Dienstag, 19. März 2024

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Kinderarzt zu Corona-Impfungen für Kinder
Uneinigkeit von Politik und STIKO führt zu großer Verunsicherung

Kinderarzt Jakob Maske hält die Debatte über ein Impfangebot an alle Kinder trotz Bedenken der Ständigen Impfkommission für nicht zielführend. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen wolle man die Pandemie noch weiter zurücktreiben - dafür müsse eine Impfung aber zu 100 Prozent sicher sein, sagte er im Dlf.

Jakob Maske im Gespräch mit Stefan Heinlein | 02.08.2021
Jakob Maske, Kinder- und Jugendarzt, zieht den Corona-Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer in eine Spritze.
In den Augen von Kinderarzt Maske macht eine Impfung auch dann Sinn, wenn Kinder und Jugendliche unter den fehlenden sozialen Kontakte leiden (dpa / Fabian Sommer)
Angesichts steigender Infektionszahlen und dem nahenden Ende der Sommerferien beraten Bund und Länder über ein generelles Impfangebot für Kinder und Jugendliche. Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung nur für Kinder und Jugendliche mit bestimmten Vorerkrankungen. Der Grund: Derzeit gebe es noch zu wenige Daten zu möglichen gesundheitlichen Folgeschäden für 12- bis 17-Jährige. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hingegen hat den Impfstoff für diese Altersgruppe zugelassen.
Kinderarzt Jakob Maske, Mitglied im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, unterstrich im Dlf die Kompetenz der Ständigen Impfkommission. Er meint: "Die Einmischung der Politik ist zwar gut gemeint, aber nicht zielführend." Viele seien dadurch verunsichert.
Ein zwölfjähriges Mädchen wird in einer Arztpraxis von dem Hausarzt Tim Koop mit dem Serum von Biontech/Pfizer geimpft.
Wie man die Impfquote erhöhen kann
Eine Impfpflicht soll es in Deutschland nicht geben, diskutiert wird aber, ob geimpfte Menschen schneller und mehr Freiheiten bekommen sollten als andere. Mit welchen weiteren Mitteln ließe sich die Impfquote erhöhen?

Das Interview in ganzer Länge:

Stefan Heinlein: Herr Maske, Sie sind selber Kinderarzt mit einer eigenen Praxis. Was ist bei Ihnen derzeit los im Sprechzimmer? Wie sehr beschäftigt das Thema Impfung die Eltern, die mit Ihren Kindern zu Ihnen kommen?
Jakob Maske: Das beschäftigt uns schon jeden Tag häufig. Die Eltern sind doch sehr verunsichert, vor allen Dingen aber eher durch die Politik, die sich hier ja doch immens einmischt. Insofern besteht ein großer Beratungsbedarf. Wir fragen häufig die Jugendlichen, was sie denn überhaupt wollen, und entscheiden dann mit den Eltern zusammen, was wir tun, ob wir impfen oder nicht.
Heinlein: Ein großer Beratungsbedarf, Herr Maske. Welche Fragen zu den Impfungen und zu den möglichen Risiken vielleicht auch einer Impfung werden Ihnen denn als Kinderarzt von Ihren Patienten, Ihren minderjährigen Patienten und deren Eltern gestellt?
Maske: Zunächst mal sind die Gründe, warum die Jugendlichen sich impfen lassen wollen, sehr, sehr unterschiedlich und die Risiken werden eher immer von den Eltern gesehen, nicht von den Jugendlichen selber. Die Eltern fragen tatsächlich eher nach den Impfrisiken oder den Vorteilen der Impfung, und da müssen wir ausgiebig beraten, so wie es die STIKO ja auch verlangt, und können am Ende entscheiden, ob wir impfen oder nicht, und machen dies dann auch zusammen mit Eltern und Jugendlichen.
Das größte Risiko der Impfung ist im Moment die Herzmuskelentzündung, die bei zirka einem von 17.000 Geimpften offenbar auftritt. Das ist ein Risiko, was besteht, worüber man beraten muss. Man muss auf der anderen Seite natürlich auch sehen, dass die meisten der an dieser Myokarditis, an dieser Herzmuskelerkrankten erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen alle wieder gesund geworden sind, der Großteil, und nur wenige intensivmedizinisch behandelt werden mussten oder noch müssen. Auch das ist natürlich Inhalt unserer Beratung.
Ein Kind wird geimpft: Ein Mann drückt dazu eine Spritze in den Oberarm.
Wie die unterschiedliche Impfempfehlungen zu verstehen sind
Für ihre Empfehlung, in Deutschland nur Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen gegen das Coronavirus zu impfen, hat die Ständige Impfkommission Kritik geerntet. Die Sächsische Impfkommission ging daraufhin einen eigenen Weg.

