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Kaiser's Tengelmann
"Die Zerschlagung wird sich nicht aufhalten lassen"

Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Roeb sieht keine Möglichkeit mehr, die Zerschlagung von Kaiser's Tengelmann aufzuhalten. Dafür macht er im DLF unter anderem die Differenzen zwischen den Unternehmenschefs von Edeka und Rewe verantwortlich. "Wenn sich die beiden gut verstünden, hätte man wahrscheinlich schon eine Lösung gefunden."

Thomas Roeb im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 14.10.2016
    Die Leuchtbuchstaben einer Kaiser's-Filiale hängen in Düsseldorf an einem Gebäude.
    Die Leuchtbuchstaben einer Kaiser's-Filiale hängen in Düsseldorf an einem Gebäude. (dpa-Bildfunk / Wolfram Kartl)
    Ann-Kathrin Büüsker: Gestern Abend um 20 Minuten vor sechs - das ist die Zeit, in der viele Arbeitnehmer gerade ihre Feierabendeinkäufe erledigen und so mancher sicher auch gerade in einem Kaiser’s Tengelmann Markt an der Kasse stand. Zu dieser Zeit kam sie, die Nachricht, dass der Konzern wohl zerschlagen wird. Die möglichen Käufer Edeka und Rewe konnten sich nicht einigen. Ein letztes Gespräch, das für morgen angesetzt war, das wird wohl nicht stattfinden. Und weil die Zeit wegläuft, will Tengelmann-Besitzer Haub jetzt die Reißleine ziehen und das Unternehmen abwickeln. Das ist ein Schlag ins Gesicht der rund 15.000 Beschäftigten.
    Die berufliche Zukunft von rund 15.000 Menschen steht auf dem Spiel, wenn Kaiser’s Tengelmann zerschlagen wird - vielleicht, weil ein dickköpfiger Familienunternehmer aufs falsche Pferd gesetzt hat? Darüber möchte ich mit Professor Thomas Roeb sprechen, den wir ja eben schon im Beitrag gehört haben. Er ist Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rheinsieg. Guten Tag, Herr Roeb.
    Thomas Roeb: Guten Tag!
    Tengelmann-Chef Haub hat seine Vorstellungen nicht umsetzen können
    Büüsker: Herr Roeb, wieso fährt ein Familienunternehmer sein Unternehmen so vor die Wand, wie Herr Haub es mit Tengelmann getan hat?
    Roeb: Das ist natürlich jetzt sehr provokant formuliert. Dass er das Unternehmen absichtlich gegen die Wand fährt, das möchte ich ihm sicherlich nicht unterstellen. Es ist allerdings so, dass er eine Vorstellung davon hatte, wie es mit dem Unternehmen weitergeht, und diese Vorstellung bestand darin, dass das Unternehmen "en block" an die Edeka-Gruppe verkauft wird und damit ja dann auch die Arbeitsplätze für einige Jahre gesichert worden wären, und diese Vorstellung, die hat er nicht umsetzen können. Ich denke, dass die Entwicklung ihn auch überrascht hat, denn dass er die Ministererlaubnis kriegen würde, so was kann man im Vorfeld erfragen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, wenn. Das ist kartellrechtlich wohl gar nicht so unüblich. Wenn man eine kartellrechtlich so problematische Situation hat, wie sie hier bei Edeka und Tengelmann ja vorlag, und der allergrößte, mit Abstand größte soll noch einen Klarnamen dazu nehmen, dann konnte man ja an fünf Fingern abzählen, dass das ein Problem geben würde und dass man sich in so einer Situation beim Ministerium erkundigt, ob da eine gute Chance besteht für eine Minister-Sondererlaubnis. Die hatte man ihm wohl angekündigt, nehme ich jedenfalls an. Dann hätte das durchaus durchgehen können. Womit er nicht gerechnet hat, weil das gar nicht so ohne weiteres zu erwarten war, dass das Gericht diese Sache kippen würde auf Antrag der Rewe. Da hat, glaube ich, Rewe selber nicht so richtig mit gerechnet. Und damit ist alles zusammengestürzt, dieser ganze Plan.
