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Kinder und Corona
Giffey: Stufenweise Kitaöffnungen vor August

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) plädiert für schnelle und flexible Kitaöffnungen. Es müsse vor August zu Lösungen kommen, beispielsweise mit Kleingruppen nach dem Vorbild Dänemark. Insgesamt müssten Kinder und Familien stärker in den Blick genommen werden, sagte Giffey im Dlf.

Franziska Giffey im Gespräch mit Sandra Schulz |
Franziska Giffey (SPD), ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, spricht in Berlin.
"Kinderschutz ist Gesundheitsschutz", meint Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (dpa / picture alliance / Carsten Koall)
Kinder hätten es durch die Coronamaßnahmen besonders schwer und müssten stärker in den Blick genommen werden, sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Dlf: "Wenn über die Bundesliga mehr diskutiert wird als über Kinder, finde ich das schon sehr skurril".
Die "AG Kita" der Länder und des Bundes sei in den letzten Abstimmungen zu stufenweisen Lockerungen. Kitaöffnungsmodelle wie in Dänemark mit strengen Hygienestandards und kleinen Gruppen halte sie für "sehr beachtenswert", so Giffey.
Wie soll Kita gehen, ohne dass die Gesundheit der Familien gefährdet wird?
Seit vergangener Woche arbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe daran, zumindest Leitlinien und Empfehlungen für eine schrittweise Kita-Öffnung zu erarbeiten. Soviel ist schon klar: Wenn Betreuung, dann zunächst in kleinen Gruppen und nur auf wenige Stunden am Tag begrenzt.
Besonders wichtig seien Gruppen wie Alleinerziehende, Kinder mit Sprachförderbedarf oder schwierigen sozialen Verhältnissen. Halte der Zustand an, könne es bei kleinen Kindern zu Entwicklungsverzögerungen kommen.
Bis zum 6. Mai wird es in den Kitas nur Notbetreuung geben – vielleicht sogar noch weit darüber hinaus. Einzelne Städte wie Hamburg, Berlin oder Magdeburg öffnen ihre Kitas ab dieser Woche auch für Kinder von Alleinerziehenden.

Das Interview in voller Länge.
Sandra Schulz: Es füllen sich aktuell die Fußgängerzonen wieder, Autohäuser haben wieder geöffnet, in Nordrhein-Westfalen auch Möbelhäuser. Aber Spielplätze, Kitas und Grundschulen sind zu. Wie konnte das passieren?
Franziska Giffey: Zunächst einmal will ich auch sagen: Wir sehen aus Familienministeriumssicht ganz klar, dass die Kinder hier stärker in den Blick genommen werden müssen, die Familien, die familiäre Situation. Wir haben ja am Anfang eine Lage gehabt, in der es zunächst einmal darum ging, das Infektionsgeschehen einzudämmen, die Verbreitung der Krankheit zu verlangsamen, und natürlich sind große Einrichtungen wie Kitas und Schulen, wo am Tag mehrere hundert Menschen sich begegnen, ein Ort, an dem das Verbreitungsrisiko auch groß ist – allein durch die Vielzahl an Menschen, die zueinander kommt.
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"Es war richtig, deutlich zu machen, dass wir nur sehr kleine Schritte machen können", sagte Annalena Baerbock angesichts der Lockerung der Corona-Maßnahmen. Die Ko-Vorsitzende der Grünen kritisierte im Dlf allerdings, dass man dabei nicht alle Menschen im Blick gehabt habe.
Jetzt geht es darum, wenn über schrittweise Lockerungen gesprochen wird, auch darüber zu sprechen, wie wir für Kinder die Situation erleichtern können. Im Moment haben sie es besonders schwer, weil sie weder ihre Freunde treffen können, noch Oma und Opa sehen, noch in die Kita, noch auf den Spielplatz gehen, und dann muss es dringend auch Schritte geben, die stufenweise die Lage für Kinder und Familien verbessern.