Chronisch kranke Kinder auf jeden Fall impfen

Heinlein: Was spricht denn aus Ihrer Sicht, aus Sicht eines Kinderarztes für die Impfung von Kindern?
Maske: Natürlich ganz klar: Alle chronisch kranken Kinder oder schwer chronisch kranken Kinder sollten auf jeden Fall in dieser Altersgruppe geimpft werden. Das ist sicherlich unbestritten. Natürlich sehen wir immer wieder Jugendliche, die an speziellen sozialen Ereignissen nicht teilnehmen können, weil sie nicht geimpft sind oder weil verlangt wird, dass zwei Impfungen gezeigt werden. Das sind zum Beispiel Fitness-Studios, das ist bei den Jugendlichen nicht ganz unwichtig manchmal, oder das sind auch Reisen, die gemacht werden sollen, oder Auslandsaufenthalte, und nach individueller Beratung impfen wir dann diese Jugendlichen auch.

Impfungen sinnvoll, wenn soziale Kontakte leiden

Heinlein: Macht es denn Sinn, diese Kinder und Jugendlichen zu impfen, weil sie dann leichter in ein Fitness-Studio gehen können? Denn die meisten, selbst wenn sie erkranken, haben ja kaum Symptome.
Maske: Ja. Sinn macht es dann, wenn wir sehen, dass die sozialen Kontakte letztendlich leiden, denn wir sehen, dass die Lockdown-Maßnahmen sehr viel mehr Schäden bei den Kindern und Jugendlichen angerichtet haben als die Erkrankung selbst. Deswegen wollen wir auch in Zukunft vermeiden, dass es zu neuen Lockdown-Maßnahmen kommt oder auch Effekten durch zum Beispiel Schließung der Sportstätten, durch Schließung der anderen sozialen Einrichtungen, und somit auch verhindern, dass Kinder und Jugendliche daran wieder Schaden nehmen. Wir kämpfen auch mit allen anderen Mitteln dafür, dass Schulen und Kitas wieder offenbleiben, so dass es gar nicht erst wieder zum Lockdown kommen sollte, auch ganz unabhängig von der Impfung.
Heinlein: Gibt es denn aus Ihrer Sicht, aus Ihrer Sicht des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte schon ausreichend Untersuchungen über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen der Impfstoffe auf die kleinen, auf die Kinder und Jugendlichen? Die STIKO – wir haben es in dem Bericht von Folker Finthammer gehört – beklagt ja diese mangelnde Datensicherheit.
Maske: Ja, genau. Aber das ist ja die Aufgabe der STIKO, nach den ausreichenden Daten zu schauen. Wir als Kinder- und Jugendärzte informieren uns über Studien, aber haben längst nicht die Übersicht wie die Experten. Deswegen verlassen wir uns gerne auf das Urteil der STIKO, wollen aber auch, dass diese noch mal sich in den nächsten Tagen möglichst genau äußert, was in der Zukunft zu erwarten ist. Natürlich wollen wir, dass wir möglichst diese Impfung durchführen können, aber wir wollen auch, dass sie sicher ist, und das ist sie letztendlich dann, wenn die Ständige Impfkommission ihre Analysen abgeschlossen hat und hoffentlich zu diesem Schluss kommen wird.
Karl Lauterbach im Deutschen Bundestag.
Lauterbach: Ablehnende STIKO-Haltung nicht länger nachvollziehbar
Karl Lauterbach sieht die Ständige Impfkommission (STIKO) mit ihrer Position zur Corona-Schutzimpfungen von Kindern in einer "Außenseiterposition". Studien hätten ergeben, dass eine Durchseuchung mit der Delta-Variante gefährlicher sei als die Impfung von Kindern.

