Aber eben auch Kompositionen, die man nur selten live hören kann: die "Fünf Melodien op.35", eine Sonate für zwei Violinen aus Prokofjews mittlerer Schaffensphase und eines seiner letzten Werke, die 1947 entstandene "Sonate für Violine solo".
Sonate für Violine solo, op.119 – I.
Die Befindlichkeit eines Komponisten aus seinen Werken abzuleiten, kann verlockend sein, zumal bei einem Künstler wie Sergej Prokofjew. Die Biografie des Russen führt nicht nur rund um den Globus und quer durch ein Jahrhundert voller Hoffnungen und Schrecken. Prokofjews Biografie ist auch gekennzeichnet vom Nebeneinander großer Erfolge und schmerzhafter Enttäuschungen. Anders als sein Kollege, Freund und Kontrahent Dmitri Schostakowitsch hat Prokofjew seinen Lebenslauf bereitwillig kommentiert, in Gesprächen, Briefen, in einer Autobiografie, doch hat er dabei verstanden, sein Publikum mit kaum sichtbaren Mitteln auf Distanz zu halten – so wie in seiner Musik ja auch: Nie blickt man wirklich offen in Prokofjews Karten. Oder spricht die geradezu übermütige Zuversicht der 1947 entstandenen Solosonate tatsächlich aus Prokofjews Seele?
Sonate für Violine solo, op.119 – III.
Kurz nachdem Prokofjew die Arbeit an diesem letzten Werk für Violine vollendet, stürzt die Welt über ihm zusammen: Zurückgezogen auf seinem kleinen Landsitz nahe Moskau erreicht ihn eine vernichtende Resolution der Parteiführung. Gemeinsam mit Kollegen wie Schostakowitsch wird er des Formalismus’ beschuldigt. Kaum ein Jahrzehnt nach seiner freiwilligen Rückkehr in die Sowjetunion steht er am Pranger als vermeintlicher Feind des Volkes. Prokofjew wird sich von diesem Schlag nicht mehr erholen: In den wenigen Jahren bis zu seinem Tod 1953 gelingen ihm nur noch wenige Werke.
Wenn der kanadische Geiger James Ehnes nun auf einem Doppelalbum eine Gesamtaufnahme der Violinmusik von Sergej Prokofjew vorlegt, dann mag man das als Einladung verstehen, das gesamte Lebenswerk des Komponisten zu überblicken. Tatsächlich liegen dreieinhalb Jahrzehnte zwischen den ersten Plänen für ein Violinkonzert und der Vollendung der Solosonate. Eine Zeit, in der Prokofjew seine kompositorische Ästhetik eher verfeinert und klärt als sie zu ändern: Nach der schnell überwundenen Spätromantik seiner Vorgänger findet Prokofjew in jungen Jahren zu einem charakteristischen Personalstil zwischen Neoklassizismus und Neuer Sachlichkeit, zwischen Modernität und Folklore. Die anfängliche Aggressivität vieler Werke weicht dabei zusehends einem versöhnlichen Ton. Prokofjew will verstanden und gebraucht werden.
Tatsache ist aber auch, dass sechs der acht von Ehnes aufgenommenen Werke Kammermusik sind und demnach ein Nebenschauplatz dieses Schaffens. Seit er als Kind zu komponieren begann, galt Prokofjews eigentliches Interesse der Oper und dem Orchester. So brauchte er für kleine Formate besondere Anreize. Diese Anreize kamen vor allem von Musikern, die Prokofjew imponierten – so wie der damals alles dominierende sowjetische Geiger David Oistrach. Für ihn schrieb Prokofjew gleich zwei umfangreiche Sonaten. Oistrachs Interpretationen sind bis heute die Richtschnur für jeden, der sich an diese Werke wagt, auch für den Kanadier James Ehnes.
Sonate op.80, I
Auch Ehnes wird die berühmten Aufnahmen von David Oistrach kennen: ihre Energie, Spontaneität, ihre Unmittelbarkeit. Viel davon hat auch er zu bieten: eine blitzschnelle, mal launische, mal gereizte, überschwängliche Dynamik, einen Ton, der Stolz zeigt, aber auch Verwundbarkeit, und sich zuweilen so tief duckt, dass er zu verschwinden droht – oder wie in den sogenannten Friedhofspassagen der Sonate op.80 zum kalten, unheimlichen Rauschen wird.
