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Kampf gegen IS-Miliz
"Finger von UNO-Mandat lassen"

Im Kampf gegen die Terrormiliz IS müsse der Westen mit Russland und Iran zusammenarbeiten, sagte der Politikwissenschaftler Walther Stützle im DLF. Ein UNO-Mandat sei anders nicht möglich. Zudem hält er es für aussichtslos - noch: Vorher müsste der Westen eine andere Frage klären.

Walther Stützle im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Ein Heer von indonesischen Blauhelm-Soldaten trainiert auf einem Armeestützpunkt in West-Java.
    "Die Vereinten Nationen als Instrument sind nicht tot, aber gelähmt." (dpa picture alliance / epa Weda)
    "Wird der Staat weiterhin als das Organisationsprinzip der internationalen Ordnung anerkannt oder befinden wir uns bereits in einer Situation, in der die Staaten mit ihrer Auflösung begonnen haben?", das sei die entscheidende Frage, die sich die internationale Gemeinschaft jetzt stellen müsse, so Stützle im Deutschlandfunk. Alle Erfahrungen mit militärischen Interventionen in revolutionäre Situationen hinein sprächen dafür, die Finger von einem UNO-Mandat zu lassen.
    Die Vereinten Nationen als Instrument seien nicht tot, "aber gelähmt", sagte der ehemalige Direktor des Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI. Ausschlaggebend hierfür sei, dass 2011 beim internationalen Militäreinsatz in Libyen Russland übergangen worden sei. "Das fällt der internationalen Politik heute auf die Füße", so Stützle. Libyen sei ein Land in Trümmern, Russlands Verhalten heute auch auf die Entwicklungen damals zurückzuführen.
    Aktuell zeige sich der Zusammenhang zwischen einer fehlgeleiteten europäischen Sicherheitspolitik und der Großwetterlage im Nahen Osten. Es gebe keine internationale Sicherheitsordnung ohne die fünf Vetomächte, und dazu gehöre Russland. Nur mit Moskau am Verhandlungstisch sei ein Friedensprozess möglich. Zudem müssten die USA begreifen, dass der Iran neben Saudi-Arabien der "andere große Strategische Partner" im Nahen Osten sei.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Immer lauter ist sie vorgetragen worden, die internationale Kritik an der Rolle der Türkei bei der Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staats. Ankara hat zwar Panzer auffahren lassen an der Grenze zu Syrien, aber unternimmt nichts, um den Vormarsch der Terrormiliz zu stoppen, während die Amerikaner gemeinsam mit Verbündeten deren Stellungen bombardieren. Jetzt aber scheint Präsident Erdogan einen Kurswechsel zu vollziehen. Immerhin wird den Amerikanern jetzt die Nutzung von türkischen Militärbasen gestattet.
    Was ist aber mit Deutschland? Berlin hat ja bisher Waffen an die Kurden geliefert. Die Frage ist aber, ob das ausreichen kann. Die Fraktionschefin der Bündnis-Grünen, Katrin Göring-Eckardt, die hat jetzt gefordert, Deutschland müsse sich beteiligen, wenn es zu einer UNO-Mission kommen sollte, auch wenn das die Entsendung von Bodentruppen bedeuten würde. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der hält sich derzeit in der Krisenregion auf, genauer gesagt in Saudi-Arabien, und da geht es natürlich auch um den Kampf gegen den IS. Er erteilte dem Vorstoß von Göring-Eckardt aber eine klare Absage. Am Telefon begrüße Walther Stützle, freier Publizist, ehemals Chef des Friedensforschungsinstituts Sipri. Schönen guten Tag, Herr Stützle.
    Walther Stützle: Guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Katrin Göring-Eckardt fordert, im Fall eines UNO-Mandats muss Deutschland bereit sein, sich mit der Bundeswehr an einem Einsatz zu beteiligen. Frank-Walter Steinmeier sagt, das lässt sich leicht fordern, wenn man weiß, dass ein solches Mandat nicht zustande kommt. Hat er recht?
    Stützle: Ja. Ich glaube, er hat recht. Es gibt aber einen weiteren wichtigen Punkt, respektive eine wichtige Frage an die Frau Katrin Göring-Eckardt, nämlich: Wofür soll dieses Mandat denn benutzt werden? Was soll denn eigentlich das Ziel einer, von ihr anscheinend favorisierten, zumindest nicht ausgeschlossenen militärischen Operation sein? Alle Erfahrungen - und das haben wir jetzt ja gerade auch wieder erneut in den Beiträgen gehört -, alle Erfahrungen mit den militärischen Interventionen in revolutionäre Situationen hinein sprechen dafür, die Finger davon zu lassen und nicht mit militärischen Interventionen zu handhaben und zu laborieren.
    "Der Erfolg besteht darin, dass der Staat heute zertrümmert am Boden liegt"
    Heckmann: Aber die militärische Intervention ist ja da, zumindest aus der Luft, und alle, die etwas von der Sachlage verstehen, sagen ja auch, mit Luftschlägen alleine ist der IS nicht zu stoppen.