STIKO-Empfehlungen sind 100-prozentig sicher

Heinlein: Würden, können und dürfen Sie überhaupt Kinder und Jugendliche impfen, wenn die Politik es empfiehlt, aber die STIKO noch zögert?
Maske: Selbstverständlich! Wir dürfen jederzeit impfen. Wir dürften auch ohne Zulassung impfen, aber natürlich machen wir das möglichst nicht, weil wir bei jeder Impfung darauf Wert legen, dass sie sicher ist für die Kinder und Jugendlichen, und das ist sie zunächst mal mit der Zulassung, aber dann auch mit der in Deutschland Ständigen Impfkommission Empfehlung. Da können wir uns dann zu 100 Prozent darauf verlassen, dass wir eine sichere Impfung haben, ohne dass da finanziell oder politisch Einfluss genommen wurde, und das ist uns auch in Zukunft sehr wichtig.

Erneuter Lockdown schädigt Kinder mehr als eine Corona-Infektion

Heinlein: Können sich denn auch die Eltern zu 100 Prozent darauf verlassen, dass die Risiken einer Covid-Erkrankung und auch diese sozialen Aspekte, die Sie angeführt haben, bei Kindern und Jugendlichen in jedem Fall höher sind als die Gefahr von Impfnebenwirkungen, die ja von Fall zu Fall tatsächlich auftreten?
Maske: Na ja. Zunächst mal ist das gegeneinander schwer aufzuwiegen. Was wir sehen, worauf sich die Eltern sicherlich verlassen können ist, dass die Schäden, die durch einen erneuten Lockdown kommen würden, höher sind als die Schäden, die durch eine Infektion auftreten würden. Das ist sicherlich ganz wichtig. Wir müssten aber vergleichen, ob die Schäden, die durch die Impfungen ausgelöst werden, häufiger sind als die, die durch die Infektion ausgelöst werden, und da ist genau die STIKO noch am Hadern, ob das so ist, ob die Datenlage dafür ausreicht, um eine solche Aussage zu treffen.

"Einmischung der Politik verunsichert"

Heinlein: Sie haben in einer Ihrer ersten Antworten von einer Unsicherheit in Ihren Warte- und Sprechzimmern erzählt. Nun ist es ja so, Herr Maske, dass die Minister heute den minderjährigen Kindern und Jugendlichen wohl ein Impfangebot machen wollen, aber die STIKO – wir haben darüber geredet – mit dieser Empfehlung noch zögert. Verunsichert diese Uneinheitlichkeit von Politik und Wissenschaft zusätzlich Ihre Patienten?
Maske: Ja, das tut sie auf jeden Fall. Die Expertengruppe der STIKO ist hier sicherlich so herausragend und bekannt auch, dass sie sehr gut wahrgenommen wird von den Eltern, und insofern verunsichert dieses Einmischen der Politik, was sicherlich gut gemeint ist, aber im Moment nicht zielführend.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Heinlein: Würden Sie sich als Berufsverband eine einheitliche Empfehlung von Politik und Wissenschaft wünschen?
Maske: Ja, das wäre wirklich etwas, was uns sehr zufriedenstellen würde, und natürlich würden wir uns auch freuen, wenn wir gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen die Pandemie noch weiter zurücktreiben könnten. Aber wir wollen dafür auch eine sichere Impfung. Wir wollen unseren Kindern und Jugendlichen 100 Prozent sagen können, dass diese Impfung nicht mehr Schäden auslöst als eine Infektion auslösen würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.