Wer Prokofjews Violinmusik in den Aufnahmen David Oistrachs kennengelernt hat, wird vermutlich mit jeder anderen Interpretation zunächst seine Schwierigkeiten haben: der trockene, oft sarkastische Tonfall dieser Musik einerseits, andererseits ihre Melodieseligkeit, die mitunter süß, doch nie süßlich ist und weder das Mitleid noch die Verzweiflung eines Schostakowitsch kennt. All das, was Prokofjew ausmacht, auch die Kraft und Athletik, hat Oistrach verkörpert wie kein Zweiter.
Der 1976 in der kanadischen Provinz Manitoba geborene James Ehnes ist ein Geiger von anderem Zuschnitt: ein eleganter Musiker, der das wunderbare Timbre seiner Stradivari wie auf dem Tablett serviert, der seinem Ton mit großzügigem Vibrato eine herrschaftliche Note verleiht, ein Geiger, den man sich - anders als Oistrach - nicht vorstellen mag mit hochgekrempelten Hemdsärmeln, sondern nur im feinen Anzug.
Fünf Melodien, I
So wie James Ehnes, so zeigt sich auch sein Klavierpartner Andrew Armstrong auf dem neuen Prokofjew-Album als Mann mit guten Manieren, nicht als Draufgänger. Gleichermaßen möchte man die Aufnahmen der beiden Violinkonzerte mit dem BBC Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines Chefdirigenten Gianandrea Noseda zuallererst "kultiviert" nennen – technisch in allen Belangen souverän, ausgewogen in Klang und Temperament, deutlich artikuliert, durchaus emphatisch und gar nicht zimperlich, doch auch nie riskant oder extrem: ein klassischer Prokofjew gewissermaßen.
Konzert Nr.1, III
Violinmusik von Sergej Prokofjew, hier zuletzt das Finale des ersten Konzerts op.19, mit dem kanadischen Geiger James Ehnes. Die Gesamtaufnahme, begleitet unter anderem vom Pianisten Andrew Armstrong und dem BBC Philharmonic Orchestra unter Gianandrea Noseda, ist beim Label Chandos erschienen.
Label: CHANDOS / 07038
Best.-Nr: 10787(2)
EAN: 095115178720
Sonate für Violine solo, op.119 – I.
Die Befindlichkeit eines Komponisten aus seinen Werken abzuleiten, kann verlockend sein, zumal bei einem Künstler wie Sergej Prokofjew. Die Biografie des Russen führt nicht nur rund um den Globus und quer durch ein Jahrhundert voller Hoffnungen und Schrecken. Prokofjews Biografie ist auch gekennzeichnet vom Nebeneinander großer Erfolge und schmerzhafter Enttäuschungen. Anders als sein Kollege, Freund und Kontrahent Dmitri Schostakowitsch hat Prokofjew seinen Lebenslauf bereitwillig kommentiert, in Gesprächen, Briefen, in einer Autobiografie, doch hat er dabei verstanden, sein Publikum mit kaum sichtbaren Mitteln auf Distanz zu halten – so wie in seiner Musik ja auch: Nie blickt man wirklich offen in Prokofjews Karten. Oder spricht die geradezu übermütige Zuversicht der 1947 entstandenen Solosonate tatsächlich aus Prokofjews Seele?
Sonate für Violine solo, op.119 – III.
Kurz nachdem Prokofjew die Arbeit an diesem letzten Werk für Violine vollendet, stürzt die Welt über ihm zusammen: Zurückgezogen auf seinem kleinen Landsitz nahe Moskau erreicht ihn eine vernichtende Resolution der Parteiführung. Gemeinsam mit Kollegen wie Schostakowitsch wird er des Formalismus’ beschuldigt. Kaum ein Jahrzehnt nach seiner freiwilligen Rückkehr in die Sowjetunion steht er am Pranger als vermeintlicher Feind des Volkes. Prokofjew wird sich von diesem Schlag nicht mehr erholen: In den wenigen Jahren bis zu seinem Tod 1953 gelingen ihm nur noch wenige Werke.
