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Kinderarmut in Spanien
Überleben mit 7.000 Euro im Jahr

Schon vor der Pandemie war jedes vierte Kind in der Europäischen Union von Armut bedroht. Dann kam COVID-19. Spanien ist von beidem besonders betroffen, von der Armut und vom Virus. Das ist für viele Familien, die ohnehin kaum wissen, wie sie überleben sollen, verheerend.

Von Hans-Günter Kellner | 19.08.2020
Zwei Frauen beobachten Kinder beim Spielen in Sanlucar de Barrameda bei Cadiz.
20 Prozent der Bevölkerung in Spanien gilt als arm, besonders betroffen sind die Kinder. (AFP / Cristina Quicler)
Verónica Fuentes hat einen Mann, sechs Kinder und ein vier Monate altes Enkelkind. Die neun leben in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung im Madrider Stadtteil Villaverde, weder sie noch ihr Mann haben Arbeit. Die Sozialhilfe von rund 800 Euro ist ihre einzige Einnahme:
"Ich habe als Obstverkäuferin gearbeitet, Hauseingänge geschrubbt und alte Menschen versorgt. Aber im Moment habe ich nichts. Wenn mich jemand anruft, ob ich putzen oder bügeln kann, mache ich das gerne. Aber es ruft niemand an."
Mehr als ein Viertel der Kinder wächst in Armut auf
Verónica Fuentes steht in der Schlange vor der "Gelben Ente". So nennt sich eine Bürgerinitiative im Viertel, die bedürftige Menschen mit Lebensmitteln versorgt. 20 Prozent der Bevölkerung in Spanien gilt als arm. Aber besonders hart trifft es die Kinder. Mehr als 27 Prozent der unter 18-Jährigen wachsen einer Regierungsstatistik zufolge in Armut auf. Dabei will Verónica, dass es ihren Kindern einmal bessergeht.
"Ich bin in der Schule nicht über die siebte Klasse hinausgekommen. Mit 16 Jahren habe ich geheiratet und Kinder bekommen. Darum schärfe ich meinen Kindern ein: Sie müssen zur Schule gehen! Immerhin, eine meiner Töchter hat eine Ausbildung zur Friseurin gemacht, der 15-jährige will Koch werden. Das ist schon mal gut. Die 17-Jährige hört leider nicht auf mich."
Doch die Coronakrise verschärft die Probleme in der Schule. Denn in der Wohnung von Verónica gibt es keinen Computer, erzählt sie, so konnten ihre Kinder auch nicht am angebotenen Fernunterricht teilnehmen.
"Armut ist ein Teufelskreis"
Diego González vom Hilfswerk "Save the Children" befürchtet daher, dass mit der Pandemie noch mehr Jugendliche die Schule abbrechen:
"Wir gehören ja jetzt schon zu den Staaten der Europäischen Union mit den meisten Schulabbrechern. Nun wird sich diese Quote von 18 auf 20 Prozent erhöhen. Aber bei den Kindern aus armen Familien wird die Quote der Schulabbrecher auf bis zu 30 Prozent ansteigen. Die Situation in armen Familien ist wirklich alarmierend, ihre Einnahmen sind zurückgegangen, dabei ging es ihnen schon vor dieser Krise besonders schlecht."
Erwerbslose stehen vor einem Arbeitsamt in Madrid Schlange.
Grundeinkommen in Spanien - Regierung will soziale Abstürze verhindern
Die Coronakrise hat die wirtschaftliche Lage vieler Menschen in Spanien verschärft. Rund 20 Prozent der Bevölkerung gelten als arm. Mit der Verabschiedung des schon länger geplanten Grundeinkomens will die Regierung nun gegensteuern.
Trotzdem gebe es keine besondere pädagogische Förderung an den Schulen, im Gegenteil. Während der Nachwuchs aus Mittelklassefamilien subventionierte Privatschulen besuche, sammelten sich die Kinder der Armen in den staatlichen Schulen. Die Armut werde weitervererbt.
"Leider ist Armut ein Teufelskreis. Kinder aus armen Familien haben später oft den gleichen Bildungsstand und die gleiche wirtschaftliche Situation wie ihre Eltern."
Maßnahmen der Regierung laufen schleppend an
"Save the Children" kümmert sich seit März um 2.700 Kinder aus 2.000 Familien. Diese Familien mussten schon vor der Pandemie mit etwa 10.000 Euro im Jahr auskommen. Schon das ist deutlich unter der relativen Armutsgrenze. Seit der Coronakrise seien ihre Einnahmen aber auf ein hochgerechnetes Jahreseinkommen von 7.000 Euro eingebrochen.
"3.000 Euro weniger sind, wenn man sowieso ums Überleben kämpft, dramatisch. Aber im Herbst könnte die wirtschaftliche Situation ja noch schlimmer werden."
Spaniens Regierung hatte zwar noch im Mai eine zusätzliche Sozialhilfe beschlossen, Familien mit drei Kindern und mehr könnten damit bis zu 1.000 Euro zusätzlich erhalten. Doch weil die Ämter wegen der Pandemie kaum besetzt sind, läuft die Bearbeitung der Anträge schleppend.
Auch Angie Hernández konnte ihren Einkaufswagen bei der Stadtteilinitiative der "Gelben Ente" füllen. Zwei Töchter helfen ihr. Die Frau aus der Dominikanischen Republik ist dankbar für die Solidarität: