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"Klare Regeln dürfen wir nicht aufweichen"

"Jetzt holen wir das, was leider 2004 falsch gemacht worden ist, nach, das ist ein harter Prozess", sagt der haushaltspolitische Sprecher der FDP Otto Fricke über den Euro - und ist optimistisch, dass Deutschland nicht zum Zahlmeister der kriselnden Union werden wird.

Dirk Müller im Gespräch mit Otto Fricke | 25.11.2010
    Dirk Müller: 15 Milliarden Euro will die irische Regierung in den kommenden Jahren sparen, einerseits durch radikale Kürzungen (auch im Öffentlichen Dienst), andererseits aber auch durch Steuererhöhungen (allerdings nicht für die Unternehmen). Wie auch immer im Detail, die Iren sind mächtig sauer auf ihre Regierung.
    Die Finanzmärkte pfeifen drauf, auf das, was die Politiker beschließen, meistens jedenfalls, so auch wohl jetzt. Der Rettungsschirm für Irland wird wohl kommen, doch die Anleger halten vom milliardenschweren Hilfspaket der Europäischen Union reichlich wenig und ziehen sich zunehmend aus dem Euro zurück. Was taugt der Euro langfristig noch, denn die meisten Beobachter sind fest davon überzeugt, seit Griechenland und Irland stehen die nächsten Länder schon Schlange, die auch Hilfen brauchen, Portugal, Spanien, Italien. – Darüber sprechen wollen wir nun mit Otto Fricke, Parlamentarischer Geschäftsführer und Haushaltsexperte der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Otto Fricke: Einen schönen Wintermorgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Fricke, wie marode ist der Euro an diesem Wintermorgen?

    Fricke: Ich glaube nicht, dass er so marode ist, wie er jetzt gerne geschrieben wird. Er ist mit Sicherheit nicht so marode, wie es Spekulanten versuchen darzustellen. Wir haben einzelne Länder, die Schwierigkeiten haben, und es taucht eben jetzt das auf, was ein Resultat einer langen Zeit von Versuchen ist, nicht darzustellen, wo die einzelnen Länder stehen, und es ist die Aufgabe von Europa insgesamt, jetzt auch klarzumachen, wer steht wo, wer muss was tun, welche Maßnahmen sind notwendig, um das Ganze wieder auf die Linie zu bringen, wie sie mal vor der Aufweichung der Euro-Stabilitätskriterien war.

    Müller: Das sind aber jetzt dieselben Kriterien, dieselben Antworten, die wir auch im Zuge Griechenlands gehört haben?

    Fricke: Na ja, nicht ganz. Man muss immer noch eines unterscheiden. Wir haben auf der einen Seite innerhalb Europas einige Länder, die anders dastehen und wo früher die Frage, wie sie wirtschaftlich dastehen, durch unterschiedliche Zinsen, bevor es den Euro gab, klargemacht worden sind, und Zinsen geben ja immer an, wie hoch das Risiko eingeschätzt wird, und sagen einem Staat, sagen der Politik auch, wie viel Geld diese Politik überhaupt an Krediten aufnehmen kann in einer vernünftigen Art und Weise. Das ist verdeckt worden, auch dadurch, dass man sich bei Verletzung von Stabilitätskriterien nicht auf Maßnahmen geeinigt hat. Jetzt holen wir das, was leider 2004 falsch gemacht worden ist, nach, das ist ein harter Prozess, aber er ist machbar. Nur dafür bedarf es natürlich der Voraussetzung, dass man auch nicht mit einem europäischen Stimmenwirrwarr handelt, sondern dass man eine klare Linie gemeinsam findet und dann sagt, was sind die Bedingungen, wie gehen wir schrittweise vor, und dann genau guckt, was der gesamte Instrumentenkasten hergibt. Da sind wir noch nicht, wie der Rheinländer sagt, an Schmitz' Backes vorbei, sondern das ist viel Arbeit.

    Müller: Herr Fricke, reden wir auch über die Staaten. Gestern hat es auch eine Meldung gegeben, dass Anleihen der Bundesregierung zum ersten Mal eine Abfuhr bekommen haben, zumindest für den angebotenen Preis. Jetzt wird es eng?

