Samstag, 20. April 2024

Kampf gegen Steueroasen
Was hinter der globalen Mindeststeuer steckt

136 Länder haben sich nach jahrelangen Verhandlungen auf Details für eine Steuerreform geeinigt. Befürworter dieser globalen Mindeststeuer sprechen von einem historischen Durchbruch im Kampf gegen Steuervermeidung. Es gibt allerdings auch Kritik.

14.10.2021
    Bauarbeiter arbeiten auf einem Gebäude, an dem das große "G" für Google steht
    Der Steuerwettbewerb zwischen Ländern nützte bislang vor allem global agierenden Digitalkonzernen wie Google (picture alliance / Eric Gay)
    Im Juli 2021 hatten sich zunächst die Finanzminister der G20-Staaten auf einen global einheitliche Mindeststeuersatz für Großkonzerne von mindestens 15 Prozent geeinigt. Die Reform soll möglichst 2023 in Kraft treten. Verhandelt worden war darüber – koordiniert von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – bereits seit Jahren. Ungarn hatte sich allerdings zunächst gegen das Vorhaben gewandt, ebenso wie Irland und Estland, alle drei Länder stellten sich aber nun doch hinter das Abkommen. Damit sind nun 136 von 140 Länder an der Einigung beteiligt (13. Oktober 2021) .
    Aktuell, 29.06.2021, Duisburg, Olaf Scholz im Portrait, Bundesfinanzminister und SPD Kanzlerkandidat zu Gast im Huettenwerk Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg
    Finanzminister Scholz: "Wir kriegen eine Regelung hin, die Substanz hat"
    Finanzminister Olaf Scholz (SPD) rechnet mit Milliarden an zusätzlichen Einnahmen für Deutschland durch eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent. Er verteidigt das Projekt der OECD-Länder im Dlf.
    Die Motivation für die neue Regelung sind Steuervermeidungsstrategien großer Konzerne, die vielfach Gewinne rechnerisch in Länder mit niedrigen Steuersätzen verschieben. Insbesondere Digital-Konzerne wie Amazon, Facebook und Apple, allesamt Gewinner der Coronakrise, agieren so, weshalb auch von einer Digitalsteuer die Rede ist.
    Allerdings haben unter dem Dach der Industriestaaten-Organisation OECD nicht alle Länder mitgezogen, was Unternehmen weiterhin Möglichkeiten geben dürfte, Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verschieben. Nigeria, Kenia, Pakistan und Sri Lanka haben bereits angedeutet, sich nicht an der Einigung beteiligen zu wollen.
    Was sieht die neue Regelung zur globalen Mindeststeuer vor?
    Die globale Mindeststeuer für Großkonzerne mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro soll in Höhe von mindestens 15 Prozent erhoben werden. Technisch würde die Mindeststeuer auf Gewinne im Ausland anfallen. Jede Regierung kann zwar noch ihre eigenen Sätze festlegen, zahlt ein Konzern im Ausland aber beispielsweise zwölf Prozent, könnte das Heimatland des Unternehmens die Differenz zur Mindeststeuer verlangen.
    Besonders große und profitable Unternehmen – mit einem Jahresumsatz von mindestens 20 Milliarden Euro und einer Ertragsmarge von mehr als zehn Prozent – sollen stärker als bisher in den sogenannten Marktstaaten Steuern abliefern. Das sind oft Schwellenländer. Die Marge soll berechnet werden als Vorsteuergewinn im Verhältnis zum Umsatz. Bei der Umsatzschwelle soll, sieben Jahre nach Inkrafttreten der Neuregelung, geprüft werden, ob es sinnvoll ist, sie von 20 auf zehn Milliarden Euro abzusenken. Insidern zufolge gibt es für Amazon eine Sonderregelung, weil der Online-Händler als Ganzes nicht profitabel genug ist – einzelne Segmente aber beide Kriterien erfüllen.
    Warum wird eine globale Mindeststeuer für notwendig erachtet?
