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Kinderehen in der Türkei
Gesetze greifen noch nicht

Seit Jahrzehnten kämpft die Frauenbewegung in der Türkei dagegen, dass minderjährige Mädchen verheiratet werden. Inzwischen liegt das gesetzliche Heiratsalter bei 18 Jahren, dennoch gibt es zahlreiche Kinderehen. Nun bekommt das Thema neue Aufmerksamkeit - ausgelöst von einem Mann mit Zivilcourage.

Von Susanne Güsten |
    Frauen protestieren im Januar 2018 gegen die Befürwortung von Kinderehen durch das Präsidium für Religionsangelegenheiten (Diyanet) in der Türkei. Die Demonstranten kritisieren, dass das Präsidium die Ehe für neunjährige Mädchen und zwölfjährige Jungen befürwortet habe.
    Protest gegen die Befürwortung von Kinderehen durch das Präsidium für Religionsangelegenheiten in der Türkei (dpa / Altan Gocher / NurPhoto)
    Ein Routineauftrag war es, den Onur Albayrak von einem Kunden in seinem Fotostudio im osttürkischen Malatya erhielt. Der Fotograf solle Hochzeitsfotos von ihm und seiner Braut in einem Park machen, wünschte der Besucher, und die beiden Männer verabredeten einen Termin. Der verlief dann allerdings anders als erwartet, erzählt Albayrak:
    "Als ich im Park ankam und die Braut sah, erkannte ich sofort, dass sie ein Kind war. Darf ich fragen, wie alt die Braut ist, sagte ich, und bekam zur Antwort: 15 Jahre. Da sagte ich zum Bräutigam, dass ich keine Kinderbräute fotografiere, drehte mich um und ging. Er lief hinter mir her, beschimpfte mich und hielt mich am Jackett fest - so kam es zu einer Schlägerei."
    Die Begegnung endete für den Bräutigam mit einer gebrochenen Nase. Das ist Onur Albayrak noch immer etwas peinlich, zumal die Schlägerei nun landesweit bekannt geworden ist. Bis heute weiß der 34-Jährige nicht, wer die Szene im Park beobachtet und in den sozialen Netzwerken verbreitet hat. Das Echo sei aber überwältigend, sagt der Fotograf. Tausende Briefe, Botschaften und Anrufe aus dem ganzen Land hat er bekommen, in denen ihn die Menschen zu seinem Handeln beglückwünschen.
    Mehr Aufmerksamkeit für ein bekanntes Problem
    Die Frauenrechtlerin Gülsun Kanat vom Istanbuler Frauenschutzverein Mor Cati ist begeistert. Der Einsatz von Albayrak sei ermutigend für die Frauenrechtsbewegung, sagt Kanat. Dass ein Mann öffentlich für die Rechte von jungen Mädchen eintrete - das zeige ihr, dass der Kampf der türkischen Frauenrechtlerinnen nicht aussichtlos sei. Und dass er dafür so viel öffentlichen Beifall bekommen habe, gebe neue Hoffnung und Tatkraft. Die könnten sie freilich auch brauchen, fügt Kanat hinzu, denn die Zahl der Kinderehen steige.
    Die offiziellen Zahlen sehen anders aus. Nach Angaben des türkischen Statistikamtes fiel die Zahl der minderjährigen Bräute in den letzten fünf Jahren von sechs Prozent auf vier Prozent aller Eheschließungen. Doch diese Statistik zählt nur die amtlichen Ehen, die von Standesbeamten geschlossen werden und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Demnach können minderjährige Mädchen in Ausnahmefällen mit 17 Jahren heiraten, wenn die Eltern zustimmen, nur mit richterlicher Genehmigung auch mit 16 Jahren.
    Die Fehler der Statistiken
    Die allermeisten Kinderehen werden aber von der Statistik nicht erfasst, weil sie nicht amtlich geschlossen werden, sondern nur von einem Imam, einem islamischen Geistlichen. Die türkische Opposition schätzt diese Dunkelziffer auf ein Drittel aller Ehen im Land - das geht aus einem aktuellen Antrag der Opposition auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss hervor. Das Parlament könne da aber nicht viel ausrichten, meint Frauenrechtlerin Kanat.
    Die türkischen Gesetze seien in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert worden und heute eigentlich recht gut, sagt Kanat. Das Problem liege bei der Umsetzung. So würden die Gesetze zum Schutz von Frauenrechten von den Gerichten nicht ausgeschöpft und von den Behörden oft nicht angewandt. Das liege gar nicht so sehr an der islamisch orientierten Regierung der Türkei, sagt die Frauenrechtlerin, denn das sei unter vorherigen Regierungen auch nicht anders gewesen.
    Das Problem sieht sie vielmehr in der Vorherrschaft des Mannes in der türkischen Gesellschaft, gleich welche Partei gerade an der Regierung ist. Genau deshalb findet sie die Aktion des Fotografen und das positive Echo in der Gesellschaft so ermutigend - denn nur ein gesellschaftliches Umdenken könne bewirken, dass die Gesetze auch angewandt werden.

    Anmerkung der Redaktion: In diesem Beitrag haben wir das ursprünglich verwendete Hauptbild ausgetauscht. Im Zusammenhang des Textes war nicht deutlich geworden, dass das Bild keine echte, sondern eine für eine Protestaktion nachgestellte Kinderhochzeit zeigte.