Dienstag, 23. April 2024

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Kampf gegen das Coronavirus
"Isolation der Menschen ist der einzige Weg"

Das Coronavirus sei unheimlich ansteckend - daher seien Ausgangssperren der einzige Weg, dessen Ausbreitung zu bekämpfen, sagte die italienische Politikerin Laura Garavini im Dlf. Sie fürchte, dass wie in Italien, auch Gesundheitssysteme anderer europäischer Länder bald an ihre Grenzen stoßen könnten.

Laura Garavini im Gespräch mit Silvia Engels | 19.03.2020
Polizei und Militär überwachen die Ausgangssperre in Italien
Polizei und Militär überwachen die Ausgangssperre in Italien (imago / ZUMA Wire / Evandro Inetti)
Seit einer Woche schon gilt in ganz Italien ein Ausgangssperre. Die Regierung in Rom hat zu diesem drastischen Mittel gegriffen, um die dramatische Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Menschen dürfen nur zur Arbeit, zum Einkaufen oder um anderen zu helfen, ihre Wohnungen verlassen. Noch ist der Anstieg der Neuinfektionen allerdings nicht gebremst.
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Am Mittwoch (19.03.2020) meldeten die italienischen Behörden mehr als 35.000 bestätigte Corona-Infektionen. Fast 3.000 Menschen starben demnach inzwischen an der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit COVID-19, zuletzt kamen innerhalb von 24 Stunden 475 neue Todesfälle hinzu – ein trauriger Rekordwert. Schwerpunkt der Epidemie bleibt der Norden des Landes.
Im Interview mit dem Dlf gab Laura Garavini einen Innenblick auf die Corona-Krise in Italien. Sie ist Sozialdemokratin, Mitglied des italienischen Senats und kommt aus der Provinz Modena, nahe Bologna, im Norden Italiens. Sie hat in Deutschland und Italien gelebt und besitzt beide Staatsangehörigkeiten.

"Die Leute nehmen das einigermaßen mit Vernunft"
Engels: Wie sieht Ihr Alltag unter Quarantäne derzeit aus?
Garavini: Man muss, obwohl man arbeitet, sehr, sehr alleine leben und arbeiten. Es ist schon ein komisches Gefühl, die ganze Zeit eingesperrt sein zu müssen. Aber die Leute nehmen das einigermaßen mit Vernunft. Das heißt, die Menschen merken, wie gefährlich es sein könnte, sich an die Regeln nicht zu halten. Und positiv ist, dass auch eine Welle von Solidarität entstanden ist, auch von unten: Einkaufsaktionen für ältere Menschen, Kochkurse oder Bastelkurse für Kinder im Internet. Man trifft sich abends auf den Balkonen, um gemeinsam zu singen, um die Einsamkeit zu vertreiben. Alles Zeichen der Hoffnungen, alles Zeichen, die ein Symbol sind für eine gesunde Gesellschaft – trotz allem.
Porträtfoto der italienischen Abgeordneten der Demokratischen Partei, Laura Garavini, aufgenommen am 28.08.2013
Laura Garavini ist Abgeordnete der Demokratischen Partei in Italien (dpa picture alliance / Fredrik von Erichsen)
Engels: Sie selbst kommen aus der Region Modena, eine der Regionen im Norden des Landes, die mit als erste in Italien zur Sperrzone erklärt wurde. Was hören Sie über die Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern und über den Alltag dort?
Garavini: Die meisten Fälle sind in den Regionen Lombardei, Emilia Romania und Venetien. Dort ist das Gesundheitssystem sehr gut, das beste Italiens, ähnlich gut wie in Deutschland. Ja, man ist vor einem Virus, das unglaublich ansteckend ist. Man sollte das nicht unterschätzen. Ich denke und ich fürchte, auch Gesundheitssysteme anderer europäischen Länder könnten bald in solchen Zuständen sein, wenn das Virus so weit verbreitet ist wie in Italien. Meine Bitte ist wirklich, das sehr ernst zu nehmen.
Illustration neuartiger Corona-Viren


