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Kampf um Mossul
"90 Prozent der Toten werden Zivilisten sein"

Bei der Befreiung der irakischen Stadt Mossul von der islamistischen Terrormiliz IS würden schlimmere Zerstörungen angerichtet als in Aleppo, sagte der Publizist Jürgen Todenhöfer im DLF. Die Stadt werde platt gemacht und vor allem von den US-Amerikanern kurz und klein gebombt. "Was sie da anrichten ist schlimm."

Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.03.2017
    Jürgen Todenhöfer, Publizist und Journalist, sitzt am 22.11.2015 in Berlin im Gasometer als Gast in der ARD-Talkreihe Günther Jauch.
    Jürgen Todenhöfer: Publizist, Journalist sowie Ex-CDU-MdB (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    Tobias Armbrüster: Es ist eine Schlacht, über die wir seit Monaten hier im Deutschlandfunk immer wieder berichten: Der Kampf um Mossul, der Versuch der irakischen Armee und ihrer Verbündeten, diese Stadt Mossul zu befreien aus den Händen des sogenannten Islamischen Staates. Diese Offensive, die dauert bereits ein gutes halbes Jahr an. Immer wieder hören wir von Gefechten, von Luftangriffen und von Stadtteilen, die dem Erdboden gleichgemacht werden.
    Der Publizist und ehemalige CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer hat jetzt wieder versucht, sich selbst ein Bild von der Lage in diesem Kriegsgebiet zu machen. Er ist gestern aus Mossul zurückgekehrt, jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Todenhöfer.
    Jürgen Todenhöfer: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Todenhöfer, ist das überhaupt möglich, sich in Mossul als Nichtsoldat zu bewegen?
    "In zertrümmerten Gebäuden liegen verfaulende IS-Kämpfer"
    Todenhöfer: Ja, ganz schwer. Sie brauchen einen irakischen Begleiter und sie brauchen bestimmte Ausweise, dass die Militärs sie überhaupt durchlassen. Und wir haben es geschafft, dass dann jemand mit uns auch mehrfach an die Front gegangen ist, von den verschiedenen Einheiten der Amerikaner, der verschiedenen Truppen der Iraker, und die haben ein ganz schönes Risiko auf sich genommen. Wir waren teilweise bis zu 100 Meter an der Front, wurden entsprechend auch beschossen, auch von Scharfschützen ins Visier genommen, und das ist schon sehr, sehr schwierig. Ich glaube, ich würde manche Fahrt, die ich in Mossul gerade gemacht habe, wenn ich vorher gewusst hätte, was da geschieht, nicht machen. Da liegen auf den Straßen tote IS-Kämpfer, die nicht evakuiert werden können. Wenn sie hingehen, werden sie eben beschossen. Oder es liegen in zertrümmerten Gebäuden verfaulende IS-Kämpfer. Das ist eine unvorstellbare Situation. Und die Zerstörungen – ich war vor, ich glaube, sechs Wochen in Ost-Aleppo -, die Zerstörungen sind größer als in Aleppo. Was sie da anrichten ist schlimm.
    Armbrüster: Was sagen Ihnen denn die irakischen und die amerikanischen Soldaten, mit denen Sie dort gesprochen haben?
    "Wenn die einrücken, gehen sie ganz schlimm mit der Bevölkerung um"
    Todenhöfer: Die sagen das, was ein Soldat sagen darf. Das sind teilweise ganz erfrischende Leute und dann teilweise auch sehr brutale Leute. Wir haben in einer kleinen Straße plötzlich gesehen, dass drei IS-Gefangene mit gesenkten Häuptern, verbundenem Gesicht, barfuß aus einem Haus abgeführt wurden, und mein Sohn hat sofort versucht zu filmen, hat auch einen Teil auf den Film draufgekriegt. Wir sind ausgestiegen und dann kamen die nächsten neun, darunter zwei ältere Männer, die abgeführt wurden mit verbundenen Augen, teilweise als IS-Kämpfer, teilweise als angebliche Kollaborateure, und da standen amerikanische Humvees, da standen Polizeieinheiten, und es kam dann, obwohl Frederic aufhörte zu fotografieren und zu filmen, zu teilweise wüsten Handgemengen. Die gingen auf uns los und ich habe denen dann gesagt, hallo, wir Deutschland, was ich allerdings sehr bedauere, finanziert diesen Krieg ja mit, und wir wurden hin und her geschubst und gestoßen. Ich konnte allerdings trotzdem mit den drei gefangenen IS-Kämpfern sprechen, die natürlich bestritten hatten, dass sie IS-Kämpfer sind. Ein ganz schlimmes Handgemenge. Das hätte jeden Augenblick explodieren können. Das endete damit, dass dann einer mit einem Eisenstab oder Aluminiumstab, Metallstab hinter den acht oder neun gefangenen IS-Kollaborateuren und Kämpfern herrannte und auf sie einprügelte. – Sie haben Soldaten, die ihren Befehlen und den Vorgaben, die sie haben, wie sie sich verhalten sollen, folgen, aber sie haben auch absolute Brutalos. Mein Sohn, als er das gesehen hat, wie das auf der Straße gegenüber den IS-Kämpfern vorkam, das war genau das, was beschrieben wird, dass die dann irgendwann, wenn die einrücken, ganz schlimm mit der Bevölkerung umgehen.