Schulz: Als die Ministerpräsidenten sich mit Angela Merkel getroffen haben, Mitte April, da haben die Kitas ja überhaupt keine Rolle gespielt. Sie sagen, die Familien müssen stärker in den Blick genommen werden. Stimmt dann der Eindruck, den viele Familien schildern, dass die bisher nicht ausreichend im Blick waren?
Giffey: Die Ministerpräsidentenkonferenz am 15. April hat schwerpunktmäßig, was die Kinder anbetrifft, über die schulische Situation beraten. Sie hat aber auch einen Auftrag gegeben an die Kultusministerkonferenz, einen Plan für den Wiedereinstieg in die Schule zu schaffen, und an die Jugend- und Familienministerkonferenz, einen Plan für den schrittweisen Einstieg in die Kita-Situation zu schaffen, und genau das haben wir ja gemacht.
Die "AG Kita" der Länder und des Bundes haben letzte Woche intensiv gearbeitet, sind jetzt auch in den letzten Abstimmungen zu der Frage, wie man das stufenweise machen kann. Wir haben da auch eine gute Verständigung herbeigeführt, die jetzt dann auch eingespeist wird in das nächste Gespräch der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten.
Giffey: Gruppen wie Alleinerziehende mehr in den Blick nehmen
Schulz: Da interessiert jetzt natürlich alle brennend die Antwort auf die Frage, die Sie skizzieren. Wann und wie werden Kitas wieder geöffnet werden?
Giffey: Wir sind heute noch in den letzten Abstimmungen dazu, werden dann auch an die Öffentlichkeit gehen. Deshalb will ich jetzt auch den Entscheidungen der Länder da noch nicht zu weit vorgreifen. Klar ist, dass wir hier von einer stufenweisen Öffnung sprechen. Das haben wir auch immer vorher schon kommuniziert. Jede Maßnahme, jeder Schritt, der hier gegangen wird, muss in Abwägung mit dem Infektionsgeschehen passieren und auch immer wieder neu bewertet werden.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Es geht ja nicht, dass wir sagen, wir gehen hier einen Weg ganz schnell, ganz breit, der dann dazu führt, dass wir vielleicht getätigte Lockerungen wieder zurücknehmen müssen. Die Länder sind hier sehr verantwortlich. Man muss sagen, die Länder sind zuständig für diese Frage der Wiedereröffnung der Kitas, und das wird auch in den Ländern sehr unterschiedlich gesehen. Man hat ja auch eine sehr verschiedene Lage. Die Infektionszahlen in Mecklenburg-Vorpommern sind andere als in Bayern und deswegen ist es auch so, dass wir hier eine unterschiedliche Bewertung der Situation haben.
Was wir gemacht haben mit den Bund-Länder-Gesprächen ist zu versuchen, einen gemeinsamen Rahmen zu finden, wie man vorgeht, in welchen Schritten, und ganz wichtig sind die Gruppen, die hier besonders große Schwierigkeiten mit diesen Schließungen haben. Dazu gehören die Alleinerziehenden, dazu gehören Kinder, die besonders eine kindeswohlgefährdende Situation haben, oder auch einen besonderen Sprachförderbedarf haben, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben, aber genauso müssen wir auch darüber reden, was ist mit denen, wo beide Eltern berufstätig sind, was ist mit denen, die kurz vor dem Übertritt in die Schule stehen.
Hochhäuser des Wohnkomplexes Auf dem Kölnberg im Kölner Stadtteil Meschenich. Köln, 07.09.2016 Foto:xC.xHardtx/xFuturexImage
Alleine gelassen und abgehängt? Sozial benachteiligte Kinder in der Coronakrise
Seit Wochen sind Schulen und Kitas geschlossen. Nun werden zwar die Schulen schrittweise geöffnet, aber für viele Kinder gibt es weiter keinen Zugang zu Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Für Kinder aus sozial benachteiligten Familien besteht die Gefahr, auf Dauer abgehängt zu werden.
Schulz: Da kommt jetzt immer bei Ihnen vor, wir müssen darüber reden. Es sind die Schulen und Kindergärten ja schon seit sechs Wochen zu. Das war für viele ja auch überraschend, Mitte April, dass da angefangen wurde, darüber zu reden. War das vorher nicht wichtig genug?
