Geschichts- und Erdkundeunterricht in der Gesamtschule Gustave Flaubert im 13. Pariser Arrondissement. Eine bunt gemischte 5. Schulklasse: schwarze und weiße Kinder; afrikanischer, europäischer und asiatischer Herkunft. Sie haben einen Text vor sich liegen, gestaltet in den französischen Nationalfarben, Blau-Weiß-Rot. "Charta für Laizismus in der Schule" ist er überschrieben und umfasst 15 Artikel.
"Der Unterricht ist laizistisch", liest der elfjährige Samir vor. "Um den Schülern ein möglichst objektives und umfassendes Wissen zu vermitteln", heißt es weiter, ist generell kein Unterrichtsthema tabu. Kein Schüler hat das Recht, Unterrichtsthemen aufgrund seiner religiösen Überzeugungen zu verweigern.
"Hatte Sonja das Recht, nicht am Biologieunterricht teilzunehmen, weil ihre Religion es ihr verbietet?","
will der Lehrer wissen.
""Non!"
Nur eines der Mädchen hakt nach: Auch dann nicht, wenn sie selbst an ihre Religion glaubt?
"Selbst wenn ihre Religion es ihr verbietet, ist sie gezwungen, zum Unterricht zu kommen. Die Religion der Schüler darf nicht in Konflikt geraten mit den Unterrichtsinhalten der staatlichen Schulen. Das Recht hast du nicht."
Der Lehrer geht einen Charta-Artikel nach dem anderen mit den Schülern durch. Er erklärt, dass er als Lehrer nicht das Recht hat, Schüler nach ihrer Konfession zu fragen; er ihnen nicht sagen darf, ob und woran er selbst glaubt. Dass Mädchen und Jungen dieselben Rechte und Pflichten in der Schule haben, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit.
Dann geht es um religiöse Symbole: Kippa und Kopftuch – die sind in der laizistischen Schule verboten, wissen die Kinder. Diskrete religiöse Kettenanhänger sind erlaubt. Der Lehrer nennt die maximale Größe in Zentimetern, außerdem sollen Kreuz, Davidstern oder Fatima-Anhänger unterm T-Shirt getragen werden.
Eine Schülerin – ihr glänzendes schwarzes Haar in viele kleine Zöpfe geflochten – meldet sich: Und die Djellaba? Darf sie ihr langes orientalisches Kleid in der Schule tragen? Die Antwort lautet Nein. Der Lehrer hat die Schuldirektorin gefragt. Die Djellaba – vor allem in Nordafrika traditionell von Männern und Frauen getragen – ist in der Schule nicht erlaubt.
Gesamtschuldirektorin Laurence Bidart sitzt in ihrem kleinen Büro. An ihrer Schule, versichert sie, respektieren die Schüler die Regeln. Es gäbe weder interreligiöse Spannungen unter Schülern, noch ernsthafte Konfrontationen zwischen Schülern und Lehrern im Unterricht.
"Spannungen gibt es an Schulen, die sich in Bezirken mit einer hohen Konzentration bestimmter Communities befinden, meistens nord- oder schwarzafrikanischen Gettos. Unsere Schüler leben hier in einem sehr gemischten Stadtteil. Rund 60 Prozent der Schüler haben ausländische Eltern, aus Nord- und Schwarzafrika, aber auch aus Pakistan, aus verschiedenen Ländern Europas und aus China. Sie kommen aus muslimischen Familien, aber auch viele aus der jüdischen Gemeinde zum Beispiel. Sie sind daran gewöhnt, ihre Unterschiede zu tolerieren."
Dennoch hält es die Schulleiterin für nützlich, dass sich Schüler und Lehrer an ihrer Schule mit der Laizismus-Charta auseinandersetzen.
"Der Begriff Laizismus wird oft falsch verstanden. Besonders in den Grund- und Gesamtschulen. Das gilt auch für die Lehrer. Sie wissen häufig nicht wirklich, was Laizismus bedeutet, oder haben Mühe es zu erklären. Die einen sind eher großzügig; andere sind sehr strikt. Es gibt auch Lehrer, die eine kämpferische Einstellung haben, für die Laizismus bedeutet, gegen Religionen zu sein. Wir werden bei der nächsten Lehrerkonferenz diese Fragen debattieren. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit der Charta uns Pädagogen helfen wird, die laizistische Idee den Schülern besser zu vermitteln."
Frankreichs muslimische Gemeinde fühlt sich durch das neue Regelwerk als religiöse Minderheit stigmatisiert. Auch Simba Machkouri, deren Eltern aus Nordafrika stammen. Sie arbeitet als sogenannte Erziehungsberaterin an der Gesamtschule, beaufsichtigt die Schüler in Pausen und Freistunden.
"Ich finde diese plötzliche Aktion des Schulministeriums merkwürdig. Denn was in der Laizismus-Charta steht ist nicht neu. Die Regeln werden an den Schulen täglich und ganz selbstverständlich angewandt. Das Einführen der Charta brandmarkt nur wieder bestimmte Bevölkerungsgruppen, schürt die Angst davor, dass Frankreich bald von Islamisten dominiert wird. Vielleicht soll die permanente Laizismus-Debatte der Politiker auch nur von den wahren Problemen der französischen Gesellschaft ablenken."
Die Idee zur Laizismus-Charta stammt vom französischen Schulminister, verfasst wurde sie von der staatlichen Beobachtungsstelle für Laizismus. Deren stellvertretender Direktor Nicolas Cadène verteidigt denn auch das laizistische Regelwerk für Frankreichs Schulen.
"Es geht nicht darum, bestimmte Verhaltensweisen herauszupicken. In der Charta stehen nur grundsätzliche Regeln, die sich nicht gegen einen bestimmten Glauben oder eine Religionsgruppe richten. Es sind die Regeln des Laizismus-Prinzips, die für alle gleichermaßen gelten. Sie sollen ein respektvolles Miteinander in Frankreichs Schulen garantieren. Es kommt gar nicht infrage, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren."
Die Behörde – im Frühjahr von Staatschef François Hollande eingerichtet – soll darüber wachen, dass das laizistische Prinzip in den Institutionen der Republik respektiert wird. Doch die unbedingte Neutralität des Staates zu wahren, ist eine zunehmend heikle Aufgabe. Denn inzwischen mehren sich auch in der sozialistischen Regierung die Rufe nach einer strengeren Auslegung des Laizismus-Prinzips. Wie etwa die Forderung des französischen Innenministers Manuel Valls nach einem Verbot des muslimischen Kopftuchs an Frankreichs Universitäten. Eine Position, die bis dahin nur von Hardlinern aus dem rechten Lager und vom rechtsextremen Front National vertreten wurde. Die Beobachtungsstelle – direkt dem Staatschef und seinem Premierminister unterstellt – reagierte mit einem Pressekommuniqué: Man sehe keinen Handlungsbedarf, auf dem Campus sei die Trennung von Staat und Religion gewahrt. Doch der politische Druck auf die Behörde wächst, inzwischen wird vorsichtig zurückgerudert. Nicolas Cadène:
"Der Innenminister hat immerhin darauf hingewiesen, dass es Sache der Beobachtungsstelle für Laizismus ist, sich um Fragen dieser Art zu kümmern. Aktuell debattieren wir diese Dinge intern. Wir werden sehen, was dabei herauskommt."
"Der Unterricht ist laizistisch", liest der elfjährige Samir vor. "Um den Schülern ein möglichst objektives und umfassendes Wissen zu vermitteln", heißt es weiter, ist generell kein Unterrichtsthema tabu. Kein Schüler hat das Recht, Unterrichtsthemen aufgrund seiner religiösen Überzeugungen zu verweigern.
"Hatte Sonja das Recht, nicht am Biologieunterricht teilzunehmen, weil ihre Religion es ihr verbietet?","
will der Lehrer wissen.
""Non!"
Nur eines der Mädchen hakt nach: Auch dann nicht, wenn sie selbst an ihre Religion glaubt?
"Selbst wenn ihre Religion es ihr verbietet, ist sie gezwungen, zum Unterricht zu kommen. Die Religion der Schüler darf nicht in Konflikt geraten mit den Unterrichtsinhalten der staatlichen Schulen. Das Recht hast du nicht."
Der Lehrer geht einen Charta-Artikel nach dem anderen mit den Schülern durch. Er erklärt, dass er als Lehrer nicht das Recht hat, Schüler nach ihrer Konfession zu fragen; er ihnen nicht sagen darf, ob und woran er selbst glaubt. Dass Mädchen und Jungen dieselben Rechte und Pflichten in der Schule haben, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit.
Dann geht es um religiöse Symbole: Kippa und Kopftuch – die sind in der laizistischen Schule verboten, wissen die Kinder. Diskrete religiöse Kettenanhänger sind erlaubt. Der Lehrer nennt die maximale Größe in Zentimetern, außerdem sollen Kreuz, Davidstern oder Fatima-Anhänger unterm T-Shirt getragen werden.
Eine Schülerin – ihr glänzendes schwarzes Haar in viele kleine Zöpfe geflochten – meldet sich: Und die Djellaba? Darf sie ihr langes orientalisches Kleid in der Schule tragen? Die Antwort lautet Nein. Der Lehrer hat die Schuldirektorin gefragt. Die Djellaba – vor allem in Nordafrika traditionell von Männern und Frauen getragen – ist in der Schule nicht erlaubt.
Gesamtschuldirektorin Laurence Bidart sitzt in ihrem kleinen Büro. An ihrer Schule, versichert sie, respektieren die Schüler die Regeln. Es gäbe weder interreligiöse Spannungen unter Schülern, noch ernsthafte Konfrontationen zwischen Schülern und Lehrern im Unterricht.
"Spannungen gibt es an Schulen, die sich in Bezirken mit einer hohen Konzentration bestimmter Communities befinden, meistens nord- oder schwarzafrikanischen Gettos. Unsere Schüler leben hier in einem sehr gemischten Stadtteil. Rund 60 Prozent der Schüler haben ausländische Eltern, aus Nord- und Schwarzafrika, aber auch aus Pakistan, aus verschiedenen Ländern Europas und aus China. Sie kommen aus muslimischen Familien, aber auch viele aus der jüdischen Gemeinde zum Beispiel. Sie sind daran gewöhnt, ihre Unterschiede zu tolerieren."
Dennoch hält es die Schulleiterin für nützlich, dass sich Schüler und Lehrer an ihrer Schule mit der Laizismus-Charta auseinandersetzen.
"Der Begriff Laizismus wird oft falsch verstanden. Besonders in den Grund- und Gesamtschulen. Das gilt auch für die Lehrer. Sie wissen häufig nicht wirklich, was Laizismus bedeutet, oder haben Mühe es zu erklären. Die einen sind eher großzügig; andere sind sehr strikt. Es gibt auch Lehrer, die eine kämpferische Einstellung haben, für die Laizismus bedeutet, gegen Religionen zu sein. Wir werden bei der nächsten Lehrerkonferenz diese Fragen debattieren. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit der Charta uns Pädagogen helfen wird, die laizistische Idee den Schülern besser zu vermitteln."
Frankreichs muslimische Gemeinde fühlt sich durch das neue Regelwerk als religiöse Minderheit stigmatisiert. Auch Simba Machkouri, deren Eltern aus Nordafrika stammen. Sie arbeitet als sogenannte Erziehungsberaterin an der Gesamtschule, beaufsichtigt die Schüler in Pausen und Freistunden.
"Ich finde diese plötzliche Aktion des Schulministeriums merkwürdig. Denn was in der Laizismus-Charta steht ist nicht neu. Die Regeln werden an den Schulen täglich und ganz selbstverständlich angewandt. Das Einführen der Charta brandmarkt nur wieder bestimmte Bevölkerungsgruppen, schürt die Angst davor, dass Frankreich bald von Islamisten dominiert wird. Vielleicht soll die permanente Laizismus-Debatte der Politiker auch nur von den wahren Problemen der französischen Gesellschaft ablenken."
Die Idee zur Laizismus-Charta stammt vom französischen Schulminister, verfasst wurde sie von der staatlichen Beobachtungsstelle für Laizismus. Deren stellvertretender Direktor Nicolas Cadène verteidigt denn auch das laizistische Regelwerk für Frankreichs Schulen.
"Es geht nicht darum, bestimmte Verhaltensweisen herauszupicken. In der Charta stehen nur grundsätzliche Regeln, die sich nicht gegen einen bestimmten Glauben oder eine Religionsgruppe richten. Es sind die Regeln des Laizismus-Prinzips, die für alle gleichermaßen gelten. Sie sollen ein respektvolles Miteinander in Frankreichs Schulen garantieren. Es kommt gar nicht infrage, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren."
Die Behörde – im Frühjahr von Staatschef François Hollande eingerichtet – soll darüber wachen, dass das laizistische Prinzip in den Institutionen der Republik respektiert wird. Doch die unbedingte Neutralität des Staates zu wahren, ist eine zunehmend heikle Aufgabe. Denn inzwischen mehren sich auch in der sozialistischen Regierung die Rufe nach einer strengeren Auslegung des Laizismus-Prinzips. Wie etwa die Forderung des französischen Innenministers Manuel Valls nach einem Verbot des muslimischen Kopftuchs an Frankreichs Universitäten. Eine Position, die bis dahin nur von Hardlinern aus dem rechten Lager und vom rechtsextremen Front National vertreten wurde. Die Beobachtungsstelle – direkt dem Staatschef und seinem Premierminister unterstellt – reagierte mit einem Pressekommuniqué: Man sehe keinen Handlungsbedarf, auf dem Campus sei die Trennung von Staat und Religion gewahrt. Doch der politische Druck auf die Behörde wächst, inzwischen wird vorsichtig zurückgerudert. Nicolas Cadène:
"Der Innenminister hat immerhin darauf hingewiesen, dass es Sache der Beobachtungsstelle für Laizismus ist, sich um Fragen dieser Art zu kümmern. Aktuell debattieren wir diese Dinge intern. Wir werden sehen, was dabei herauskommt."