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Kampf gegen IS-Terror
"Internationale Koalition ist gelähmt"

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz hat das internationale Vorgehen im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat kritisiert. Er vermisse eine abgestimmte Strategie, sagte der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im Deutschlandfunk.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Porträtbild von Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
    Ruprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Auch von der Türkei könne man nicht verlangen, was andere Nato-Staaten ablehnten, meinte Polenz mit Blick auf die Weigerung Ankaras, mit Bodentruppen in Syrien einzugreifen. Zudem habe man dort Sorge, dass der Bürgerkrieg aus dem Nachbarland auf das eigene Territorium übergreife.
    Das Engagement Deutschlands hält der CDU-Politiker für ausreichend. Er verwies auf die Unterstützung von Flüchtlingen in Jordanien und dem Libanon sowie auf die Stationierung von Patriot-Abwehrraketen an der türkisch-syrischen Grenze.

    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns mit der Lage im Nahen Osten beschäftigen, mit den kriegerischen Auseinandersetzungen, mit dem Vordringen von ISIS und mit der Frage, ja, was kann, was soll, was muss der Westen und die Allianz denn möglicherweise tun, müssen sie überhaupt irgendwas tun? Über all das wollen wir reden mit Ruprecht Polenz, dem CDU-Außenpolitiker, den ich jetzt ganz herzlich begrüße. Guten Morgen, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
    "Ziemlich verknäuelte Gemengelage"
    Zurheide: Herr Polenz, zunächst einmal: Die internationale Militärkoalition, die kommt in diesen Tagen, ich glaube, heute zusammen, die wollen noch mal über eine Strategie reden. Erkennen Sie überhaupt eine Strategie?
    Polenz: Ja, es ist schwierig, denn wir haben ja in Syrien jetzt seit drei Jahren einen immer mehr sich verschärfenden Bürgerkrieg und wir haben im Irak die Auseinandersetzung mit ISIS, beides hängt auch miteinander zusammen, weil dieser sogenannte Islamische Staat ja sein Gebiet quer zu den Grenzen beider Staaten versucht auszubauen. Und die internationale Koalition ist dadurch auch gelähmt, dass der Sicherheitsrat handlungsunfähig ist, weil Russland seine schützende Hand über Assad hält, dazu die Verbindung des Iran zu Assad. Also, es ist schone eine ziemlich verknäuelte Gemengelage, die ein strategisch kluges Handeln auch schwierig macht.
    Zurheide: Jetzt gibt es, um vielleicht direkt mit diesem Problemkreis anzufangen, auch Hinweise, na ja, dann müssen wir eben unsere Haltung Assad gegenüber wieder überdenken. Ihr Parteikollege Laschet, immerhin stellvertretender Bundesvorsitzender, sagt ja auch nicht, dass er jetzt ein Freund von Assad wäre, aber dass wir eben überdenken müssen, ob das Ziel, ihn aus dem Amt zu bekommen, so richtig ist. Wie sehen Sie das?
    Polenz: Ich glaube, es gibt den Spruch, man kann den Teufel nicht mit Beelzebub austreiben. Man darf nicht vergessen, dass Assad auch ISIS befördert hat am Anfang als ein Mittel, um die eigene Opposition im Land, die moderate Opposition zu schwächen. Diese Rechnung ist zunächst auch aufgegangen, ISIS hat die Moderaten bekämpft, sich erst jetzt - das ist der Zauberlehrling-Effekt - auch gegen Assad gewandt. Und Assad hat das auch deshalb gemacht, um sich als Alternative für den Westen, für die Welt darzustellen, auf die man dann doch lieber zurückgreifen soll. Ich halte das nicht für richtig. Ich glaube, man muss letztlich eine Strategie entwickeln, die eine Zukunft Syriens ohne ISIS und ohne Assad als Ziel hat.
    "Es gibt innerhalb Syriens schon eine moderate Opposition"
    Zurheide: Mit wem können wir das hinbekommen? Jetzt sind wir fast bei der Türkei angelangt und bei der etwas schwierigen Rolle, die die Türkei spielt.
    Polenz: Es gibt innerhalb Syriens schon eine moderate Opposition. Es gibt, wenn auch immer schwächer werdend, auch bewaffnete Kräfte, die man unterstützen könnte. Aber Sie haben schon recht, es geht natürlich auch um die Rolle, die die Nachbarländer spielen. Und da geht es einmal, glaube ich, darum, dass wir die ganzen Konflikte, die ich gerade so ein bisschen skizziert habe, auch so ein bisschen als Stellvertreterkonflikte zwischen dem Irak und Saudi-Arabien verstehen können, die sich mit unterschiedlichen Hilfstruppen auf fremdem Territorium durchaus auch bekriegen. Und deshalb muss ein strategischer Versuch sicherlich auch darauf hinauslaufen, die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien irgendwie zu mindern, damit sie aufhören das zu machen, möglicherweise bis die Sorge vor ISIS, die beide Länder haben, dazu geeignet ist, diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen.