    Büüsker: Aber das Bundeskartellamt hatte ja von Anfang an signalisiert, Freunde, so geht’s nicht. Das hätte man doch mit einberechnen müssen.
    Roeb: Ja! Ich sagte ja gerade: Das Kartellamt, das war ja klar, dass das nicht klappt. Aber er hatte sich da wohl im Vorfeld schon erkundigt beim Ministerium, ob er diese Ausnahmegenehmigung kriegen würde, weil er ja absehen konnte, dass es mit dem Kartellamt nicht klappt, und dieses Signal muss er wohl bekommen haben. Ja, das Ministerium muss ihm in irgendeiner Weise signalisiert haben, ja, Du hast gute Chancen, das zu kriegen.
    Büüsker: Warum hat er sich denn so an diesem Verkauf als Paket festgehalten? Warum gerade das?
    Roeb: Weil nur dieser Verkauf als Paket - das muss man schon von beiden Seiten aus sehen - für ihn, denke ich, den höchsten Ertrag bringt, aber vor allen Dingen auch für die Mitarbeiter die Sicherheit bringt. Von diesen 16.000 Mitarbeitern - ich schätze das jetzt mal - arbeiten vielleicht 8000 in Filialen, die attraktiv und profitabel sind. Der Rest sitzt irgendwo in der Verwaltung oder in Filialen, die nicht profitabel sind. Legen Sie mich nicht auf die Zahlen genau fest von den Größenordnungen her. Und wenn jemand dieses Unternehmen "en block" übernimmt und eine Arbeitsplatzgarantie ausspricht, so wie das von der Ministererlaubnis ja verlangt gewesen ist, dann kann der das nur tun, wenn er die Verluste, die sich daraus ergeben, über einen gewissen Zeitraum trägt und die dann gegenrechnet mit den Gewinnen, die er kurz-, aber vor allen Dingen auch langfristig in den profitablen Filialen bekommt.
    "Wirtschaftliche Lage des Unternehmens hat sich stark verschlechtert"
    Büüsker: Um das noch mal kurz zusammenzufassen. Sie gehen davon aus, dass Herr Haub eigentlich nur das Beste für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter im Sinne hatte?
    Roeb: Ja. Dass er das Beste für das Unternehmen und auch für sich selber natürlich im Sinne hatte, was in dem Fall, glaube ich, gar nicht so unterschiedlich gewesen wäre, das unterstelle ich schon. Vielleicht ist es allerdings auch so, dass er noch mehr Geld bekommen hätte, wenn er den Laden, wie es jetzt ja auch passiert, komplett dichtmacht und die ganzen Altlasten, die finanziellen Probleme und so weiter, die es gibt, die werden jetzt im Rahmen eines Sozialplans abgewickelt - auch gut.
    Büüsker: Das heißt, er kommt da letztlich dann doch ganz gut bei weg?
    Roeb: Das weiß ich jetzt noch nicht, weil ja jetzt zwischenzeitlich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und damit auch der Standorte sich stark verschlechtert hat. Auch damit hat er wahrscheinlich, glaube ich, nicht gerechnet, dass das so schnell so rapide nach unten gehen würde. Die Verluste haben sich ja vervier- oder verfünf- oder versechsfacht.
    Büüsker: Gucken wir mal ganz kurz konkret auf die Tengelmann-Märkte. Wir haben in dieser Sendung schon einen Kunden gehört, der gesagt hat, na irgendwie sind diese Märkte auch nicht mehr so schön, es ist alles irgendwie verkommen. Es gibt Berichte von Kunden, die sich darüber ärgern, dass man in den Märkten immer wieder auch vergammeltes Zeug findet, dass das gesamte Konzept von Tengelmann eigentlich nicht mehr so richtig up to date ist. Hat Haub da in den letzten Jahren auch sein Unternehmen schlichtweg vernachlässigt?
