
Nach wie vor werden Frauen in unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Beispielsweise gibt es in Deutschlands Privatwirtschaft kaum Topmanagerinnen. Zudem verdienen Arbeitnehmerinnen durchschnittlich noch immer 16 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die bereinigte Differenz, bei der Unterschiede in Qualifikation und Berufen berücksichtigt werden, beträgt sechs Prozent.
Etwas anders sieht das Verhältnis mit Blick auf die Schulbildung aus.
Laut Bundesbildungsministerium sind Männer bei den Schulabgängern ohne Abschluss deutlich überrepräsentiert. Männliche Heranwachsende machen auch etwas seltener Abitur als weibliche. Welche Rückschlüsse ziehen Fachleute daraus? Wie könnte man gegensteuern?
Worin unterscheiden sich Mädchen und Jungen in der Schule?
Vor allem bei niedrigen Bildungsabschlüssen sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. In der Gruppe der Schulabgänger und -abgängerinnen, die nicht mindestens einen Hauptschulabschluss erreicht haben, waren im Jahr 2023 mehr als 60 Prozent männlich, hingegen nur knapp 40 Prozent Frauen.

Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen auch: Unter den 18- bis 24-Jährigen, die höchstens die Mittlere Reife erlangt und keine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben, sind zunehmend häufiger Männer als Frauen.

Auch bei den Wiederholungsquoten gibt es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern: Im Schuljahr 2023/2024 waren 56 Prozent der Schüler, die eine Klasse wiederholen mussten, männlich. An Universitäten und sonstigen Hochschulen waren Studierende, die Prüfungen endgültig nicht bestanden hatten, sogar zu zwei Dritteln Männer.
Warum haben Jungen seltener höhere Schulabschlüsse?
Zu den Ursachen haben Forscher verschiedene Hypothesen.
Geschlechterspezifische Sozialisation
Erziehungswissenschaftler Jürgen Budde macht unter anderem fest in der Gesellschaft zementierte Geschlechterstereotype dafür verantwortlich, dass Jungen im Durchschnitt einen geringeren Bildungserfolg haben als Mädchen. So gelte Anstrengungsbereitschaft in der Schule häufig als unmännlich, was „so etwas wie eine gewisse Lässigkeit im Angesicht von schulischen Anforderungen" mit sich bringe.
Bettina Hannover und Karen Ollrogge forschen im Bereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. Die Wissenschaftlerinnen betrachten Geschlechterstereotype ebenfalls als mitverantwortlich dafür, dass Jungen bei den Schulleistungen oft schlechter abschneiden als Mädchen.
Geschlechterstereotype würden dazu führen, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Vorstellungen von den eigenen Fähigkeiten entwickeln, so die Forscherinnen in einem schriftlich geführten Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung. „So halten sich beispielsweise Jungen für sportlich kompetenter als Mädchen, die sich wiederum für sprachlich kompetenter halten als Jungen“, schreiben die Expertinnen. Als Folge daraus sehen die Forscherinnen eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: Ausgelöst durch Geschlechterklischees, steigern Jungen und Mädchen ihre Anstrengung in genau eben diesen Bereichen. Das führe in der Konsequenz auch real zu besseren Kompetenzen im jeweiligen Bereich beziehungsweise Schulfach.
Die Geschlechterstereotype könne sich laut den Forscherinnen aber auch als Motivationsbremse auswirken. Durch das Stereotyp vom männlichen Schulversager würden Jungen in Fächern wie Deutsch, die als Domäne der Mädchen gelten, negativ beeinträchtigt.
Dazu passen Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU-Studie 2021). Die Studie bescheinigt Mädchen durchschnittlich besser zu lesen als Jungen. Mädchen seien höher motiviert - und schätzten ihre eigene Kompetenz auch besser ein.
Anpassungsschwierigkeiten bei Jungen
Einen weiteren Grund sehen Forscher in gewissen Anpassungsschwierigkeiten bei einem Teil der Jungen. Schulen seien darauf angewiesen, dass Schüler mitarbeiten und etwas lernen wollten, so Erziehungswissenschaftler Budde. Sie müssten bereit sein, die schulischen Leistungsordnungen anzuerkennen und in der Lage sein, "sich zu dem, was an Verhalten erwünscht ist, ins Verhältnis setzen." Budde: "Und das ist sicherlich etwas, was einem Teil der Jungen schwerer fällt als einem großen Teil der Mädchen.“
Unterschiede im Lern- und Sozialverhalten
Die Psychologinnen Ollrogge und Hannover erklären Notenunterschiede zwischen den Geschlechtern zudem mit Unterschieden im Lern- und Sozialverhalten. So könnten Mädchen besser selbstgesteuert lernen als Jungen. Außerdem würden sie ein positiveres Arbeitsverhalten an den Tag legen und hätten mehr Selbstdisziplin.
Welche Gegenmaßnahmen werden diskutiert?
Um die durchschnittlichen schulischen Leistungen von Jungen und denen von Mädchen anzugleichen, befürworten Wissenschaftler verschiedene Maßnahmen.
Unterschiedliche Lernmotivation der Geschlechter anerkennen
Um dem negativen Einfluss von Geschlechtsstereotypen entgegenwirken zu können, müssten Pädagogen sich den Unterschieden etwa in der Lernmotivation, der Selbsteinschätzung und den Kompetenzen von Jungen und Mädchen bewusst sein und deren Ursachen kennen, so Bettina Hannover und Karen Ollrogge gegenüber der Bundeszentrale für politische Bildung.
Wichtigkeit der Unterrichtsleistung deutlich machen
Jürgen Budde meint, Schüler, aber auch Schülerinnen, bräuchten einen Unterricht, der anregend ist, „einen Unterricht, der deutlich macht, warum es sinnvoll ist, sich daran intensiv zu beteiligen.“
Lehrkräfte sollten Schülern öfter klar machen: „Das hier ist wichtig, hier geht es um entscheidende Fragen. Das ist interessant für dich und die Gesellschaft.“ Diese Relevanz mit verschiedenen Unterrichtsmethoden deutlich zu machen, zeitige einen besseren Erfolg als die Suche nach einer ausschließlich jungengerechten Methode.
Selbstgesteuertes Lernen fördern
Jungen orientieren sich oft am Idealbild des „Effortless achievers“, so Ollrogge und Hannover. Gemeint ist damit die Vorstellung, man könne in der Schule erfolgreich sein, ohne sich dafür (sichtbar) anstrengen zu müssen. "Lehrkräfte und Eltern sollten daher insbesondere Jungen darin unterstützen, dass sie zu autonomen, selbstgesteuerten Lernern werden", so die Forscherinnen. Sie sollten Zwischenziele verdeutlichen, regelmäßig Feedback zum Lernprozess geben und dabei darauf achten, dass sie Fleiß und Anstrengungsbereitschaft statt Begabung als Ursache für gute Leistungen hervorheben.
jma