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Kannegießer: Gefahr der Übertreibung ist groß

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer warnt davor, die wirtschaftliche Erholung in Deutschland überzubewerten. Er sei froh über die Belebung der Nachfrage. Allerdings sei die Gefahr der Übertreibung groß und man dürfe jetzt nicht in Muster vor der Krise zurückfallen.

Martin Kannegießer im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 31.07.2010
    Jürgen Zurheide: Jetzt höre ich dann, haben wir dann Martin Kannegiesser und wollen über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland reden. Die Tarifrunden sind noch nicht eingeläutet, aber inzwischen reden alle von Aufschwung. Und die Frage ist natürlich: Die Gewerkschaften wollen schon mal einmal einen ordentlichen Schluck aus der Pulle haben; kann es dazu kommen und nicht? Wie ist die wirtschaftliche Lage, darüber wollen wir mit Martin Kannegiesser reden, dem Präsidenten von Gesamtmetall, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Kannegiesser!

    Martin Kannegiesser: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Kannegiesser, zunächst einmal: Wirtschaftliche Lage der Betriebe, ist die wirklich so gut, wie das alle im Moment reden, oder ist das wieder die typische Übertreibung mal ins Negative, jetzt ins Positive?

    Kannegiesser: Ja, das ist natürlich so, fast jedes Mal ist das so. Man muss dabei berücksichtigen, dass dieser letzte Absturz so tief und so eingreifend war, dass er jetzt allen noch in den Knochen steckt und jeder damit fast gerechnet hatte, dass wir, dass es noch wesentlich länger braucht, bis wir am Boden angekommen sind. Insoweit ist die Freude natürlich sehr groß, damit die Gefahr der Übertreibung. Aber wir müssen das Ganze natürlich in Relationen setzen. Wir sind noch lange nicht wieder da in weiten Sparten und Bereichen, wo wir vor Ausbruch der Krise waren. Also, wir sind glücklich, dass offensichtlich der Absturz zunächst zu Ende gekommen ist, dass es wieder belebt, dass die Nachfrage sich wieder belebt. Und aber jetzt schon sozusagen wieder zurückzufallen in Muster wie vor der Krise, das ist, das wäre absolut übertrieben und würde auch nach hinten rausgehen.

    Zurheide: Ist es exportinduziert, was wir da im Moment erleben? Das ist ja so die Nachrichten, die das zumindest in den Vordergrund stellen, Automobilkonjunktur läuft vor allem, weil im Ausland deutsche Autos gefragt sind, um ein Beispiel zu geben. Ist das eher exportinduziert, was wir da gerade wieder erleben?

    Kannegiesser: Ja, das ist insoweit ein Klassiker. Es ist wieder im Wesentlichen exportinduziert und einige Regionen haben sich sehr schnell erholt. Offensichtlich ist unser, und was wir auch eigentlich gehofft und erwartet hatten, bei Ausbruch der Krise, ist unser Angebot attraktiv, was wir den Märkten anzubieten haben, sodass jetzt nach Erreichen einer gewissen Normalisierung wieder auch unsere Produkte nachgefragt werden. Allerdings muss man sehen, dass auch fast alle Firmen in allen Ländern der Welt in dieser letzten Zeit ihre Lagerbestände radikal und fast schon brutal runtergefahren haben, sodass wir teilweise ja auch schon Lieferengpässe hier und da hatten, weil die Firmen aufgrund der erwarteten und auch stattgefundenen langen Krise und der Finanzierungsprobleme fast auf Null waren mit ihren Lagerbeständen und die jetzt zunächst mal wieder aufgefüllt werden, damit wir wieder überall von einer normalen Lieferfähigkeit ausgehen können. Dass dies jetzt auf die Inlandsnachfrage dann überspringt, wenn es im Export gut läuft, und damit dann auch positiv beeinflussen wird die Inlandsnachfrage, davon kann man sicherlich mit der entsprechenden zeitlichen Verzögerung, davon kann man ausgehen.

    Zurheide: Herr Kannegiesser, dann kommen wir zur spannenden Frage, der letzten Frage jetzt nur noch mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wenn die Gewerkschaften dann jetzt schon ein bisschen mit den Säbeln rasseln und das Gefühl geben, jetzt müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch was davon abbekommen, haben Sie da ein gewisses Verständnis für oder sagen Sie, nein, gar nicht?

    Kannegiesser: Ich halte das für ein völlig falsches Signal im Augenblick. Das ist ein Scharren mit den Füßen, findet ja auch nur von einigen Gewerkschaften statt, die teilweise doch etwas weit von den Wertschöpfungsketten entfernt sind, von den wirklichen Wertschöpfungsketten. Ich denke, wir haben uns, wenn ich das in unserer Industrie sehe, bisher auf beiden Seiten vernünftig und fair verhalten. Wir haben auch dazu beitragen können, dass in dieser schwierigen Zeit wir Schwerpunkt gelegt haben auf Beschäftigungssicherung, das war für die Betriebe und für die Beschäftigten beide ein großes Opfer. Aber das ist uns gelungen in einem Ausmaß wie bisher noch nie. Sehen wir uns die Entwicklung in Amerika an, da haben wir beschäftigungsloses Wachstum jetzt. Genau das findet bei uns nicht statt aufgrund der …

    Zurheide: … jetzt muss ich mich einfach bei Ihnen bedanken, Herr Kannegiesser, weil wir nämlich gleich in die Nachrichten gehen. Herzlichen Dank für das Gespräch um 8:29 Uhr, danke schön!