Die Diskussion über die Bedeutung des Papstschreibens "Amoris Laetitia" hält bis heute an. Auch in der Kirche gehen die Meinungen darüber auseinander, ob sich und was sich konkret geändert hat in der kirchlichen Familien- und Sexuallehre.
Dürfen Wiederverheiratete zur Kommunion gehen? Wann kann eine Ehe als ungültig gelten, so dass die Partner neu heiraten dürfen? Welchen Stellenwert hat Sexualität in der Ehe?
Dass über die Fragen gesprochen wird, zeigt, dass Franziskus in der Kirche mindestens einen Prozess der Selbstreflexion in Gang gebracht hat. Die Kirche hinterfragt ihre Regeln. Vielleicht hat der Papst damit ja schon eins seiner Ziele erreicht.
Aber konkret: Wie soll die Kirche mit Wiederverheirateten umgehen? Franziskus hatte schon früh seine grundsätzliche Haltung klar gemacht.
"Diese Personen sind auf keinen Fall aus der Kirche ausgeschlossen. Und sie dürfen auch nicht so behandelt werden."
Weg vom grundsätzlichen Verbot
Der milde Tonfall gegenüber Wiederverheirateten ist typisch für Franziskus: Sie bleiben Teil der Kirche, sagt er. In "Laetitia Amoris" setzt Franziskus diese Linie fort. Seine Botschaft: Die Kirche soll ihre moralischen Lehren nicht mit der Brechstange durchsetzen, Menschen nicht verurteilen. Jeder Fall muss einzeln geprüft werden. Die Priester vor Ort sollen Wiederverheirateten helfen, offen sein zum Gespräch, wenn diese ihr Gewissen prüfen wollen.
In einer berühmten Fußnote schreibt Franziskus dann, dass manchmal auch die Sakramente eine Hilfe auf diesem Weg sein können.
Was bedeutet dieser Satz? Franziskus sagt nicht, dass Wiederverheiratete grundsätzlich zur Kommunion zugelassen sind.
Aber: Franziskus schließt die Kommunion für Wiederverheiratete nicht aus. Er will weg vom grundsätzlichen Verbot, eben hin zur Prüfung des Einzelfalls.
"Fußnote reicht nicht aus"
Manche in der Kirche, konservative Vertreter, glauben allerdings, dass die Papst-Worte falsch gedeutet werden. Kardinal Walter Brandmüller etwa oder Kardinal Carlo Caffarra aus Bologna. Sie pochen darauf, dass es keine Ausnahme von der reinen kirchlichen Moral geben dürfe, also auch keine Einzelfallprüfungen. Eine Fußnote, sagen sie, reiche auch nicht aus, um die Lehre an so entscheidender Stelle zu verwässern.
Der Papst ließ sein Schreiben im April vom Wiener Kardinal Christoph Schönborn vorstellen. Man darf davon ausgehen, dass Franziskus ihn mit Bedacht gewählt hat, damit er die richtigen Worte findet zum Thema.
"Es geht nicht um die Frage Ja oder Nein, dürfen Sie jetzt die Hostie nehmen oder nicht. Es geht um genaues Hinschauen, es geht um Begleiten. Es gibt nicht die Situation von den wiederverheirateten Geschiedenen."
Kleine Revolutionen
In der katholischen Kirche gibt es noch einen anderen Weg, neu zu heiraten. Nämlich, die erste Ehe für nichtig erklären zu lassen. Das geht nur strengen Voraussetzungen, etwa wenn ein Partner die Ehe nur zum Schein eingegangen ist. Auch hier geht Franziskus den Weg der Reformen: Im vergangenen Jahr verfügte er, die Verfahren zur Eheannullierung zu vereinfachen, sie dürfen zum Beispiel nur noch maximal ein Jahr dauern.
Und vor etwa zwei Monaten legte Franziskus nach: Er sagte, dass die Mehrheit der kirchlichen Ehen eh ungültig seien. Denn wer heute vor dem Traualtar sage "Ja, für mein ganzes Leben", der wisse oft gar nicht, was das heißt. Es wird zwar gesagt, meint Franziskus, aber empfunden wird es als eine Aussage, die nur vorläufig ist.
Es gibt weitere Papst-Aussagen, die für die kirchliche Lehre kleine Revolutionen sind. Etwas dass Franziskus sagt, dass wir die Erotik in der Liebe nicht wie ein geduldetes Übel verstehen dürfen. Oder, dass er seine Linie bekräftigt, dass eine Trennung von Eheleuten manchmal sogar moralisch geboten sein kann, zum Beispiel, wenn das Wohl der Kinder gefährdet ist.
Mehr Gestaltungsspielraum
Franziskus hat mit seinem Lehrschreiben über die Liebe vermutlich manche Gläubige enttäuscht, die sich mehr erhofft hatten. Aber er hat einen Prozess in Gang gebracht, der sich kaum wird zurückdrehen lassen. Die Priester vor Ort in allen Teilen der Welt haben mehr Gestaltungsspielraum, sie werden ihn nutzen. Die Richtung hat Franziskus selbst vorgegeben, nach der Familiensynode im vergangenen Jahr
"Die Erfahrung der Synode hat uns besser verstehen lassen, dass die wahren Verteidiger der kirchlichen Lehre nicht die sind, die den bloßen Wortlaut verteidigen, sondern den Geist dahinter, nicht die Ideen, sondern den Menschen."