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Kanzlerin Merkel in China
Vogel (FDP): "Nicht egal, was in Hongkong passiert"

Es sei nicht illegitim, dass die Hongkonger Demonstranten eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt verlangten, sagte der FDP-Politiker Johannes Vogel im Dlf. Er gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin ihren Einfluss genutzt habe, auch wenn sie keinen Zwischenstopp in Hongkong gemacht habe.

Johannes Vogel im Gespräch mit Sandra Schulz |
Eine deutsche Fahne weht vor der Großen Halle des Volkes in Peking.
Vogel (FDP) begrüßt, dass Kanzlerin Angela Merkel bei ihren China-Besuch das Thema Hongkong angesprochen hat. Außenminister Heiko Maas sei diesbezüglich in den letzen Wochen "nebulös" gewesen, sagte er im Dlf. (dpa/Michael Kappeler)
Sandra Schulz: Das Reisen nach Washington in die USA, dass die für Angela Merkel eine durchaus heikle politische Mission sind oder sein können, das ist relativ neu. Bei Staatsbesuchen in China ist das eher der Normalfall, und auf so einer heiklen Mission ist die Kanzlerin derzeit. Gestern hat sie in Peking den chinesischen Regierungschef Li Keqiang und Staatschef Xi Jinping getroffen, heute geht es weiter in die Provinz, wo Merkel vor Studierenden spricht. Darüber können wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist der FDP-Politiker Johannes Vogel, stellvertretender Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe und hat als solcher China besonders im Blick. Schönen guten Morgen!
Johannes Vogel: Guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Jetzt pocht Angela Merkel also auf die Rechte und Freiheiten der Hongkonger. Sie mahnt eine gewaltfreie Lösung an, das hat sie gestern so auf der Pressekonferenz mit Li Keqiang gesagt. Reicht das?
Vogel: Das werden wir ja in den nächsten Wochen sehen. Da ist natürlich, was die Bundeskanzlerin in China macht, nicht allein entscheidend, aber ich glaube, es ist schon wichtig. Also gerade Bundeskanzlerin Merkel wird in China sehr ernst genommen, und das ist, finde ich, Chance und Verantwortung zugleich, und wenn man dieser Tage auf China schaut und wenn einem die Freiheit am Herzen liegt, dann kann einem Hongkong ja nicht egal sein.
Vogel: Außenminister war in den letzten Wochen sehr nebulös
Schulz: Also Szenenapplaus von Ihnen heute Morgen.
Vogel: Nein, ich finde, ich habe es als absolut für eine notwendige Bedingung gehalten. Also die Bundeskanzlerin hat sich entschieden, dieser Tage auch nach China zu reichen, dann muss man das auch nutzen. Ich finde, zum respektvollen Dialog mit China gehört auch – und das gilt ja auch für die Bundeskanzlerin in der Vergangenheit –, dass man Meinungsverschiedenheiten nicht ausweicht.
In den letzten Wochen fand ich den Außenminister da, ehrlich gesagt, sehr nebulös, und ich bin froh, dass sie das klarer gemacht hat, denn China sagt ja selber, ein Land, zwei Systeme. Dazu gehört auch Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Hongkong. Ich hoffe, die Bundeskanzlerin war genauso klar in den vertraulichen Gesprächen, insbesondere mit Xi Jinping, weil das ist natürlich noch wichtiger.
"Es muss echte Verständigungsbereitschaft folgen"
Schulz: Hätte zu dem Signal dann nicht auch gehört, ein Zwischenstopp in Hongkong zu machen?
Vogel: Also wir haben das eher gemacht, als wir vor einigen Wochen selber auf einer FDP-Bundestagsfraktionsdelegationsreise waren. Wir haben uns in Hongkong dann auch mit Vertretern der Hongkonger Exekutive, aber auch demokratisch gewählten Oppositionsabgeordneten getroffen, weil wir das für wichtig halten und weil das auch Teil des Hongkonger basic law ist, also etwas, zu dem China sich ja offiziell auch bekennt.
Das hat in Peking nicht nur zu Freude geführt. Ich halte es aber für wichtig, dass man das tut. Die Bundeskanzlerin hat sich jetzt anders entschieden, das ist ihre souveräne Entscheidung. Ich hoffe und gehe davon aus, sie hat trotzdem ihren Einfluss genutzt, denn das ist entscheidend.