    Zurheide: Wer könnte denn so was bewirken? Also auf der einen Seite die Saudis zu bewegen, die Iraner. Haben die Amerikaner dann den Schlüssel, die dann wieder ihr Verhältnis dem Iran gegenüber überdenken müssen?
    Polenz: Festhalten an der territorialen Integrität des Irak genauso wie an der territorialen Integrität Syriens
    Polenz: Ja, es hängt eben alles ein bisschen miteinander zusammen. Auf der einen Seite haben wir nach wie vor seit 2003 die Verhandlungen um ein Nuklearprogramm des Iran, wo das Ziel ist sicherzustellen, dass dieses Programm dauerhaft friedlich bleibt. Das Ziel ist jetzt wichtiger denn je. Denn wenn Sie sich vorstellen, dass in der jetzigen Gemengelage wir auch noch ein nukleares Wettrüsten in der Region bekommen, dann ist der Alptraum komplett. Also, das wäre ein wichtiges Ziel, das zu erreichen. Diese Verhandlungen nähern sich jetzt irgendwie einem Punkt, wo sie entweder scheitern oder zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können. Und sicherlich haben die Amerikaner hier eine Möglichkeit, auf dieses, sagen wir mal, etwas normalere Verhältnis, will ich vorsichtig formulieren, zwischen Saudi-Arabien und dem Iran hinzuwirken. Die Türkei als wichtiger Nachbar spielt auch natürlich eine Rolle.
    Und ich glaube - und da sind wir dann bei dem Thema der letzten Wochen -, man muss eine ganz klare Ausgangsprämisse formulieren für die Art und Weise, wie man die Konflikte lösen will. Und die kann aus meiner Sicht nur heißen: Die bestehenden kolonialen, exkolonialen Grenzen, so ungerecht sie auch sein mögen, werden nicht gewaltsam verändert, Punkt. Das bedeutet eine Absage an einen Kurdenstaat, das bedeutet ein Festhalten an der territorialen Integrität des Irak genauso wie an der territorialen Integrität Syriens. Wenn man diese Position aufgibt, dann verliert man, glaube ich, den letzten Halt, den es in dieser chaotischen Situation im Augenblick noch gibt.
    Türkei und Syrien
    Zurheide: Jetzt höre ich aus deutschen Geheimdienstkreisen, und zwar aus unterschiedlichen Quellen - und ich will das hier mal einbringen -, dass möglicherweise gerade Herr Erdogan da andere Ideen hat und das, was Sie gerade zuletzt gesagt haben, eben nicht möchte, dass er - man sagt - ISIS aktiv unterstützt hat, dass er möglicherweise davon ausgeht, sich dann in diesen Staaten ringsum, die sich auflösen, dann möglicherweise sein eigenes Reich vergrößern kann.
    Polenz: Das halte ich für absurd, mit Verlaub. Die Türkei verhält sich, glaube ich, im Augenblick eher deshalb so zurückhaltend, weil sie große Sorge hat, dass der Bürgerkrieg aus Syrien auf die Türkei übergreift. Sie hat sich mit der kurdischen, stärker werdenden Selbstständigkeit im Nordirak arrangiert, hat sie am Anfang sehr mit Sorge gesehen, aber da sie sich der Loyalität der Kurden im eigenen Land noch nicht völlig sicher sein kann, beobachtet sie auch diese Entwicklung nach wie vor mit ziemlicher Sorge. Also, was das Verhältnis zu Syrien angeht, darf man auch nicht vergessen: Erdogan hatte das Verhältnis zu Syrien in Ordnung gebracht, hat sich mit Assad verständigt über die Wasserfrage, die vorher ein Streitpunkt war, über Grenzfragen bis hin zu einem visumsfreien Grenzverkehr. Und als Assad dann nicht mit Reformen auf die Demonstrationen geantwortet hat, sondern mit immer brutalerer Gewalt, dann erst hat Erdogan sich von Assad losgesagt. Und dann den Fehler gemacht, nahezu jede Oppositionsgruppe, Hauptsache, sie kämpft gegen Assad, auch unterstützt. Das macht er, denke ich, jetzt nicht mehr, sondern er hat gesehen, dass ISIS natürlich auch für die Türkei eine Gefahr bedeutet, genauso wie für uns.