    Stützle: Wir haben verschiedene Beispiele. Das jüngste Beispiel ist Libyen. Das war im Jahre 2011. Da wurde auch gesagt, es sei nicht anders zu machen als durch eine militärische Intervention. Der Erfolg besteht darin, dass der Staat heute zertrümmert am Boden liegt, dass ein wichtiger Partner, nämlich die Vetomacht Russland, sich zu Recht hintergangen fühlte durch die militärische Intervention, denn sie war nicht ausdrücklich gedeckt durch das Mandat der Vereinten Nationen, und das fällt heute uns auf die Füße, nicht uns, aber der internationalen Politik auf die Füße. Es blockiert nämlich den Sicherheitsrat, weil die Russen im Zweifelsfalle nicht erneut sich in eine Situation begeben werden, in der sie dann hinters Licht geführt werden.
    Die entscheidende Frage ist doch: Wird der Staat weiterhin als das Organisationsprinzip der internationalen Ordnung anerkannt, oder befinden wir uns bereits in einer Situation im Nahen und Mittleren Osten, wo die Staaten ihre Auflösung begonnen haben und selbst ernannte Bewegungen, mit welchen Zielen auch immer, zum Teil militärisch, zum Teil religiös grundiert, jedenfalls mit einem großen Machtanspruch die Regierungsgewalt an sich reißen, und wie geht die internationale Gemeinschaft damit um. Das ist die eigentliche Kernfrage und das könnte man in der Tat, das müsste man in der Tat öffentlich diskutieren, bevor überhaupt die Frage auftaucht, wie kann man diesem Prozess begegnen.
    "Die Türkei hat inzwischen den Feind am Hals"
    Heckmann: Und die Bündnis-Grünen, zumindest Katrin Göring-Eckardt fordert ja, die UNO dort einzubeziehen in diese Problemlage und nicht nur auf unilaterale Bündnisse zu setzen. Die Türkei, die scheint ja jetzt dabei zu sein, ihren Kurs zu korrigieren. Könnte ja auch sein, dass Moskau und Peking neue Prioritäten setzen in Zukunft, nämlich den IS zu stoppen.
    Stützle: Die Türkei hat inzwischen erfahren müssen, was ja viele vorhergesagt haben, die sich mit der Lage genauer befasst haben, die Türkei hat inzwischen den Feind am Hals, den sie selber gefüttert hat. In der Annahme, sie könnte mit dem, was sich Islamischer Staat nennt, den syrischen Machthaber Assad aus der Regierung und aus der Verantwortung bringen, hat man diese Kräfte gefüttert. Nun sind diese Kräfte so stark, dass sie auch die Türkei selbst bedrohen. Daraus kann doch nur die Schlussfolgerung gezogen werden, mit der Unterstützung von völlig unkalkulierbaren und uneinschätzbaren revolutionären Teilgruppierungen kann man doch keine internationale Ordnung herstellen.
    Das geht nur über den Weg, solange die internationale Ordnung aus Staaten besteht. Das geht nur über den Weg der Staaten, und deswegen ist es richtig, wenn der Außenminister in Saudi-Arabien ist. Saudi-Arabien ist ein strategischer Partner in dieser Situation. Die andere Hauptstadt, in die dringend gereist werden müsste, wäre Teheran. Iran ist der andere große strategische Partner und die Vereinigten Staaten müssten das endlich akzeptieren und endlich begreifen. Das ist schwer nach allem, was die Vereinigten Staaten an Erfahrungen mit Teheran hinter sich haben, aber es hilft nichts: In der Realpolitik muss man die strategischen Partner erkennen und man muss sie an einen Tisch bringen, und nur dann gibt es eine Chance, ein neues Ordnungselement herzustellen.
    "Die Vereinten Nationen sind nicht tot, aber sie sind gelähmt"
    Heckmann: Wenn die Lage so ist, wie sie ist, wie Sie sie beschreiben, Herr Stützle, wenn die Staaten in Auflösung begriffen sind dort in der Region, dann kann man nur zu der Konsequenz kommen, dass die Vereinten Nationen, die UNO als Instrument tot ist?
    Stützle: Die Vereinten Nationen sind nicht tot, aber sie sind gelähmt, aus einem Grunde, den ich gerade benannt habe, weil im Fall Libyen eine Vetomacht hinters Licht geführt worden ist, nämlich Russland, und hier zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen einer fehlgeleiteten europäischen Sicherheitspolitik, die ja im gesamten Ukraine-Konflikt versucht hat, Russland vom europäischen Sicherheitstisch zu verdrängen, mit der großen Wetterlage im Nahen Osten, und unter dem Strich erkennen wir - und das ist nicht neu, aber es ist wichtig -, es gibt keine internationale Sicherheitsordnung ohne die fünf Vetomächte, und eine dieser Vetomächte ist Russland. Wenn wir Russland nicht an einen Tisch bringen, um darüber zu reden, was man tun kann, dann wird sich dieser Auflösungsprozess fortsetzen. Deswegen verstehe ich auch gar nicht - ich will das in diesem Zusammenhang auch sagen -, deswegen verstehe ich auch überhaupt nicht, wie politische Gruppierungen auch in der Bundesrepublik dazu kommen können, in Russland den St.-Petersburg-Dialog aufzukündigen. Er wäre jetzt dringender denn je.
    Heckmann: Ein Thema, das wir im Laufe der Sendung noch vertiefen werden. Walther Stützle war das, der freie Publizist und ehemalige Chef des Friedensforschungsinstituts Sipri. Herr Stützle, danke Ihnen für das Gespräch!
    Stützle: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.