February 3, 2020, Atlanta, GA, United States of America: Illustration created at the Centers for Disease Control and Prevention showing the ultrastructural morphology exhibited by the Novel Coronavirus 2019-nCoV virus which has caused an outbreak of respiratory illness first detected in Wuhan, China in 2019. Note the spikes that adorn the outer surface of the virus, which impart the look of a corona surrounding the virion, when viewed electron microscope. Atlanta United States of America PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAp138 20200203zaap138002 Copyright: xCdc/Cdcx
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"Regierung als auch das Parlament ist hundertprozentig aktiv"
Engels: Sie selbst sind ja Senatorin in Rom. Sind Senat und Abgeordnetenhaus derzeit noch arbeitsfähig, oder haben sie auch mit Infektionsfällen größeren Ausmaßes zu tun?
Garavini: Sowohl die Regierung als auch das Parlament ist hundertprozentig aktiv. Zwei Vizeminister sind zuerst angesteckt worden, aber wir sind hundertprozentig aktiv. Sowohl bei der Regierung als auch im Parlament wird sehr viel mit Skype gearbeitet. Wir kommunizieren sehr viel über mehrere soziale Netzwerke, so dass wir Dokumente teilen, Entscheidungen treffen, Probleme versuchen auszutauschen und zu lösen. Aber wir sind hundertprozentig aktiv.
Engels: Eine Woche dauert die Ausgangssperre in Italien schon an. Es braucht ja - das sagen die Virologen immer – 10 oder 14 Tage Zeit, bis die Wirkung von solchen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wie eine Ausgangssperre auch in den Statistiken der Neuinfektionen zu sehen ist. Nun gibt es diese Abflachung der Kurve, auf die in Italien alle hoffen, derzeit noch nicht. Gestern erneut ein Sprung von 4.000 Neuinfektionen an einem Tag. Überlegen Sie nun im Senat, auch im Abgeordnetenhaus, noch irgendwelche weitergehenden Maßnahmen der Regierung vielleicht mitzutragen?
Garavini: Es ist leider noch nicht vorhersehbar, wie es sich entwickeln wird, und vor allem, wie lang es dauern wird. Das kann man leider nicht ausschließen. Die Maßnahmen, die wir getroffen haben, seit einigen Tagen, sind schon sehr, sehr einschränkend, was die Freiheit der Menschen anbelangt, aber sie sind notwendig aufgrund der Ernsthaftigkeit der Lage.
Ernsthaftigkeit der Lage nicht unterschätzen
Engels: Das heißt, falls es noch weitergehende Beschränkungen geben würde, würden Sie, obgleich das weiter auch natürlich noch alles Fiktion ist, sie mittragen?
Garavini: Ja. Wir denken, gerade in so einer gefährlichen Lage ist es notwendig, Einigkeit und Zusammenhalt zu zeigen. Im Land reagieren die Menschen einigermaßen vernünftig und Aufgabe der Politik ist, genau dasselbe zu machen.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Engels: Sie haben die Entwicklung auch in Deutschland verfolgt. Hier hat man von generellen Ausgehsperren bislang abgesehen. Haben Sie Empfehlungen, ob das ein guter Weg ist?
Garavini: Ich verfolge die Entwicklung in Deutschland. Ich finde, Frau Merkel hat es gestern Abend sehr gut gesagt. Die Lage ist in Deutschland auch sehr ernst. Meine Bitte ist, genau das so ernst zu sehen und die Ernsthaftigkeit der Lage nicht zu unterschätzen. Ich weiß, dass es beispielsweise auch Empfehlungen gegeben hat, die Ausgangssperre nicht so ernst zu machen, wie wir es in Italien gemacht haben, von der Seite von Ärzten. Ich bitte da auch die Äußerungen von der Weltgesundheitsorganisation ernster zu nehmen, die das Benehmen in Italien sehr gelobt hat und behauptet hat, das sei der richtige Weg. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Maßnahmen, die wir getroffen haben, dringend waren, und obwohl sie aus der Entfernung vielleicht übertrieben aussehen können, bitte ich wirklich, das ganz anders zu betrachten. Sie haben wirklich mit der Gefahr der Situation zu tun und nichts anderes.
Nicht von der Qualität des Gesundheitssystems abhängig
Engels: Denken Sie, dass Deutschland um eine allgemeine Ausgangssperre noch herum kommt nach den Erfahrungen, die Sie in Italien gemacht haben?
Garavini: Ich bitte, es ernsthaft zu überlegen, genau solche strengen Maßnahmen zu machen, genauso ähnlich, wie wir es gemacht haben. Natürlich muss man das verfolgen. Man soll auch nicht in panische Reaktionen verfallen. Aber wir sind fest der Meinung, die Isolation der Menschen ist der einzige Weg, wenn Ansteckungsfälle schon vorhanden sind, weil das Corona-Virus ist unheimlich ansteckend und das hat nichts mit der Qualität des Gesundheitssystems zu tun. In den drei Regionen, wo es in Italien sich verbreitet hat, ist das Gesundheitssystem sehr gut, ähnlich gut wie in Deutschland beispielsweise. Die Isolation, da man noch keine Impfung erfunden hat, ist zurzeit die einzige Möglichkeit, die man hat, das Virus zu bekämpfen und im Griff zu halten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.