut und schlecht ist. Es gibt erst seit 50 Jahren Ansätze afrikanischer Historiker und Historikerinnen, daran etwas zu ändern, die hier noch viel zu wenig wahrgenommen werden. Mein Buch ist nicht aus europäischer Sicht geschrieben, sondern ich habe darin versucht, die vielfältigen Stimmen durch die Jahrhunderte von Afrikanern zu versammeln, ihnen eine Plattform zu geben. Und ich hoffe und wünsche und träume davon, dass die nächsten Geschichtsbücher auch ohne einen europäischen Herausgeber stattfinden werden."
    Lutz van Dijk arbeitete als Lehrer in Hamburg und gehörte später zum Team des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam. Bis 1994 hatte er Einreiseverbot in Südafrika. Nicht, weil er eine Heldentat begangen hätte, wie er schmunzelnd erzählt, sondern dazu genügte schon eine Unterschriftensammlung für Amnesty International. 1997 kam er zum ersten Mal nach Kapstadt, seit 2001 lebt er dort und gründete eine Stiftung, die sich für HIV-infizierte Kinder engagiert.
    Ein facettenreiches Buch, das die Historie mit leichter Hand über Themen und Personen transportiert, legt Lutz van Dijk vor. Sein Titel "Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents" klingt fröhlich und unbedarft. Das Gegenteil ist der Fall. Van Dijks Biografie des Kontinents setzt vor 500 Millionen Jahren ein und erstreckt sich von den Dinosauriern bis ins 21. Jahrhundert. So früh zu beginnen ist wichtig, weil uns dadurch bewusst wird, dass die Wiege der Menschen in Afrika stand.
    Der Niederländer rekonstruiert, wie Afrika von den Europäern zerschnitten wurde, er recherchiert den Sklavenhandel und die Aufstände der Zulu und Herero gegen Briten und Deutsche als Reaktion auf grausame Formen der Unterdrückung. Dass der Weg der Befreiung vieler Länder seit 1945 ebenfalls blutgetränkt ist, schildert er im zweiten Teil. Van Dijk erzählt von denen, die sich wie Leopold Sédar Senghor aus dem Senegal, Thomas Sankara aus Burkina Faso oder die Nobelpreisträgerin Wangari Maathai aus Kenia für ein selbstbestimmtes Afrika einsetzten. Und er gibt eine Vorstellung von den Mechanismen der Diktaturen, die im Norden, Westen, Osten und Süden des Kontinents eine Landkarte des Terrors hinterlassen haben.
    Aber van Dijk will nicht nur historische Tatsachen resümieren, wie es die Europäer immer getan haben. Die Afrikaner kommen selbst zu Wort in Texten von Amma Dako aus Ghana, Ben Okri aus Nigeria, Mostaffa Diallo aus dem Senegal oder David Kato aus Uganda. Als zentrales Phänomen afrikanischen Lebens zieht sich dabei der Begriff des Teilens wie ein roter Faden durch das Buch. Eine der unermüdlichen Kämpferinnen für soziale Gerechtigkeit ist für Lutz van Dijk die aus Mosambik stammende Graca Machel, Nelson Mandelas zweite Ehefrau:
    "Ihre Idee von Gerechtigkeit hat vor allen Dingen das Bruderwort Teilen. Teilen nicht im Sinne von Wohltätigkeit, von dem was im Englischen Charity genannt wird, wo Leute, die sehr viel haben ein bisschen abgeben, um zu befrieden, aber nicht, um Gerechtigkeit herzustellen. Die Idee, die sie vertritt mit Teilen ist eine der Teilhabe, ist eine von Partnerschaft, ist eine, wo Strukturen so verändert werden, dass man nicht mehr Armut bekämpft, sondern arme Menschen ihre Situation selbstständig verändern können und sich aus der Armut befreien können. Das ist eine Idee, die mich berührt, die ich sehr gut finde, weil sie sich in viele Länder übersetzen lässt."
