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Kamp-Lintfort
Angst vor einem Nazi-Kiez

Neonazis suchen gezielt im ländlichen Raum nach Grundstücken und Gebäuden. Dieses Phänomen gibt es nicht nur im Osten, auch im Westen gibt es solche Versuche, wie beispielsweise in Hoerstgen bei Kamp-Lintfort. Dort wehren sich einzelne Bürger seit Jahren - und werden massiv bedroht.

Von Moritz Küpper | 04.08.2020
Nazi Glatze Neonazi
Nachbarschaftsstreit mit Neonazis: In Hoerstgen bei Kamp-Lintfort wehren sich einzelne Dorfbewohner gegen die Rechten. (Symbolbild) (imago images / Thomas Frey)
Sylvia und Armin Joos laufen die paar Meter zu ihrem riesigen Garten. Das pensionierte Lehrer-Ehepaar lebt seit über 40 Jahren in Hoerstgen, einem kleinen Dorf, das offiziell zu Kamp-Lintfort gehört, am westlichsten Rand des Ruhrgebiets also, unterer Niederrhein. Sie leben hier in einem kleinen Haus, es gibt eine rege evangelische Gemeinde und die leidenschaftlichen Gärtner pflegen ihren 17.000 Quadratmeter großen Garten.
"Wir haben eigentlich uns überlegt, dass wir hier so eine Art Refugium machen. Wir betreiben das ökologisch, es gibt kein Gift, es gibt kein Kunstdünger. Wir haben hier unglaublich Vögel und eine wilde Hecke."
Sie zeigt umher. Eigentlich ein Idyll. Eigentlich. Denn Joos Blick bleibt hängen:
"Man sieht hier, wenn man da durchguckt, sieht man weiter diesen schwarz-weiß-roten Zaun."
Denn: Vor nunmehr vier Jahren zog ein regional bekannter Nazi nach Hoerstgen, direkt auf das Grundstück neben den Joos. Ein Schild mit Adler-Emblem und der Aufschrift "Deutsches Reichsgebiet", prangt auf dem großen schwarz-rot-weißen Zaun, dahinter weht eine ähnliche Flagge. Überall Kameras sind angebracht – auch bei den Joos.
"Und dieses: Soll man den Mund halten lieber und das totlaufen lassen? Das wird ja immer wieder diskutiert."
Der Neonazi Kevin G. hölt ein Banner in der Hand während einer Demonstration von Rechten in Duisburg 
Kevin G., ein regional bekannter Neonazi, lebt in Hoertgen bei Kamp-Lintfort (imago images / Reichwein)
Doch: Die Joos leisten Widerstand schon seit Jahren:
"Und da kann man nie so sicher sein, dass man sich jetzt definitiv richtig entschieden hat."
"Ich glaube, wir haben uns richtig entschieden. Wenn wir uns nicht von Anfang gewehrt hätten, hätten wir jede Woche hier Veranstaltungen mit 40 bis 60 Leuten mindestens. Und das ist reduziert worden schon."
"Hier ist einer mit einer Auto-Nummer aufgeschlagen, AH-88. Die sind in anderen Bundesländern sogar schon verboten. Also, der musste es natürlich ganz besonders deutlich machen."
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Rechtsextremismus (dpa / Martin Schutt)
Ein Klima voller Angst
Nachbarschaftsstreit mit Nazis: Es ist eine schwierige, unübersichtliche Lage – und ein Klima voller Angst für die Joos.
Immer wieder ziehen nachts pöbelnde, urinierende Männer an ihrem Haus vorbei, …
Gesang: "Aber der Führer, der…"
… wie der WDR jüngst dokumentierte.
"Wir werden bedroht, seit die Familie G. nach Hoerstgen gezogen ist. Direkt wurde uns hier unsere Terrassenscheibe eingeworfen, es gab ein Zerstechen der Autoreifen."
Die Joos sitzen nun in ihrem Wohnzimmer, in dem eben der Stein einschlug. Die Anzeige lief ins Leere. Begründung: Der Vorhang war zu, keine Absicht Menschen zu treffen. Immer wieder geraten die Joos mit Kevin G. und seinen Mitstreitern aneinander, werden bedroht, eingeschüchtert:
"Wenn wir nochmal die Polizei rufen würden, dann würden wir sehen, was wir davon haben. Das wäre die letzte, die allerletzte Warnung. Sie würden uns das Leben zur Hölle machen. Und so weiter. Hat hier geschrien und getobt."
"Ob wir Lebensmüde wären."
"Ja."
Doch die Joos geben nicht auf.
