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Kampf gegen IS-Terror
"Keine wirksamen Grenzen mehr"

Wie sollen westliche oder arabische Staaten die Terrormiliz Islamischer Staat bekämpfen? Wahrscheinlich nicht gemeinsam mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, sagte Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, im DLF. Denn Assad sei für das Chaos in seinem Land verantwortlich.

Volker Perthes im Gespräch mit Marina Schweizer | 26.08.2014
    Der deutsche Politologe Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik
    Der Politologe Volker Perthes (picture-alliance/ ZB/ Jan Woitas)
    "Es gäbe keinen Islamischen Staat in Syrien, wenn Assad sein Land vernünftig regiert hätte", betonte Perthes im Deutschlandfunk. In der Vergangenheit war der Widerstand des Assad-Regimes gegen den Islamischen Staat nach Ansicht des Politologen eher gering, weil die Terrorgruppe in Gebieten aktiv war, die Assad schon verloren hatte. Inzwischen werde die Miliz aber auch für den Machthaber selbst gefährlich.
    Dabei sei dennoch möglich, dass die USA in Syrien aktiv würden, sagte der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Es gibt keine wirksamen Grenzen mehr zwischen Syrien und Irak und insofern werden Maßnahmen der Amerikaner gegen den Islamischen Staat sich wahrscheinlich auch nicht an die territorialen Grenzen des Irak halten." Für Waffenlieferungen an gemäßigte syrische Rebellen ist es es nach Einschätzung von Perthes derzeit zu spät.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Über die jüngsten Pläne der USA für Erkundungsflüge über Syrien haben schon berichtet. Eine wirkliche Strategie für die Region ist bisher kaum erkennbar. Dabei müssen sich Regierungen überall auch Gedanken machen, wie sie reagieren, wenn ihre Landsleute entführt werden. Während die USA und Großbritannien etwa Lösegeldzahlungen strikt ablehnen, verläuft die Diskussion hierzulande etwas anders, auch wenn die Regierung hier ebenfalls Lösegeldzahlungen nicht bestätigt, oder diese bestreitet. Meine Kollegin Marina Schweizer hat gestern Abend unter anderem darüber mit Volker Perthes gesprochen, dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ihre Frage war: Ist das Verweigern von Lösegeld vielleicht die wirksamste Waffe gegen die Extremisten des Islamischen Staates?
    Volker Perthes: Es ist richtig, wenn Staaten keine Lösegelder zahlen. Gleichwohl kann man Familien nicht verbieten, für ihre Angehörigen Geld aufzubringen, dieses zu mobilisieren. Und wenn wir uns die Gesamtfinanzierung von so etwas wie dem Islamischen Staat anschauen, dann scheint mir, dass das Erpressen von Lösegeldern nicht die wichtigste Finanzquelle ist. Zurzeit finanziert sich der Islamische Staat, der sogenannte Islamische Staat sicherlich im Wesentlich aus den Gebieten selbst, die er heute kontrolliert, also aus dem, was er Steuereinnahmen nennt und was man gut auch Schutzgeld-Erpressung nennen kann von den Menschen, die dort wohnen und arbeiten und Geschäfte machen.
    Marina Schweizer: Können Sie da ein bisschen konkreter werden?
    Perthes: Na ja! Schon bevor das sogenannte Kalifat erklärt worden ist, hat man etwa in der Großstadt Mossul im Irak gesehen, dass die Banden des Islamischen Staates bei Händlern und Handwerkern, Gewerbetreibenden vorbeigegangen sind und gesagt haben, ihr zahlt eine Abgabe an den Islamischen Staat, oder wir können euch nicht schützen, oder es passiert euch etwas. Das hat es über Monate schon gegeben, bevor die Stadt Mossul überrannt worden ist. Das hat es in anderen Städten gegeben, das gibt es in Rakka, wo der Islamische Staat ja auch schon dazu kommt, die Kontrolle über die Ölfelder im Osten Syriens zu übernehmen. Das Öl wird weiter gefördert, das Öl wird verkauft, notfalls auch oder häufig sogar an das Regime von Präsident Baschar al-Assad.
    "Gewalt zahlt sich manchmal eben schon aus"
    Schweizer: Die Terrorgruppe wird ja auch durch Zulauf stärker. Hunderte Kämpfer sollen allein am Wochenende in Syrien übergelaufen sein. Wie lässt sich denn dieses starke Wachstum erklären?