    Afrika scheint am Beginn einer neuen Epoche zu stehen. Neben dem arabischen Frühling ist eine der beherrschenden Entwicklungen der Gegenwart das enorme wirtschaftliche und militärische Engagement Chinas in Afrika. Lutz van Dijk sieht in der Abkehr von den Strategien des kolonialen Ausverkaufs einen hoffnungsvollen Ansatz zur Vernunft.
    "Die größte Hoffnung sehe ich darin, dass international verstanden wird, dass schlichte Ausbeutung sich auf Dauer überhaupt nicht lohnt. Das Interessante ist, dass China mehrheitlich in 48 Ländern von 54 Ländern mit sehr vielen Projekten präsent ist. Dass es sich aber nicht rentiert, nur Rohstoffe dort auszubeuten, sondern man muss auch Angebote machen, damit dies langfristig für beide Seiten einen Vorteil haben kann."
    China hat die Handelsbeziehungen zu den afrikanischen Staaten ausgebaut und im Gegensatz zu den Europäern die Einfuhrzölle für afrikanische Güter fast auf null gesenkt. Zehntausende von Studienplätzen wurden für Afrikaner geschaffen. Angesichts der Tatsache, dass 50 Prozent der Bevölkerung des Kontinents jünger als 18 Jahre sind, stellt sich die Frage, worin die Möglichkeiten einer solchen demografischen Entwicklung für die afrikanischen Gesellschaften bestehen könnten?
    "Die Chancen sind eindeutig darin zu sehen, dass diese vielen, vielen jungen Leute eine ganz unglaubliche Energie und Kreativität mitbringen. Diese vielen jungen Leute und bei uns im Township, wenn Sie hereinfahren, sehen sie, die Straße ist voll von jungen Leuten, die Fußballspielen, die kleine Sachen verkaufen, die miteinander handeln, die ihre Musik natürlich begeistert hören: Wenn das genutzt wird, hat der Kontinent wirklich ein Wachstum, wenn das ignoriert wird oder zu lange dauert, kann es auch umschlagen und zu weiterer Verzweiflung, Gewalt, zum Teil auch Terrorismus führen."
    Lutz van Dijk erzählt nicht mit einem Panoramablick, sondern bedient sich der ständigen Wechsel von Perspektiven, Themen, Personen und Ereignissen. So entsteht ein lebendiges Werk, das sich mit seinen umfangreichen Quellenangaben, dem Register und einer ausführlichen Zeittafel ausgezeichnet als Nachschlagewerk eignet, das zu weiterer Recherche einlädt.
    Ein Sachbuch nicht nur für Jugendliche, das sich gut liest, weil es stets aus der Anerkennung und der Bereitschaft schöpft, vom anderen zu lernen. Lutz van Dijk zeigt uns, dass Afrika über einen eigenen Reichtum verfügt, der sich anders als der europäische definiert. Van Dijks Kinderprojekt entwickelte sich über die Jahre hinweg in eine neue Dimension, nachdem mithilfe der Eltern im Township ein Gymnasium gegründet werden konnte. Afrika hat Zukunft, Lutz van Dijk gibt uns eine Ahnung davon, wenn er von seiner südafrikanischen Heimat erzählt.
    "Wenn Sie schon das Schulgebäude sehen, mit der Graffiti in verschiedenen afrikanischen Sprachen, die besagt: Wir werden es schaffen. Das ist übrigens der Name des Townships. In der Sprache Xhosa, der afrikanischen Sprache, die in unserer Gegend bei uns am Ostkap gesprochen wird, heißt Masiphumelele – Wir werden es schaffen. Dieses Potenzial zu nutzen, diesen Willen vieler junger Leute, etwas aufzubauen, etwas beizutragen, wenn der genutzt wird, dann bestehen unendliche Chancen."
    Lutz van Dijk: "Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents. Neu erzählt mit afrikanischen Stimmen"
    Peter Hammer Verlag, 320 Seiten, 22,00 Euro.