"Wir bekämpfen jetzt hier diese eine Zelle, aber in Thüringen und in Sachsen und in Brandenburg und weiß der Teufel wo, da gibt es entsprechend diese Dörfer, wo die versuchen, einfach zu übernehmen."
Verfassungsschützer warnten erst kürzlich erneut vor diesem Phänomen. Und auch G. verbrachte um den Jahreswechsel – das lässt sich auf den sozialen Netzwerken nachvollziehen – Zeit in Thüringen.
"Wir ihr und auch viele weitere Kameraden mitbekommen habt, bauen wir uns in Hoerstgen seit Jahren was Gutes auf."
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Kevin G., eine umstrittene Figur in der Szene
Kevin G. spricht in die Kamera. Digital sehr aktiv, läuft jedoch jede direkte Kontaktaufnahme ins Leere, sei es telefonisch oder persönlich an Wohn- und Arbeitsort. Dennoch: Die digitalen Botschaften sind eindeutig:
"Kameraden fühlen sich hier wohl. Liedermachen genießen friedliche Abende hier und die Gemeinschaft wächst."
Aber: Innerhalb der rechten Szene ist Kevin G. umstritten, die Partei Die Rechte, ein Sammelbecken von Neonazis aus Dortmund, lehnt ihn ab:
"2005 war der Name schon ein negativer Begriff."
Sagt deren stellvertretender NRW-Vorsitzender Michael Brück:
"Er ist immer wieder verschwunden, dann taucht er wieder auf, versucht er auf was Neues Leute um sich zu scharren. Also, wir lehnen jede Zusammenarbeit ab, wir warnen auch Leute aktiv davor."
Denn: Kevin G. habe…
"… Anfang der 2000er-Jahre mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet, war in einem Aussteiger-Programm, um einer Haftstrafe zu entgehen. Wenn er es persönlich machen will, ist es sein Ding, aber wir sehen halt: So eine Person kann keine Führungsperson sein.
"Mein Herz gehört der Sache."
Hält Kevin G. dagegen. Er ist aktiv – in Hoerstgen:
"Ich biete einen Ort des Rückzuges, einen Ort, an dem man Kraft tanken kann. Einen Ort, an dem man zusammentreffen kann und Veranstaltungen durchführen kann. Treue Kameraden helfen hier einen Standort zu errichten, der für jeden nationalen Kameraden ein Stück zu Hause bedeuten kann."
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Anwerbung neuer Mitglieder über Gebrauchtmöbelfirma
Dabei hilft ihm auch seine Gebrauchtmöbelfirma:
"So ein Umzugsunternehmen ist natürlich ein niedrigschwelliges Angebot, mit dem man auch junge Kameradinnen und Kameraden in der Neonazi-Szene beschäftigen kann und Gelder in der Szene hin- und hergeschoben werden."
Sagt Dominik Schumacher von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Düsseldorf", die Bürgerinnen und Bürger beim Kampf gegen rechts unterstützen. G. gelang es sogar, mit dem Jobcenter in Wesel zusammenzuarbeiten. Besonders heikel: Neben einem guten Geschäft erhielt er so auch oft die Adressen von geflüchteten Menschen. Nach Medienberichten wurde die Zusammenarbeit beendet. Doch für Schumacher zeigt sich, G. ist ernst zu nehmen:
"Hoerstgen ist wieder jeder kleinere Ort im ländlichen Raum besonders geeignet für politische Aktivitäten, weil es da keine politische Konkurrenz gibt. Das heißt: Dort kann man mit sehr wenig Aufwand einen sehr großen Einfluss entfalten."
Seine, wie er betont, Außensicht, lautet, …
"…, dass wir da gerade an einem Entscheidungspunkt sind und es sich jetzt in näherer Zukunft entscheiden wird. Wird sich eine größere Anzahl von Leuten aktiv gegen die neonazistischen Aktivitäten der Volksgemeinschaft Niederrhein stellen oder wird eher weggeschaut und können diese weiter unwidersprochen sich ausbreiten."
Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten der Volksgemeinschaft Niederrhein, die Polizei Wesel sei entsprechend sensibilisiert, heißt es im NRW-Innenministerium.
"Viele unterschätzen den."
Sagt Armin Joos, in seinem Wohnzimmer sitzend:
"Weil sie nicht direkt betroffen sind von ihm. Aber der ist so gut vernetzt. Und der versucht hier, dass da eine braune Zelle Wurzeln schlägt. Das muss man einfach verhindern. Und da müssen alle Demokraten müssen eigentlich sich dagegen wehren."
Seine Frau hat nun einen Brief an NRW-Innenminister Herbert Reul geschrieben. Er sei angekommen, heißt es im Ministerium.