Sandra Pfister: Klavier, Gitarre, Blockflöte – in dieser Reihenfolge. Ist da ein Instrument dabei, das Sie spielen? Es wäre kein Wunder, denn das wären die Musikinstrumente, die beim Musikunterricht am häufigsten gewählt werden. Die Blockflöte übrigens fast gleichauf mit der Geige. Musikunterricht nehmen zu können, sollte kein Privileg für Akademiker und Besserverdienende sein, deshalb gibt es die öffentlichen Musikschulen. Sie werden teilweise vom Staat finanziert, es gibt sie an 4.000 Standorten – noch. Denn die Luft wird für diese Musikschulen immer dünner. Vor allem darüber zerbrechen sich ab morgen 1.500 Vertreter der gemeinnützigen Musikschulen den Kopf auf dem Musikschulkongress in Münster. Ihr Bundesvorsitzender ist jetzt bei Campus und Karriere, Professor Ulrich Rademacher. Guten Tag, Herr Rademacher!
Ulrich Rademacher: Guten Tag, Frau Pfister!
Pfister: Herr Rademacher, ich habe es gerade gesagt: Geld sollte bei öffentlich geförderten Musikschulen eigentlich nicht den Rhythmus vorgeben. Inwieweit tut es das trotzdem?
Rademacher: Geld spielt eine Rolle. Denn, wenn wir nicht in der Lage sind, Musikschulen adäquat auszustatten, werden die Kommunen immer mehr gezwungen oder die Musikschulen immer mehr gezwungen, angestellte Lehrkräfte mit freien Mitarbeitern zu ersetzen. Damit hat Schule mit ihrem ganzen Netzwerk eigentlich keine Zukunft. Wir merken jetzt schon, dass die Anmeldezahlen bei den Musikhochschulen für die pädagogischen Studiengänge dramatisch absinken. Wir hatten gerade in Berlin die Situation, dass 30 Leute angefangen hatten, Musikpädagogik zu studieren und am Ende nur noch zwei übrig geblieben sind, die wirklich an die Musikschulen wollten.
Pfister: Also Sie meinen, es liegt daran, dass die einfach keine Perspektive mehr sehen, nachher wirklich an einer Musikschule eine Festanstellung zu bekommen?
Rademacher: Wenn eine Festanstellung – oder die Perspektive zu gering ist, mit diesem Beruf eines Musikschulpädagogen eine Familie jemals ernähren zu können. Und wenn das weiter Realität wird und um sich greift, dann können die Hochschulen noch so schöne Studiengänge entwickeln, wie sie es im Übrigen im Moment tun. Aber es wird sich, wie jüngst auch in Düsseldorf zum Beispiel, überhaupt keiner anmelden für einen solchen Studiengang.
Pfister: Da werden die Musikschulen von innen heraus kaputtgemacht, weil der Sparzwang so groß ist. Professor Christian Höppner vom Deutschen Musikrat, der sagt ja auch, die Musikschulen seien strukturell so unterfinanziert, dass die Lage schon desaströs sei. Würden Sie das so extrem auch unterschreiben?
Rademacher: Ja, das würde ich genau so unterschreiben.
Pfister: Wir sind da offenbar nicht allein in Deutschland. In Frankreich gab es jetzt gerade die Meldung, dass sich der Staat aus der Finanzierung von 450 Musikschulen komplett zurückzieht. Wenn man das jetzt mal ausrechnen würde am deutschen Beispiel: Wie viel teurer würde Musikunterricht, wenn jetzt alle öffentlichen Musikschulen wegfielen?
Rademacher: Man müsste eigentlich ganz klar sagen, der Unterricht müsste doppelt so teuer sein. Wenn man menschenwürdige Verträge, menschenwürdige Arbeitsbedingungen aufrechterhalten will und auch akzeptable und zukunftsfähige Qualität anbieten will.
Pfister: Aber ich habe Sie da richtig verstanden: Die Nachfrage nach Musikunterricht, die ist weiterhin sehr, sehr groß. Die ist in den vergangenen Jahren schon stark gestiegen, obwohl die Preise ja eigentlich mit steigen. Oder bedeutet das nur, dass der Musikunterricht dann elitärer wird?
Rademacher: Nein, das stimmt nicht. Bei den sogenannten Bündnissen für Bildung, die ja besonders Kinder aus bildungsfernen Familien im Fokus haben, bei den sogenannten Musikalisierungsprogrammen wie "JeKi" oder "JeKits" oder wie auch immer –
Pfister: "Jedem Kind ein Instrument".
Rademacher: "Jedem Kind ein Instrument" oder "Jedem Kind seine Stimme" – da sieht man, dass die Nachfrage ungebrochen ist, dass überall da, wo das Geld da ist und Angebote da sind, Kinder diese Angebote auch annehmen. Die Frage ist nur: Wenn diese landesseitig oder bundessseitig geförderten Projekte aufhören – manchmal schon nach zwei Jahren –, was machen wir denn mit den Leuten, die angefüttert worden sind sozusagen, die Lust bekommen haben, wenn sie dann zu viel, viel ungünstigeren Bedingungen nur weitermachen könnten. Also die Übergänge von diesen breit gestreuten Programmen, die sehr schön sind, zu einer normalen Musikschulkarriere, die ist teilweise ein Argument, dass Kinder rausfliegen, schlicht aus finanziellen Gründen.
Pfister: Kinder waren die eine Klientel, über die wir gesprochen haben. Es gibt nun einen weiteren, sagen wir mal strukturellen Wandel in Ihrer Klientel, dass der typische Musikschüler zwar immer noch vielleicht ein Zehn-, Elf-, Zwölfjähriger ist, aber es fangen auch immer mehr Erwachsene an, ein Instrument zu lernen. Haben die Musikschulen das schon ausreichend auf dem Schirm?
Rademacher: Ja. Es gibt sogar einen neuen Begriff dafür, Musikgeragogik.
Pfister: Musik für Alte.
Rademacher: Das ist natürlich die Gruppe der Berufstätigen und der fitten Alten, die wieder einsteigen wollen und in ihrem frühen Ruhestand, den sie gesund genießen, halt einfach sinnerfüllt zu leben. Es gibt aber auch die Gruppe derer, die möglicherweise durch fast nichts anderes als Musik überhaupt noch erreicht werden können. Also auch selbst demente alte Menschen können durch Musik noch einmal eine Wachheit und auch eine Lebensqualität bekommen, die kein anderes Werkzeug ihnen geben kann. Und wir sind sehr froh, dass wir immer mehr Musikpädagogen haben, die sich in dieser Disziplin ausbilden lassen.
Pfister: Also finanzielle Nöte, neue Zielgruppen, das sind nur zwei der Themen, die Sie jetzt am Wochenende beim Musikschulkongress in Münster besprechen werden, wo sich die großen gemeinnützigen öffentlichen Musikschulen treffen. Das war Ulrich Rademacher, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Musikschulen. Danke Ihnen!
Rademacher: Danke Ihnen!
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