Wir haben, um das noch kurz zu ergänzen, in den letzten Tagen Bewegung gesehen in Hongkong. Die Hongkonger Exekutive hat das Gesetz endlich auch ganz formal zurückgezogen. Es muss natürlich jetzt auch echte Verständigungsbereitschaft folgen. Die Hongkonger Demonstranten verlangen zum Beispiel eine Untersuchung der Polizeigewalt, sagen auch, diese Untersuchung soll unabhängig sein und auch die Gewalt von Demonstranten umfassen. Also es ist keine illegitime Forderung. Es wird wichtig sein, dass es da jetzt in den nächsten Tagen weitergeht, dass es nicht nur bei einem kleinen Signal, interessanterweise kurz vor dem Besuch der Bundeskanzlerin, bleibt.
"Uns ist nicht egal, was in Hongkong passiert"
Schulz: Ja, das war ein Signal, aber was ja nicht so ganz klar war in der Aussagekraft, das waren die Äußerungen gestern des Regierungschefs Li Keqiang, der ja gesagt hat, dass Peking die Hongkonger Regierung unterstützt, wörtlich: Gewalt und Chaos im Rahmen der Gesetze zu beenden. War das eine Drohung?
Vogel: Ja, das ist wie so oft bei chinesischen Äußerungen offen. Ich glaube, auch ganz bewusst interpretationsfähig. Er hat dann noch hinzugefügt, China habe die Weisheit, eine solche Situation zu lösen. Das kann alles heißen. Umso wichtiger ist, glaube ich, dass wir als Westen und gerade auch als Europäer klarmachen, uns ist es nicht egal, was in Hongkong passiert, und wir schauen genau hin. Dass Hongkong Freiheiten hat, die China nicht hat, darauf zu pochen, das ist nicht eine Einmischung in innere Angelegenheiten, das die Chinesen ja gerne von sich weisen, sondern das ist einfach ein Erinnern Chinas an die eigenen Zusagen, und daran hat China ja mit Blick auf seine Verlässlichkeit auf globaler Ebene ein eigenes Interesse. Darauf müssen wir aber auch pochen. In den letzten Wochen, wie gesagt, waren die Europäer da nicht so klar wie die Amerikaner. Ich wäre froh, wenn sich das ändert.
Chinas Premier Li Keqiang (re.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (li.) schreiten gemeinsam auf dem roten Teppich vor der Großen Halle in Peking. 
Es sei wichtig, dass Europa gegenüber China mit einer Stimme spreche und politische Stärke beweise, sagte der FDP-Politiker Johannes Vogel im Dlf (POOL/Roman PILIPEY)
Vogel: Wirtschaftliche Verflechtungen sind nichts Schlechtes
Schulz: Ja, und da würde ich gerne noch genauer verstehen, wie viel Nachdruck diese Forderungen jetzt haben, wenn im selben Atemzug, so wie gestern geschehen, auch gleich wieder fast ein Dutzend wirtschaftliche Vereinbarungen getroffen werden. Also welches Signal ist das?
Vogel: Also ich glaube, dass wirtschaftliche Verflechtungen nichts Schlechtes sind. Wir müssen verstehen, wir sind mit China wirklich in einem neuen Systemwettbewerb, der ist nicht dasselbe wie der Kalte Krieg, aber der ist von ähnlicher Komplexität und Bedeutung. Die Europäische Kommission hat es mal auf die Formel gebracht: Wir sind gleichzeitig miteinander verflochtene Partner in der globalisierten Welt und auch echte systemische Wettbewerber, die ganz grundlegende Fragen anders sehen. Wir glauben an die Unteilbarkeit der Freiheit, also von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Freiheit. Deswegen gehen wirtschaftliche Freiheit, es nicht zu sagen, aber wir müssen es verbinden mit einem Bestehen auch auf unsere Überzeugung von gesellschaftlicher Freiheit, und im Fall Hongkong ist das etwas, wozu China sich ja selber bekannt hat.
"Wir müssen als Europäer mit einer Stimme sprechen"
Schulz: Aber wie geht das? Ich habe es noch mal nachgelesen aus dem FDP-Papier jetzt in dieser Woche. Sie sagen, Deutschland soll unsere liberalen Grundprinzipien und Interessen selbstbewusst verteidigen. Wie geht das, wenn freundlich ansprechen eigentlich das höchste der Gefühle ist?