Giffey: Ich glaube, dass wir ganz klar mal sagen müssen: Vorher ist gesprochen worden über die Schließung und über die Frage, wie kann das Virus eingedämmt werden. Wir hatten in den ersten Wochen immer noch ansteigende Zahlen. Vor Ostern war das erste Mal, dass darüber gesprochen wurde, dass die Infektionszahlen wieder runtergehen, dass die Infektionsrate runtergeht, und da ist zum ersten Mal auch um Ostern herum über schrittweise Lockerungen gesprochen worden, die ja am 15. April dann auch beschlossen worden sind. Das war für uns der Startpunkt, über weitere Schritte auch zu diskutieren. Genau das läuft ja jetzt auch.
"Die Kleinsten, die können nicht digital unterrichtet werden"
Schulz: Okay, habe ich verstanden. – Ich habe auch verstanden, dass Sie den Ländern nicht vorgreifen wollen. Trotzdem natürlich die Frage an die zuständige Ministerin, an die Familienministerin: Wenn es nach Ihnen geht, wann und wie sollten Kitas wieder öffnen?
Giffey: Wissen Sie, ich habe gestern mit der dänischen Ministerin gesprochen.
Schulz: Da sind die Kitas offen.
Giffey: … die ja ein Modell fahren, wo seit dem 15. April wieder eine Öffnung ist mit strengen Hygienestandards, mit kleinen Gruppen, mit auch Absprachen - und man kann Kindern Hygieneregeln beibringen. Es ist nicht so, dass Kinder das überhaupt nicht lernen können. Ich finde solche Modelle sehr beachtenswert. Es geht hier darum, dass wir die Last auch ein Stück weit von den Eltern nehmen, dass wir aber auch das Kindeswohl im Blick haben, und die Dänen haben es ja so gemacht, die haben gesagt, für welche Kinder ist es am relevantesten, dass alles zu hat.
Die Kleinsten, die können nicht digital unterrichtet werden. Die können sich nicht so unbedingt selber beschäftigen. Die brauchen einen Lernen gemeinsam. Ein Monat im Leben eines zwei- oder dreijährigen Kindes ist eine unglaublich lange Zeit und wenn das noch viel, viel länger geht, dann haben wir hier eine Problematik mit Entwicklungsverzögerung. Wir haben eine Problematik mit der Frage, wie kann man überhaupt diese Zeit wieder aufholen. Kinder, die komplett wieder neu eingewöhnt werden müssen, das muss abgewogen werden.
Wir reden hier über das Kindeswohl, wir reden über auch den Kinderschutz, und der Kinderschutz ist genauso Gesundheitsschutz. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir wirklich konsequent überlegen sollten – und das ist auch das, was wir mit den Ländern besprochen haben -, wie wir zu weiteren Schritten von mehr Normalität kommen können und nicht erst am 1. August. Das ist ein zu langer Zeitraum für das Kindeswohl, für die Frage, wie können Eltern das managen und meistern. Da muss es schnellere Schritte geben. Wir können da jetzt noch keine Daten nennen, aber es ist sehr, sehr wichtig, dass alle sich bemühen, möglichst zügig auch flexible Lösungen zu finden in kleineren Gruppen.
Schulz: Ich verstehe Sie richtig? Aus Sicht der Bundesfamilienministerin müsste es eine Perspektive vor August geben?
Giffey: Auf jeden Fall! – Ja!
Schulz: Okay. – Jetzt schauen wir noch mal auf die Alleinerziehenden. Die haben ja in der Situation eine besondere Last zu tragen. Auch da öffnen die Notbetreuungsmöglichkeiten jetzt nur sehr zögerlich. Hatte man die vorher vergessen?
Giffey: Nein! Es ging darum, dass ja die Notbetreuung im einstelligen Prozentbereich lag. Es ist sich wirklich konzentriert worden auf ausschließlich die systemrelevanten Berufe. Das war auch am Anfang richtig so, weil wir ein Verbreitungsrisiko hatten.
