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Katalonien und die Unabhängigkeit
Spanien unter Zugzwang?

Die einen wollen sie, die anderen lehnen sie konsequent ab: die Unabhängigkeit Kataloniens. Die katalanische Regierung setzt mit einem neuen Gesetz die Zentralregierung in Madrid unter Zugzwang.

Von Julia Macher | 06.09.2017
    June 11, 2017 - Barcelona, Catalonia, Spain - Demonstrators with their placards take part in a pro-independence act at Barcelona s Montjuic Fountains in support of the recently announced referendum over Catalonia s independence from Spain in form of a republic at October 1st Barcelona Spain
    Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens am 11. Juni 2017 in Barcelona (imago stock&people/ Matthias Oesterle)
    Dreieinhalb Wochen vor der angesetzten Abstimmung über eine Loslösung von Spanien gibt sich der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont selbstsicher: Die für die Wahl notwendigen 6000 Urnen seien angeschafft und an einem sicheren Ort verwahrt. Der Wahl stünde nichts mehr im Wege.
    "Es gibt nichts, was das Referendum aufhalten kann. So viel Macht, um sich diesem Wunsch des Volkes entgegen zu setzen, hat auch der spanische Staat nicht. Jede Gegenmaßnahme wird nur dazu führen, dass die ohnehin ruinierten Beziehungen zwischen Katalonien und Spanien noch schlechter werden, wird mehr Unabhängigkeitsbefürworter schaffen und auf keinen Fall die Katalanen am 1. Oktober am Wählen hindern."
    Wie weit geht Ministerpräsident Rajoy?
    Als Betrug an der Demokratie, bezeichnet Spaniens Premier Mariano Rajoy das Gesetz und hat angekündigt, es auf jeden Fall unterbinden zu wollen. Bloß wie, das verrät Madrid nicht. Es gäbe keine richtige Strategie, dieser Herausforderung zu begegnen, unken Beobachter. Rein rechtlich könnte Madrid die Autonomie der aufmüpfigen Region aufheben, etwa einzelne Verwaltungen oder durch die Polizei die innere Sicherheit übernehmen: Vom rechten Rand der konservativen Volkspartei wird das immer wieder gefordert. In der 40-jährigen Geschichte der spanischen Demokratie ist bisher niemand so weit gegangen, auch Rajoy erscheint diese Maßnahme zu radikal. Verfassungsrechtler Xavier Arbós:
    "Die Aufhebung der Autonomie nach Artikel 155 der Verfassung einzuleiten, ist nicht nur politisch wenig wahrscheinlich, sondern auch verfahrenstechnisch kompliziert und langwierig, weil zunächst die Regierung der Regionalregierung Anweisungen geben muss, dann bei Nicht-Befolgung den Senat einberufen muss. Höchstwahrscheinlich wird das Verfassungsgericht oder die Staatsanwaltschaft stattdessen gezielt gegen einzelne Politiker vorgehen."
    Das ist gesetzlich seit 2015 möglich. Amtsträger können wegen "Ungehorsams" mit Geldstrafen bis zu 30.000 Euro belangt oder temporär des Amtes enthoben werden. Ein Szenario, mit dem auch der katalanische Ministerpräsident und sein Stellvertreter rechnen müssen. Bereits sein Amtsvorgänger Artur Mas wurde finanziell belangt. Er und andere Organisatoren der symbolischen Befragung vom November 2014 müssen für eine Bürgschaft über 5 Millionen Euro aufkommen. Das Gros der Unabhängigkeitsbefürworter schrecken solche juristischen Strategien allerdings nicht, glaubt Xavier Arbós. Die Durchführung des Referendums lasse sich über Verbote und juristische Ahndung kaum verhindern.
    "Zu verhindern, dass am 1. Oktober Wahllokale öffnen und Wahlurnen aufgestellt werden, ist fast unmöglich. Es ist auch nicht so schwer 6000 Urnen bis dahin zu verstecken, bei Anhängern der Bewegung etwa oder in Südfrankreich, in Nordkatalonien. Es kann natürlich sein, dass die Madrider Regierung am Tag selbst schwach wird und das Verfassungsgericht dazu drängt, durch die Polizei Urnen konfiszieren zu lassen: Das wäre ein sehr hässliches Bild."
    Signal nach außen: Wer ist demokratischer?
    Das Bild, das der Weltöffentlichkeit vermittelt wird, die internationalen Reaktionen sind immens wichtig - für die spanische Regierung ebenso wie die katalanische Regionalregierung. Spanien will sein demokratisches Renommee nicht verspielen - und die Katalanen wollen mit dem "Unabhängigkeitsvotum um jeden Preis" beweisen, dass sie die demokratischen Spielregeln beherrschen. Dabei gibt es an dem Vorhaben erhebliche juristische Zweifel, so Xavier Arbós - nicht nur wegen der fehlenden Anbindung an die spanische Verfassung:
    "Das Gesetz bezieht sich in seiner Präambel lediglich auf das internationale Recht und das darin verbriefte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Aber dieses Recht ist nach Auslegung der Vereinten Nationen und der gängigen Rechtsprechung Kolonien vorbehalten bzw. Situationen, bei denen Menschen allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit unterdrückt werden. Und auf die Katalanen trifft ja ganz offensichtlich weder das eine noch das andere zu."
    Solche grundsätzlichen juristischen Bedenken finden in der aktuellen Debatte allerdings kaum Gehör: Doch spätestens am ersten Oktober, wenn Katalonien sein Referendum vor der Weltöffentlichkeit verteidigen muss, dürften sie wieder eine Rolle spielen.