    Dilemma der Türkei
    Zurheide: Wie wird denn das Verhältnis mit den Kurden - denn genau da haben Sie den Kernpunkt angesprochen - bei der Zuspitzung, die wir gerade sehen? Und alle sagen eigentlich, Kobane wird nicht gehalten können, zumindest ohne Waffen wird das nicht funktionieren und von außen wird wohl keiner eingreifen. Das destabilisiert doch wieder das Verhältnis, was Sie gerade beschrieben haben, die Annäherung der Kurden in der Türkei, oder?
    Polenz: Das ist das Dilemma, in dem die Türkei ist. Die Türkei hat sicherlich außenpolitisch in den letzten Jahren viele Fehler gemacht, hat sich auch zu wenig mit dem Westen abgestimmt, gemeint, im Stile einer Regionalmacht des 19. Jahrhunderts in der Region Politik machen zu können, aber das funktioniert eben nicht mehr. Und ist jetzt in diesem Dilemma. Andererseits muss man sehen, die Erwartung, die jetzt auch vielfach bei uns in den Medien ist, warum greift die Türkei mit ihren Panzern, die man da an der Grenze ja aufgefahren sieht, nicht zugunsten von Kobane ein, heißt doch im Klartext: Die Türkei soll in Syrien einmarschieren. Etwas, was die NATO bisher aus guten Gründen vermieden hat. Kein NATO-Staat möchte mit Bodentruppen in Syrien sein, die Türkei soll das jetzt auf einmal machen, ohne dass wenigstens für den Norden Syriens ein abgestimmtes Konzept vorliegt, was aus meiner Sicht mindestens eine Flugverbotszone und einen Schutzkorridor für Flüchtlinge beinhalten müsste.
    "ISIS ist eine Gefahr, die natürlich beseitigt werden muss"
    Zurheide: Aber wie kann im Moment die Situation aufgelöst werden, Herr Polenz?
    Polenz: Die Situation kann dadurch aufgelöst werden, dass man beispielsweise zu diesem Konzept für den Norden kommt und auf diese Weise im Norden dann auch den Flüchtlingen eine Schutzzone schafft, zweitens auf Waffenstillstände in Syrien hinwirkt und drittens natürlich ISIS gemeinsam bekämpft. Denn ISIS ist einmal wegen der Rekrutierung von jungen Leuten weltweit auch für alle eine Gefahr, denn wenn die dort gekämpft haben und in ihre Ursprungsländer, unter anderem auch Deutschland, zurückkommen, sind sie dort natürlich möglicherweise Attentäter von morgen. Und zum Zweiten bedroht ISIS natürlich auch mit dem Anspruch Kalifat alle Staaten der Region, nicht zuletzt auch Saudi-Arabien. Und wenn sie damit Erfolg hätten, würden sie wegen der Ölressourcen die ganze Welt erpressen können. Also, ISIS ist eine Gefahr, die natürlich beseitigt werden muss.
    Zurheide: Und die Rolle der Deutschen darin? Wir stehen sehr am Rande!
    Polenz: Nein, wir sind in vielerlei Hinsicht engagiert. Wir tun sehr viel vor Ort für die Flüchtlinge, helfen Jordanien, dem Libanon, diese schwere Aufgabe, mit so vielen Flüchtlingen fertig zu werden, ihnen helfen zu können. Wir nehmen selber auch Flüchtlinge auf, wir sind engagiert dort, wo gemäßigte syrische oppositionelle Länder, territoriale Gewinne hatten, dass die dort eine vernünftige Verwaltung aufbauen können. Also, Deutschland ist schon in vielfältiger Weise dabei. Wir sind mit den Patriot-Raketen zusammen mit den USA und den Niederlanden in der Türkei, um eben auch ein Ausgreifen des Krieges auf die Türkei zu verhindern.
    Also, wir machen schon eine ganze Menge, aber was ich eben vermisse, ist tatsächlich eine abgestimmte Strategie. Also, dieses öffentliche Gezerre jetzt, die Türkei soll jetzt hier etwas machen, was kein anderer NATO-Staat wollte, ohne eine Garantie dafür zu haben, dass ihr das dann nicht sehr schnell auf die Füße fällt. Denn Sie müssen sehen, wenn die Türkei im Norden Syriens einmarschieren würde, dann wäre sie relativ schnell als Besatzer Syriens oder auch als Besatzer sogenannten kurdischen Territoriums am Pranger. Und das Risiko will sie nicht eingehen, was ich ziemlich gut verstehen kann.
    Zurheide: Die schwierige Lage im Moment in Syrien, in Nordirak, in der Türkei. Das war ein Gespräch mit Ruprecht Polenz von der CDU. Herr Polenz, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch!
    Polenz: Bitte schön, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.