Jetzt, wo es um Lockerungen geht, müssen die Alleinerziehenden in den Blick genommen werden. Da geht es darum, dass sie noch mal eine besondere Belastung haben. Das geschieht ja auch. Die Alleinerziehenden sind im Blick und die Gruppen werden erweitert, und wir sehen das. In den Bundesländern sind da erste Schritte schon gegangen worden, um auch für die Alleinerziehenden die Notbetreuung zu öffnen.
"Es war richtig, am Anfang Kitas und Schulen runterzufahren"
Schulz: Wenn wir jetzt insgesamt noch mal auf die Debatte schauen. Nach dem Shutdown hat es ja überhaupt nicht lange gedauert, gleich in der ersten oder zweiten Woche waren die Mahnungen und Warnungen da, aus der Wirtschaft, von Wirtschafts-Lobbyisten, dass das jetzt aber alles nicht ewig gehen kann. Da war nicht so viel zu hören aus der Familienpolitik. Kann das sein, dass Kinder und Familien da einfach keine ausreichend mächtige und vielleicht auch wortmächtige Lobby haben?
Giffey: Na ja. Ich sage mal: Wir sehen ja, wenn über die Wiedereröffnung der Bundesliga oder Wiederaufnahme der Spiele mehr diskutiert wird als ob ein Kind auf die Schaukel wieder zurück darf, dann finde ich das schon skurril. Ich finde, dass wirtschaftliche Interessen auf jeden Fall auch wichtig sind. Das ist auch ein ganz wesentlicher Punkt der ersten Wochen gewesen. Die Frage der Kurzarbeit und das, was dort geregelt wurde, auch von Arbeitsminister Hubertus Heil, das kommt ja vielen Familien zugute. Auch die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes, die Frage, wie erhalten wir Arbeitsplätze, das ist auch Familienpolitik.
Wir haben gleich am Anfang den Notfallkinderzuschlag eingeführt. Wir haben die Regelung zum Elterngeld angepasst. Das sind alles Sachen, die sind sofort am Anfang gelaufen. Also es ist nicht so, dass hier von Anfang an gar nichts gemacht wurde. Das war vielleicht nicht so stark im Fokus, aber es sind Punkte, die sind passiert und die kommen auch den Familien zugute.
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Schulz: Wenn Sie sagen, Frau Giffey, das war nicht so stark im Fokus, dann spitze ich meine Frage noch mal stärker zu. Hätte es sein können, dass da vielleicht auch die Bundesfamilienministerin, dass Sie da früher und lauter hätten mahnen müssen?
Giffey: Wir haben in den ersten Tagen konkrete Hilfen ins Leben gerufen, um Familien in der finanziellen Situation zu unterstützen, nämlich beim Notfallkinderzuschlag 185 Euro pro Kind pro Monat für Familien mit kleinen Einkommen, denen jetzt die Einkommen wegbrechen. Wir haben uns eingesetzt für das Kurzarbeitergeld. Wir haben uns eingesetzt dafür, dass es Sicherheit beim Elterngeld gibt. Das sind die finanziellen Fragen. Das waren die ersten Schritte, die zu regeln waren.
Es war richtig, am Anfang die Kitas und Schulen auch runterzufahren, weil das nun mal Virenschleudern sind, wenn man das mal so ausdrücken will. Das sind die größten Verbreitungsherde. Eine Kita, eine Schule ist eine Großveranstaltung. Das muss man immer wieder sehen.
Schulz: Ist das denn so klar? Es laufen ja jetzt die Studien, ob Kinder überhaupt übertragen können.
Giffey: Grundsätzlich ist es so, dass in Kitas und Schulen, wo viele Menschen zusammenkommen, Krankheiten sich schneller verbreiten können. Wie das für das Corona-Virus ist, da haben Sie recht, das ist auch mir ein großes Anliegen, dass wir es schaffen, dass diese Fragen besser geklärt werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu reichen nicht. Deshalb werden wir als Bundesfamilienministerium auch eine Studie in Auftrag geben, die das noch mal von Bundesseite stärker untersucht, mit dem Robert-Koch-Institut und dem Deutschen Jugendinstitut zusammen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.