Wenn der kanadische Geiger James Ehnes nun auf einem Doppelalbum eine Gesamtaufnahme der Violinmusik von Sergej Prokofjew vorlegt, dann mag man das als Einladung verstehen, das gesamte Lebenswerk des Komponisten zu überblicken. Tatsächlich liegen dreieinhalb Jahrzehnte zwischen den ersten Plänen für ein Violinkonzert und der Vollendung der Solosonate. Eine Zeit, in der Prokofjew seine kompositorische Ästhetik eher verfeinert und klärt als sie zu ändern: Nach der schnell überwundenen Spätromantik seiner Vorgänger findet Prokofjew in jungen Jahren zu einem charakteristischen Personalstil zwischen Neoklassizismus und Neuer Sachlichkeit, zwischen Modernität und Folklore. Die anfängliche Aggressivität vieler Werke weicht dabei zusehends einem versöhnlichen Ton. Prokofjew will verstanden und gebraucht werden.
Tatsache ist aber auch, dass sechs der acht von Ehnes aufgenommenen Werke Kammermusik sind und demnach ein Nebenschauplatz dieses Schaffens. Seit er als Kind zu komponieren begann, galt Prokofjews eigentliches Interesse der Oper und dem Orchester. So brauchte er für kleine Formate besondere Anreize. Diese Anreize kamen vor allem von Musikern, die Prokofjew imponierten – so wie der damals alles dominierende sowjetische Geiger David Oistrach. Für ihn schrieb Prokofjew gleich zwei umfangreiche Sonaten. Oistrachs Interpretationen sind bis heute die Richtschnur für jeden, der sich an diese Werke wagt, auch für den Kanadier James Ehnes.
Sonate op.80, I
Auch Ehnes wird die berühmten Aufnahmen von David Oistrach kennen: ihre Energie, Spontaneität, ihre Unmittelbarkeit. Viel davon hat auch er zu bieten: eine blitzschnelle, mal launische, mal gereizte, überschwängliche Dynamik, einen Ton, der Stolz zeigt, aber auch Verwundbarkeit, und sich zuweilen so tief duckt, dass er zu verschwinden droht – oder wie in den sogenannten Friedhofspassagen der Sonate op.80 zum kalten, unheimlichen Rauschen wird.
Wer Prokofjews Violinmusik in den Aufnahmen David Oistrachs kennengelernt hat, wird vermutlich mit jeder anderen Interpretation zunächst seine Schwierigkeiten haben: der trockene, oft sarkastische Tonfall dieser Musik einerseits, andererseits ihre Melodieseligkeit, die mitunter süß, doch nie süßlich ist und weder das Mitleid noch die Verzweiflung eines Schostakowitsch kennt. All das, was Prokofjew ausmacht, auch die Kraft und Athletik, hat Oistrach verkörpert wie kein Zweiter.
Der 1976 in der kanadischen Provinz Manitoba geborene James Ehnes ist ein Geiger von anderem Zuschnitt: ein eleganter Musiker, der das wunderbare Timbre seiner Stradivari wie auf dem Tablett serviert, der seinem Ton mit großzügigem Vibrato eine herrschaftliche Note verleiht, ein Geiger, den man sich - anders als Oistrach - nicht vorstellen mag mit hochgekrempelten Hemdsärmeln, sondern nur im feinen Anzug.
Fünf Melodien, I
So wie James Ehnes, so zeigt sich auch sein Klavierpartner Andrew Armstrong auf dem neuen Prokofjew-Album als Mann mit guten Manieren, nicht als Draufgänger. Gleichermaßen möchte man die Aufnahmen der beiden Violinkonzerte mit dem BBC Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines Chefdirigenten Gianandrea Noseda zuallererst "kultiviert" nennen – technisch in allen Belangen souverän, ausgewogen in Klang und Temperament, deutlich artikuliert, durchaus emphatisch und gar nicht zimperlich, doch auch nie riskant oder extrem: ein klassischer Prokofjew gewissermaßen.
Konzert Nr.1, III
Violinmusik von Sergej Prokofjew, hier zuletzt das Finale des ersten Konzerts op.19, mit dem kanadischen Geiger James Ehnes. Die Gesamtaufnahme, begleitet unter anderem vom Pianisten Andrew Armstrong und dem BBC Philharmonic Orchestra unter Gianandrea Noseda, ist beim Label Chandos erschienen.
Label: CHANDOS / 07038
Best.-Nr: 10787(2)
EAN: 095115178720