    Die Steuerregeln passen nicht mehr zum Digitalzeitalter. Viele Unternehmen - besonders die Digitalkonzerne wie Amazon, Google, Facebook und Apple - haben in Ländern, in denen sie prächtig Geld verdienen, keine physische Präsenz mehr - also etwa Fabriken wie klassische Industriekonzerne. Ihre Gewinne basieren auf Patenten, Software und Lizenzeinnahmen. Diese haben sie aber in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr in Niedrigsteuerländer verschoben. So zahlen die größten Konzerne der Welt oft deutlich weniger Steuern als etwa ein Mittelständler oder der Bäcker.
    Schwellenländer mit riesigen Bevölkerungen - Indien, Brasilien oder China zum Beispiel - sind für große Konzerne wichtige Märkte, ihre Steuern zahlen sie aber in Irland oder auf den Kanal-Inseln. Auch sie fordern daher seit langem Änderungen.
    Der europäische Hauptsitz von Amazon in Luxemburg
    Steueroase Luxemburg - Mit dieser Methode spart Amazon Steuern
    Der Amazon-Konzern lässt 75 Prozent seiner Geschäfte außerhalb der USA über Tochterunternehmen in Luxemburg laufen. Dort fährt das Unternehmen gezielt Verluste ein, die in Steuerrabatte umgewandelt werden.
    Steueroasen sind Länder wie die Kanalinseln Jersey und Guernsey, die Bahamas oder die Vereinigten Arabischen Emirate – sie erheben deutlich weniger als 15 Prozent Steuern. In Europa hat Irland einen Satz von 12,5 Prozent, Bulgarien liegt bei zehn Prozent und Ungarn bei neun Prozent. Länder wie Luxemburg und Malta haben zwar hohe nominale Steuersätze, aber räumen Unternehmen bedeutende Ausnahmeregelungen ein.
    Außenansicht des US-Finanzministeriums
    Eine Steuer für gerechtere Wettbewerbsbedingungen
    Staaten unterbieten sich bei der Besteuerung von Unternehmen. Viele Weltkonzerne zahlen deshalb kaum Abgaben. Verlierer sind Staaten wie die USA, Frankreich oder Deutschland, aber auch viele Entwicklungsländer.
    Was bringt eine globale Mindeststeuer den Staaten?
    Vielen Staaten mit durchschnittlichen oder höheren Unternehmenssteuern – wie Deutschland und Frankreich entgehen durch diese Unternehmensstrategien beträchtliche Einnahmen. Geld, das nun beispielsweise zur Bewältigung der Coronavirus-Pandemie fehlt.
    Die OECD rechnet bei der Mindeststeuer von 15 Prozent mit Mehreinnahmen von rund 150 Milliarden Dollar pro Jahr. Bei der anderen Säule - der Verteilung von Besteuerungsrechten - sollen die Marktstaaten zusätzlich mehr als 125 Milliarden Dollar pro Jahr vom Steuerkuchen abbekommen - 25 Milliarden mehr als noch im Sommer angepeilt. Für die gesamte Europäische Union geht die EU-Steuerbeobachtungsstelle von fast 50 Milliarden Euro zusätzlich aus.
    Das Bundesfinanzministerium hat noch keine genauen Berechnungen für Deutschland, Experten schätzen aber, dass die Reform viele Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen auch hierzulande in die Staatskasse spülen könnte. Damit würde Deutschland zu den größten Gewinnern der globalen Mindestbesteuerung gehören. Das Abkommen werde vor allem den Mittelstand gegenüber dem unfairen Wettbewerb multinationaler Konzerne schützen und damit auch Arbeitsplätze in Deutschland sichern, so Steuerexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
    Jemand sitzt mit einem Laptop und einer Tasse Kaffee auf einem Holzboden und hat eine Amazon-Website geöffnet
    Ökonom: "Unser Steuersystem ist noch am industriellen Zeitalter orientiert"
    Frankreichs Alleingang bei der Digitalsteuer hält der Ökonom Thomas Gegenhuber für riskant, aber sinnvoll. Das Thema drohe sonst unterzugehen, so der Experte für digitale Transformation.
