Dienstag, 19. März 2024

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Katholische Kirche
"Der Zölibat ist ein Risikofaktor für den Missbrauch"

Der sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche sei Teil einer Krise des Systems, zu dem der Zölibat ganz wesentlich gehöre, sagte der Kirchenhistoriker Hubert Wolf im Dlf. Die Krise sei größer als die in der Reformation und gefährde das Überleben der Institution - wenn die Kirche sich nicht reformiere.

Hubert Wolf im Gespräch mit Petra Ensminger | 17.02.2019
    Modelleisenbahnfiguren eines Priesters und zweier Kinder auf einer aufgeschlagenen Wörterbuchseite vor dem Wort "Missbrauch"
    Sexueller Missbrauch wird von katholische Priester zum Teil als "Wille Gottes" begründet, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf (imago stock&people)
    Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat in den Archiven des Vatikan viel gelesen sowie sich mit Dokumenten zu vielen Missbrauchsfällen beschäftigt. Sein Urteil bestätigt eine Vermutung: Missbrauch in der katholischen Kirche ist kein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts, auch wenn der Begriff in den historischen Quellen nicht auftaucht.
    Unter den Begriff Missbrauch fallen heute zum einen die Vergewaltigung von Nonnen durch katholische Priester in Klöstern, zum anderen das was man früher in den Quellen möglicherweise Unzucht genannt habe, so Wolf: der sexuelle Missbrauch von Mädchen und Jungen durch Priester. Dabei ginge es immer auch um Macht, die ausgeübt werden kann, weil der Priester ein hervorgehobene Stellung hat die nicht zuletzt auf seiner absoluten sexuellen Enthaltsamkeit beruhe. Weil er nach theologischem Verständnis "rein ist", führte Wolf aus.
    "Eine Religion, die keine Glaubwürdigkeit hat, ist am Ende."
    Wenn die Bischöfe es mit ihrer Ankündigung, dass Thema Missbrauch aufarbeiten zu wollen und auf der Seite der Opfer zu stehen, ernst meinten, müssten sie damit beginnen, das System zu ändern, meint der Historiker. "Denn der Zölibat ist Teil eines Systems. Und der Zölibat ist ein Risikofaktor für den Missbrauch. Deshalb darf man das Thema nicht länger aussitzen oder in einer Entschuldigungsrhethorik vertuschen. Sondern, es muss grundsätzlich dieses Problem, das Systemproblem, angegangen werden - und zwar im Interesse der Opfer", sagte Wolf.
    Die Katholische Kirche lebe vom Glauben und der Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung. "Wie will man jemanden glauben, der derart handelt?", gab Wolf zu bedenken und fügte an: "Eine Religion, die keine Glaubwürdigkeit hat, ist am Ende."
    Mit Franziskus hat ein Papst erstmals auch die sexuelle Gewalt an Nonnen öffentlich gemacht. Die Erwartungen an ihn seien jetzt hoch, sagte Wolf. Das Vertuschen müsse jetzt endlich aufhören, alle Dinge müssten auf den Tisch, insbesondere alle Quellen zugänglich gemacht werden. Denn: "Es geht nicht nur um die Täter, sondern auch um die, die die Täter gedeckt heben. Es geht um die, die von diesen Vorgängen in Klöstern und mit Kindern wussten. Es geht um die, die solche Pfarrer versetzt haben und sie wieder auf Kinder und Jugendliche losgelassen haben."
    "Sexueller Missbrauch ist ein Teil einer Systemkrise"
    Zudem müsse Franziskus auch über Strukturänderungen nachdenken. Das Zölibat sei dabei nur ein Aspekt. Es gehe auch um die Fragen: Wer kann überhaupt Priester werden? Wer entscheidet das? Wer wird Bischof? Warum dürfen die Gemeinde dabei nicht mitwählen? Und: Wann gibt es endlich eine Verwaltunsgerichtsbarkeit in der Kirche?
    All diese Aspekte müssen von der katholischen Kirche im großen angegangen werden, fordert Wolf: "Denn: Sexueller Missbrauch ist ein Teil einer Systemkrise. Und wenn sich das System katholische Kirche nicht reformiert, dann wird sich dieses System ganz schwer tun, diese Krise zu überleben. Ich halte diese Krise, wenn ich sie historisch anschauen, für größer als das, was in der Reformation passiert ist."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.