    Perthes: Na ja. Bei vielen der Fraktionen oder Milizen, die gegen das Assad-Regime kämpfen, oder die dafür kämpfen, lokal Macht zu übernehmen - wir haben ja auch kriminelle Banden darunter -, schließt man sich im Zweifelsfall den Stärkeren an, besser als von denen besiegt und gegebenenfalls exekutiert zu werden. Gewalt zahlt sich manchmal eben schon aus, egal ob bei der Schutzgeld-Erpressung, oder wenn etwa auch im Osten Syriens gezeigt wird, dass Stämme und Stammesvertreter, die sich gegen die Herrschaft des sogenannten Islamischen Staates auflehnen, dann von den Schergen dieses Islamischen Staates massiv bestraft werden, indem Dutzende oder gar Hunderte von Stammesvertretern exekutiert werden.
    Schweizer: Amerika, die USA hält ja ein Eingreifen auch in Syrien mittlerweile für möglich, und die Regierung in Damaskus hat jetzt die Hand ausgestreckt in Richtung Westen. Man sei auch zur Zusammenarbeit bereit, erwartet aber Absprache. Welche Handlungsoptionen gibt es denn überhaupt für den Westen, jetzt, ohne dabei dem Assad-Regime zu helfen?
    Perthes: Ja man sollte nicht aus dem Auge verlieren, dass das Assad-Regime ähnlich, aber schlimmer noch - wie der ehemalige Premierminister Maliki im Irak -, für das Chaos in seinem Land verantwortlich ist. Es gäbe keinen Islamischen Staat in Syrien, wenn Assad sein Land vernünftig regiert hätte, wenn er nicht angefangen hätte, auf Demonstranten zu schießen, wenn er bereit gewesen wäre, ein inklusives Regime aufzubauen. Da können Sie sagen, das ist jetzt verschüttete Milch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Westen oder wesentliche arabische Staaten sagen, wir arbeiten jetzt mit Assad zusammen. Es kann eine gewisse Parallelität geben, da das Assad-Regime jetzt beginnt, selber auch einzelne militärische Aktionen gegen den sogenannten Islamischen Staat vorzunehmen. Aber Sie haben recht und Herr Hagel hat wahrscheinlich recht, wenn man einfach feststellt, es gibt keine wirksamen Grenzen mehr zwischen Syrien und Irak, und insofern werden Maßnahmen der Amerikaner gegen den Islamischen Staat wahrscheinlich auch sich nicht an die territorialen Grenzen des Irak halten.
    "Mit lachendem Auge zugeschaut"
    Schweizer: Auch Angriffe ohne Absprache in Syrien gegen die Terrormiliz würden ja Assad unterstützen, weil sie ja auch ihm gefährlich wird, diese Terrormiliz.
    Perthes: Ja, sie wird ihm allmählich auch gefährlich. Das hat man zuletzt jetzt gesehen bei der Übernahme dieses Militärflughafens im Norden Syriens durch den Islamischen Staat. Diesen Militärflughafen wollte Assad sicherlich halten. In der Vergangenheit war der Widerstand des Assad-Regimes gegen den sogenannten Islamischen Staat eher gering, weil das ohnehin Gebiete waren, die Assad verloren hatte - den größten Teil des Ostens und Nordostens des Landes -, und es ihm dann lieber war, wenn es einen Krieg zwischen den Oppositionskräften gab und der Islamische Staat die moderaten Oppositionskräfte marginalisiert oder sogar besiegt hat. Da hat man aus Damaskus eher mit, na ja, lachendem Auge zugeschaut. Jetzt sieht man tatsächlich, der Islamische Staat besiegt möglicherweise nicht nur die moderate Opposition, sondern wird zu einem echten Gegner auch für die Landesteile, die für Assad wichtig sind, die er auf jeden Fall halten will.
    Schweizer: Sie sprechen hier die moderate Opposition an. Welche Auswirkungen könnten denn aus Ihrer Sicht Waffenlieferungen an gemäßigtere syrische Rebellen haben?
    Perthes: Ich befürchte fast, dass es dafür zu spät ist. Das wird ja nun seit drei Jahren diskutiert, ob man die moderate Opposition vernünftig ausrüstet, vernünftig ausbildet. Das mag hier und da und kann hier und da helfen, wo die moderate Opposition noch Gebiete hält, also in einigen Gebieten des nordwestlichen, nördlichen Syriens möglicherweise. Aber ein richtig effektiver Faktor gegen den Islamischen Staat ist die moderate Opposition heute nicht. Die ist am besten dort, wenn es wieder einmal zu politischen Gesprächen kommen sollte, aber davon sind wir noch lange entfernt.
    Klein: Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit ihm sprach gestern Abend meine Kollegin Marina Schweizer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.