Archiv

Kampf gegen Rassismus in deutschen Unternehmen
"Nur ein ganz, ganz kleiner Teil meint das tatsächlich ernst"

Gesellschaftlich gängige Klischees spiegelten sich eins zu eins in den Unternehmen in Deutschland wider, sagt der Berater Jürgen Schlicher. Antidiskriminierungsmaßnahmen gebe es nur in einem kleinen Teil. Möglicherweise müssten Quoten eingeführt werden, um für eine größere Vielfalt in Firmen zu sorgen.

Jürgen Schlicher im Gespräch mit Katja Scherer |
Meschen sitzen in einem loftartigen Büro mit Planzen an ihren Arbeitsplätzen.
Schöne neue Arbeitswelt: Diskriminierung ist aber oft der Alltag (imago images / Westend61 / Bonninstudio)
Katja Scherer: Seit der Ermordung des US-Amerikaners George Floyd Ende Mai durch einen amerikanischen Polizisten gibt es weltweit immer mehr Demonstrationen gegen Rassismus. Auch in Deutschland sind am Wochenende in vielen Städten Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Dabei geht es nicht nur um Polizeigewalt, sondern auch um die Tatsache, dass zum Beispiel in den USA Menschen mit dunkler Hautfarbe deutlich schlechtere Berufschancen haben. Der Unternehmensberater Jürgen Schlicher coacht seit über 15 Jahren Unternehmen im Umgang mit Rassismus. Wie ist das in Deutschland? Ist Rassismus im Berufsalltag ein großes Problem?
Jürgen Schlicher: Das kann man tatsächlich nur fragen, wenn man selber diese Erfahrung nicht hat. Ich mache seit vielen, vielen Jahren die Rassismusworkshops eben auch in Unternehmen, was wir da für Geschichten zu hören kriegen, welche Erfahrungen schwarze Menschen machen, welche Erfahrungen Menschen mit einem Zuwanderungshintergrund machen, das ist absolut unglaublich. Wenn Sie es nicht wissen, wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, schauen Sie einfach auf Twitter mal #SchwarzesDeutschland, da posten gerade ganz viele schwarze Menschen, was ihnen tagtäglich in Deutschland auch eben in der Arbeitswelt passiert.
"Da wird bei Personalverwaltungen systematisch aussortiert"
Scherer: Was passiert ihnen denn, können Sie mal konkrete Beispiele nennen?
Schlicher: Das geht von dieser Übergriffigkeit, dass Leuten dauernd in die Haare gegriffen wird, dass dauernd gefragt wird, woher kommst du, und die Antwort reicht nicht aus, dass man sagt, man kommt aus Köln oder aus Düsseldorf. Das nehmen Menschen schon als eine Übergriffigkeit wahr, weil sie mitkriegen, dass andere Kolleginnen und Kollegen sowas nicht gefragt werden oder eine Antwort immer gleich in Ordnung ist. Und dann geht es tatsächlich weiter über die Fragen, wer wird eigentlich befördert, wer wird in den Kundenkontakt gelassen. Ich habe aus den letzten Jahren tatsächlich noch so Zitate, ich kann doch in einer Bank keinen schwarzen Mitarbeiter vorne an den Tresen stellen, das geht doch nicht. Da ist so ein vorauseilendes Gehorsam, weil vielleicht die Kunden irgendwelche Schwierigkeiten hätten haben können, werden tatsächlich bei Personalverwaltungen Sachen systematisch aussortiert.
Scherer: Kann man denn sagen, dass das bestimmte Bereich oder auch Branchen der Wirtschaft besonders trifft?
Schlicher: Ja, also unserer Erfahrung nach, da wo Wirtschaftsbetriebe sehr männlich geprägt sind, sind sie auch in ihrer Gesamtheit sehr homogen, das heißt je kleiner der Frauenanteil ist, desto kleiner wird wahrscheinlich auch der Anteil der Menschen mit Zuwanderungshintergrund und schwarzen Menschen sein, weil da so eine starke Homogenität herrscht, dass Menschen, die verantwortlich sind, andere Menschen einzustellen, gar nicht auf die Idee kommen zu sagen, oh, da müssen wir ja für Vielfalt sorgen.
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
"Dann sind das angeblich Einzelfälle"
Scherer: Erkennen Firmen denn dieses Problem, also nicht bezogen auf Diversität insgesamt, sondern das Problem Rassismus in ihren eigenen Reihen an?