    Welche Reaktionen und Kritik gibt es?
    Die 15 Prozent sind ein Kompromiss. Bei dieser vergleichsweise niedrigen Schwelle besteht die Hoffnung, dass der Widerstand der Gegner das Vorhaben nicht zum Kippen bringen wird. Die neue US-Regierung hatte zuvor einen Satz von 21 Prozent vorgeschlagen und war später dann auf 15 Prozent zurückgerudert.
    Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel würdigte die Einführung einer globalen Mindeststeuer im Deutschlandfunk-Interview als Gamechanger. Das jahrzehntelange System des Steuerdumpings würde durchbrochen. Allerdings betonte er: "Steueroasen werden nicht ausgetrocknet werden." Ab 15 Prozent werde unter den Unternehmen zukünftig weiter konkurriert.
    Hickel nannte dazu das Beispiel Deutschland: "Die Unternehmensbesteuerung der Kapitalgesellschaften liegt im Durchschnitt in Deutschland bei 30 Prozent. Wir erhalten jetzt die Mindeststeuer von 15 Prozent. Das heißt, wenn ein deutsches Unternehmen im Ausland nur zehn Prozent bezahlt, dann muss der deutsche Staat nach der Mindeststeuer fünf Prozent zusätzlich erhalten. Aber damit bleibt das Steuergefälle. Das ist die große Schwäche. Oberhalb der 15 Prozent wird die Konkurrenz weiter vorangetrieben."
    Entwicklungshilfeorganisationen wie Oxfam International kritisieren zudem, dass die geplante weltweite Mindeststeuer den niedrigen Steuersätzen in Steueroasen wie Irland, der Schweiz oder Singapur zu ähnlich sei. Und die Organisation "International Tax Justice Network", die sich für Steuergerechtigkeit einsetzt, hält die Pläne zudem für unfair: Nur die reicheren Länder würden bei dieser Regelung davon profitieren. Ein Steuersatz von weniger als 25 Prozent bedeute, den Wettlauf nach unten am Leben zu erhalten.
    Die Ökonomen Gabriel Zucman und Thomas Piketty halten 15 Prozent ebenfalls für nicht ausreichend. Sie verweisen darauf, dass die durchschnittliche Körperschaftssteuer weltweit von 50 Prozent im Jahr 1985 auf heute 22 Prozent gesunken ist.
    US-Finanzministerin Janet Yellen beim Finanzministertreffen der G20 am 9.7.2021 in Venedig
    Toncar (FDP): "Bedeutender Fortschritt gegen aggressive Steuervermeidung"
    FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar begrüßt die Einigkeit über eine weltweite Mindeststeuer für Unternehmen. Es gebe aber auch einen Wermutstropfen für Exportländer wie Deutschland.
    Wie kam die Einigung zustande?
    Die Einigung galt ein zentraler Schritt in einer seit Jahren vorbereiteten Reform des internationalen Steuersystems. 2017 hatte die G20-Gruppe der Industrie- und Schwellenländer die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beauftragt, Mittel und Wege für eine gerechtere Steuerverteilung auszuloten. Die Arbeit der 38 Länder umfassenden OECD hatte aber durch den Machtwechsel in den USA Auftrieb erhalten. Der seit Anfang 2021 amtierende neue US-Präsident Joe Biden ist für einen globalen Mindeststeuersatz für Unternehmen.
    In Europa hatten besonders Deutschland und Frankreich seit Jahren für eine Mindeststeuer-Regelung gekämpft. Im Zuge der Corona-Pandemie suchen die Länder außerdem nach neuen Einnahmequellen, um ihre enormen Konjunkturprogramme zu bezahlen.
    (Quellen: Theo Geers, rtr, dpa)