Vogel: Indem man zum Beispiel sich die Freiheiten, selber zu entscheiden, wen man besucht und mit wem man spricht, wie wir es zum Beispiel getan haben, indem man zum Beispiel klar zurückweist, wenn neue Versuche unternommen werden, was wir ja gestern erlebt haben, wo ja erst versucht wurde, die Pekinger Korrespondenten ausländischer Medien, auch deutscher Medien, von der Pressekonferenz auszuschließen. Hier muss die Bundesregierung ganz klar signalisieren, dass das für sie nicht akzeptabel ist. Später wurden dann ja auch Korrespondenten zugelassen, aber das war erst ein Versuch, so die Grenzen zu verschieben. Ganz generell, glaube ich, gilt dreierlei: Erstens, wir müssen – das muss uns klar sein – aus einer Position der wirtschaftlichen und außenpolitischen Stärke heraus agieren, dürfen nicht zurückfallen bei Innovationsfähigkeit, müssen als Europäer mit einer Stimme sprechen. Zweitens, klare Regeln einfordern und, drittens, als mit Verbündeten gemeinsam agieren.
Schulz: Kurze Nachfrage, weil schon dieser erste Punkt so spannend ist. Worin genau äußert sich die außenpolitische Stärke in einem komplett zerstrittenen Europa, zerstrittene Partnerschaft auch über den Atlantik?
Vogel: Ja, das ist dann eben die erste Herausforderung, dass wir klarmachen, dass hier nicht einzelne europäische Staaten sprechen, sondern dass wir versuchen, als Europäer mit einer Stimme zu sprechen, dass Deutschland sich mit Frankreich, mit den anderen europäischen Partnern abstimmt. Das ist, Stand heute, nicht immer gewährleistet. Da geht es um so Fragen auch von Gesprächsformaten China mit osteuropäischen Ländern, aber das ist dann eine Aufgabe für die Deutsche Bundesregierung, weil uns muss klar sein, auf globaler Ebene hat Deutschland einen enormen Einfluss durch seine wirtschaftliche Stärke, aber als Europäer müssen wir mit einer Stimme sprechen, sonst können wir nicht auf Augenhöhe mit Trump, Putin und Xi Jinping agieren. Das ist eine Herausforderung, das ist eine Aufgabe für uns.
"Für uns gehört gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit zusammen"
Schulz: Aber wenn Frankreich da jetzt in diesem Versuch, wenn es den geben würde, an einem Strang zu ziehen, wenn Frankreich mit dem Argument sprechen würde, na ja, ehrlich gesagt, uns ist das schon aufgefallen, dass dann letzten Endes eure wirtschaftlichen Interessen überwiegen, wäre das ja kein falsches Argument.
Vogel: Ja, umso wichtiger ist doch, dass man deutlich macht, für uns gehört das zusammen. Für uns gehört wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit zusammen, und wir werden dem letzten Thema nicht ausweichen, sondern werden auch hier Einfluss nehmen. Da hat gerade Deutschland, muss man positiv sagen, in den letzten Jahren immer wieder stärker noch als andere Länder die Themen mit in die Gespräche eingebracht, aber das darf nicht dann enden, wenn der Dialog rauer wird, und das erleben wir gerade, auch mit Blick auf Hongkong dieser Tage.
Schulz: Und woran merkt man, dass es diesen Einfluss gibt? Also jetzt im Ergebnis, hat sich an der Menschenrechtslage in China was geändert, sehen wir ein echtes Einlenken in Hongkong? Sie sagen, wir müssen diesen Einfluss geltend machen, aber gibt es denn irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass das erfolgreich passiert?
Vogel: Ja, es gab jetzt ja in den letzten Tagen endlich wieder Bewegung, nachdem wir wochenlang in Hongkong – bleiben wir mal am Beispiel Hongkong, wie Sie richtig sagen, das Thema ist so komplex, eigentlich müssten wir eine Stunde drüber reden, würde ich auch gerne, aber bleiben wir mal bei einem ganz konkreten akuten Beispiel –, in den letzten Tagen gab es endlich wieder Bewegung, das haben wir die letzten Wochen ja nicht gesehen. Jetzt wird man in den nächsten Tagen und Wochen sehen, wie ernst das der Hongkonger Exekutive, auf die China ja Einfluss hat, ist. Das ist die Frage, bleibt es bei dem Rückzug des Gesetzes oder wird auch auf andere Forderungen eingegangen, Forderungen wie zum Beispiel eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt, eine der Fragen, die Menschen in Hongkong, nach allem, was wir hören und auch dort vor Ort erlebt haben, bewegt wie kaum eine andere, und das werden wir in den nächsten Tagen ganz konkret beobachten können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.