    "Dieser Effekt, den wir jetzt sehen, kommt nicht unerwartet"
    Roeb: Nicht der Haub. Wenn überhaupt, dann wär es vielleicht der Vater gewesen. Weil Tengelmann ist in den 70er-, 80er-Jahren noch einer der namhaften Spieler im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel gewesen und ist dann in den 90er-Jahren soweit abgedriftet, dass das Unternehmen kurz vor der Insolvenz stand. Der ganze Konzern stand vor dem Zusammenbruch. Das haben die mit großer Mühe und Engagement und so weiter noch drehen können, speziell den Hauptumsatzträger damals, die Discount-Kette Plus. Dort war zweimal der Manager gewechselt worden und der letzte, der hat dann den Dreh geschafft, ein gewisser Herr Hürter. In diesem Zusammenhang ist ja auch der jetzt nicht mehr ganz so junge, aber damals eben junge Herr Haub, der Sohn, in die Führungsposition reingerutscht und hat das dann versucht zu drehen, und Teil dieser noch andauernden Bemühungen, das Unternehmen, das jetzt wieder gut dasteht, zu sanieren, war auch die Trennung von Verlustbringern, von denen man nicht das Gefühl hatte, dass man die noch mal profitabel bekommt. Dazu gehörten Produktionsanlagen, die den Kern, den historischen Kern des Unternehmens darstellen. Davon hat er sich getrennt. Und auch Filialen. Kaiser’s Tengelmann ist ja schon runtergedampft worden. Deren Filialnetz war ja schon viel größer. Aber die haben immer noch Verluste gemacht, die waren zu klein und die Filialen zu schlecht, und im Prinzip kommt dieser Effekt, den wir jetzt sehen, nicht unerwartet. Das Unerwartete ist, dass es so lange gedauert hat.
    Büüsker: Dann versuchen wir jetzt, vielleicht gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Sehen Sie noch eine Möglichkeit, wie Kaiser’s Tengelmann vor der Zerschlagung bewahrt werden kann?
    Roeb: Wenn es so ist, wie ich einfach mal ins Blaue hinein spekuliert habe, dass hier noch mal auf höchstem Niveau gepokert wird und ein Öffentlichkeitsdruck auf den jeweils anderen ausgeübt werden soll, dann könnte es sein, dass die beiden Platzhirsche hier in dem Fall sich in letzter Sekunde vielleicht doch noch einigen. Denn selbst wenn er jetzt nächste Woche dazu übergeht, die Sachen verkaufen zu wollen, dann ist ja nicht sofort jemand da, der es auch nimmt. Aber die Zerschlagung als solche wird sich dennoch nicht aufhalten lassen. Sie kommt dann halt nur später, in fünf oder sechs Jahren, wenn die Arbeitsplatzgarantie ausläuft.
    "Vielleicht einigen sie sich noch auf den letzten Drücker"
    Büüsker: Und Sie rechnen damit, dass Edeka und Rewe sich tatsächlich noch mal irgendwie zusammenraufen können, weil Branchenkenner sprechen da ja tatsächlich von so etwas wie einer persönlichen Feindschaft zwischen den Unternehmenschefs?
    Roeb: Das, glaube ich, kann man sagen, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, dass es da eine deutliche Antipathie zwischen den beiden gibt, wobei ich nicht sagen kann, von welcher Seite aus sie stärker entwickelt ist. Man hatte den Eindruck, dass Herr Haub Herrn Caparros weniger mag als umgekehrt, aber das ist ja im Prinzip jetzt auch unerheblich. Ich glaube nicht, dass man es auf diese persönliche Ebene komplett reduzieren darf, aber ich bin sicher, wenn die beiden sich gut verstünden, dass man wahrscheinlich schon eine Lösung gefunden hätte. Aber jetzt ist es halt so wie es ist. Vielleicht einigen sie sich noch auf den letzten Drücker, aber im Moment sieht es wohl doch eher danach aus, dass es nicht dazu kommt.
    Büüsker: Vielen Dank für diese Einschätzungen, Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Vielen Dank für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
    Roeb: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.