    Armbrüster: Das wollte ich gerade fragen. Was haben Sie gesehen von der Zivilbevölkerung, abgesehen von den IS-Milizionären und irakischen oder amerikanischen Einheiten? Was sagen Ihnen Menschen aus der Bevölkerung?
    "Die Menschen werden pflichtschuldigst jubeln"
    Todenhöfer: Die Menschen aus der Bevölkerung sind sehr vorsichtig geworden. Die sagen nicht mehr viel. Sie waren vorher unter einer schiitischen Regierung und mussten sich da verbeugen, und dann kam der IS und dann mussten sie sich vor dem IS verbeugen. Und jeder, der sich damals vor dem IS verbeugt hat, kriegt jetzt größte Schwierigkeiten. Also halten sie sich zurück! Und wenn dieser Krieg um Mossul irgendwann entschieden ist – und er wird in ein paar Monaten entschieden sein -, dann werden sie pflichtschuldigst jubeln. Sie werden sogar innerlich jubeln, weil das Bomben aufhört und dieser grauenvolle IS weg ist, aber sie haben alles verloren. Wir haben da eine Strategie, die ich für absurd, pervers und auch für kriminell halte.
    Armbrüster: Das müssen Sie erklären.
    Todenhöfer: Wie bitte?
    Armbrüster: Das müssen Sie erklären.
    "90 Prozent der Toten werden Zivilisten sein"
    Todenhöfer: Wir haben 2.000 geschätzt, manche sagen, es seien noch weniger, 2.000 IS-Terroristen noch in West-Mossul. Das ist der ältere Teil der Stadt. Das ist auch der schwierigere Teil der Stadt. Da sind die Straßen kleiner und das ist das eigentliche Mossul, und da geht es jetzt rein. Aber die Strategie besteht darin, dass vor allem die Amerikaner den Abschnitt, den sie erobern wollen, kurz und klein bomben. Und wenn dann alles kurz und klein gebombt ist – und in der Regel werden da 90 Prozent der Toten Zivilisten sein, dann gehen die irakischen Sondereinheiten, also die goldene Division, bei der wir auch waren, oder andere Einheiten rein und machen den Rest. Was ist das für eine Strategie, dass man eine Stadt plattmacht und dann reingeht und erobert? Und die Stadt wird plattgemacht mit einer Strategie, die wir sehr genau beobachten konnten, denn ich war auf der Dachterrasse eines der vorgeschobenen Hauptquartiere der amerikanischen Armee, die teilweise in irakischen Uniformen, was alles verboten ist, herumläuft, und die schiitischen Milizen laufen auch nicht mit ihren Abzeichen herum. Da sitzen dann auf einer Dachterrasse vier, fünf Offiziere mit ihren Computern und mit besonderen Apparaten, wo sie ganz genaue Luftaufnahmen, die wir auch sehen konnten, von einzelnen Zielen zugeliefert bekommen, via Satellit, über Drohnen, vielleicht auch über andere Flugzeuge, vielleicht sind sie auch daran beteiligt, und da werden die Ziele ausgewählt.
    "Ich spreche mit allen und mache mir dann ein Bild"
    Armbrüster: Herr Todenhöfer, entschuldigen sie, wenn ich sie unterbreche. Wir haben noch ungefähr eine halbe Minute und ich möchte gerne diese eine Frage noch stellen mit Bitte um eine kurze Antwort. Viele werfen Ihnen ja vor, dass sie nicht ganz unvoreingenommen in dieses Land gehen, sondern dass sie dort bei solchen Reisen immer auch wieder Partei ergreifen für Syriens Machthaber Assad. Was ist da dran?
    Todenhöfer: Aber wir reden ja jetzt über Irak und Assad ist Syrien. Was ich mache ist, was ich als Richter gelernt habe. Ich spreche immer mit beiden Seiten. Und wenn es noch mehr als zwei Seiten gibt, spreche ich mit allen. Daraus mache ich mir ein Bild.
    Armbrüster: Vielen Dank, Herr Todenhöfer, für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.