Schlicher: Es wird halt sehr schnell gesagt, nee, so etwas haben wir nicht. Wenn es dann Fälle gibt, die dann öffentlich werden, dann sind das angeblich Einzelfälle. Wenn man dann ein bisschen dahinter schaut, merkt man, das, was wir an gesellschaftlich gängigen Klischees haben, das spiegelt sich eins zu eins in den Unternehmen wider. Und es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, die seit Jahren beispielsweise über die Charta der Vielfalt angefangen haben zu sagen, wir brauchen so etwas wie diversity management. Und ein ganz kleiner Teil von denen, die das sagen, sagt auch: Und wir brauchen Antidiskriminierungsmaßnahmen bei uns im Unternehmen. Dazu sind eigentlich alle Unternehmen verpflichtet, die müssen ja Antidiskriminierungsbeauftragte haben, die müssen auch ihre Mitarbeiter schulen dahingehend, aber das ist tatsächlich nur ein ganz, ganz kleiner Teil, der diese Auflagen erstens erfüllt und das zweitens tatsächlich ernst meint und zwar ernst meint vor dem Hintergrund, dass natürlich eine Teamarbeit in einem Unternehmen nur dann möglich ist, wenn Leute aufgrund dessen anerkannt sind, wie qualifiziert sie sind – und nicht deswegen, weil sie Männer, Frauen, Schwarze oder Zugewanderte sind.
"Mit der Charta der Vielfalt ist es nicht getan"
Scherer: Das heißt, diese Selbstverpflichtung, die Charta der Vielfalt hatten Sie es genannt, das wirkt offenbar nicht so richtig. Wie könnte man das schaffen, dass Rassismus aus der deutschen Wirtschaft, aus dem deutschen Wirtschaftsalltag verschwindet oder zumindest schon mal minimiert wird als ersten Schritt?
Schlicher: Ich würde Ihnen gerne widersprechen. Die Charta der Vielfalt, ich halte das für sehr, sehr wichtig und ich halte es auch für sehr wichtig, dass Unternehmen das unterschreiben. Aber damit ist es nicht getan. Es gibt aber, und wir beraten ja eine ganze Reihe von Unternehmen auch seit vielen Jahren auch zu diesen Themen, die Möglichkeit zu sagen, okay, wir brauchen so etwas wie einen Notfallplan, wenn eine Person so etwas wie eine Diskriminierungserfahrung macht, wohin muss die sich wenden, wie wird dann reagiert, was sind die Maßnahmen, die dann getroffen werden. Und, was noch dazukommt, ist leider ätzend, aber wir müssen es machen, Erbsenzählerei. Wir müssen gucken, diskriminieren wir vielleicht unabsichtlich, also sieht es bei uns so aus, dass bestimmte Gruppen von Personen bei uns im Unternehmen gar nicht landen aufgrund der Personalpolitik, die wir betreiben, und woran liegt das und wie können wir das ändern. Und vielleicht kommen wir dann auch an Quoten nicht vorbei.
"In den meisten Fällen kaufen sich Unternehmen frei"
Scherer: Das wäre auch meine nächste Frage gewesen. Also offenbar geht der Wandel in Unternehmen selbst ja recht langsam voran. Muss da der Gesetzgeber nachbessern? Und wenn Sie sagen Quote, wie genau könnte man da vorgehen?
Schlicher: Also das ist kein Neuland, da gibt es eine ganze Reihe von Ländern, die uns da schon lange was vormachen. Beispielsweise könnte man ja sagen, dass es Fördergelder immer nur da gibt, wenn sich Leute selbst verpflichten. Sozusagen nicht diskriminieren in der Einstellungspraxis, das könnte man ja grundsätzlich tun. Ich glaube, die Diskussion ist in Deutschland noch sehr weit entfernt davon. Sie haben ja gerade mitgekriegt, welche Proteste es immer hagelt, wenn man über eine Frauenquote redet, aber tatsächlich wird es in anderen Bereichen so sein. Wir haben es im Moment ja tatsächlich nur bei Menschen mit Behinderungen, wo gesagt wird, wir brauchen eine feste Quote dafür. Das funktioniert manchmal, in den meisten Fällen kaufen sich Unternehmen aber auch da frei, weil nicht das Bewusstsein darüber geschärft worden ist, dass alle Menschen in dieser Gesellschaft, unterschiedlich, welche Voraussetzungen sie mitbringen, sehr, sehr hilfreich sein können, wenn ich die mit ihren Perspektiven im Unternehmen habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.