    Fricke: Na ja, auch da wieder: Man muss vorsichtig sein. Wir sind im Moment in einer Phase, in der der Markt alles Mögliche austestet. Jetzt kann man sagen, das ist der böse Markt, wo bleibt das Primat der Politik. Das Primat der Politik ist Berechenbarkeit und Ruhe. Und wenn Sie sich dann die jeweiligen Angebotsverfahren auch für deutsche Anleihen angucken, dann werden Sie am Ende sehen, dass bei dem, was wir erleben, da sehr viel reine Spekulation und wenig Fakten ist. Nur solange wir eben die Fakten noch nicht haben, auch die Fakten noch nicht haben, wie genau in allen Details das Programm für Irland aussieht, solange entsteht Unruhe. Jetzt aber daraus die berühmte Panik zu machen, ist genau das, was in allen vergangenen Jahrzehnten der Fehler von Politik war. Nein, wir müssen klare Grenzen aufzeigen, und noch mal: Wir müssen die Fehler vermeiden, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, sprich klare Regeln dürfen wir nicht aufweichen, wir dürfen – und das ist das Wichtige – dann aber auch bei den Maßnahmen nicht vergessen, dass wir klar anzeigen, wo die Reise hingeht, und wir müssen aufpassen, dass wir eben auch sehen, gerade als Deutsche, es ist unsere Währung, die uns viele Vorteile bringt, gebracht hat und auch noch bringen wird.

    Müller: Jetzt tun Sie das ein bisschen so ab, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Fricke, das Thema Spekulationen, Spekulanten. Dabei hat gerade die zweite Angriffswelle der Spekulanten ja nun wieder einmal Erfolg gehabt. Die erste ging nach Griechenland, die zweite ging nach Irland. Es werden weitere kommen. Das heißt, die Spekulanten sind im Moment mächtiger als die Politik?

    Fricke: Ja, das ist genau der Versuch. Oder sagen wir mal so: Das ist genau das, was im Moment versucht wird darzustellen. Die Frage ist, wie Politik reagiert. Und der zweite Punkt: Die Spekulanten zeigen, so hart das klingt, auf, wo die Schwächen sind, wo in der Vergangenheit durch Politik das verdeckt worden ist, wo man gesagt hat, nein, nein, man muss sich nicht an klare Regeln halten, man braucht diese Drei-Prozent-Grenze nicht so genau, das kann man ruhig öfters mal verletzen, es gibt auch keine Konsequenzen. Und immer dann, wenn Politik gezeigt hat, was die Grenzen sind, wie man auf der einen Seite im Rahmen von europäischer Solidarität hilft, auf der anderen Seite auch klare Maßnahmen setzt, und dann – und das ist die zweite Schwierigkeit in einer Demokratie – auch das betroffene Land darauf reagiert und sich entsprechend anpasst, dann kann das klappen.
    Was dann die nächste Frage angeht, auf die Sie anspielen, müssen da jetzt nicht weitere Fragen kommen, also der berühmte haircut oder Ähnliches mehr, das ist dann die zweite Aufgabe. Da muss man klare Regeln auch aufstellen und da ist der sogenannte haircut eine von mehreren Möglichkeiten, in Zukunft das zu machen.

    Müller: Das müssen Sie uns jetzt noch mal genau erklären. Was ist damit gemeint, mit diesem haircut?

    Fricke: Es wird da immer gesagt, es gibt das Wort haircut, es gibt das Wort Insolvenzregelung, es gibt das Wort der sogenannten Beteiligung der Gläubiger, wo man auch immer aufpassen muss, wer ist denn der Gläubiger, wer steht eigentlich hinter den Staatsanleihen, wer hält die neben den Banken, sind das Versicherungen, sind wir das als Bürger selber auch, die wir in unsere jeweilige Versicherung ja auch Geld eingezahlt haben. Jetzt geht es um die Frage: Wenn ich jemandem Geld gebe und sage, dafür hätte ich gerne Zinsen, dann muss ich sehen, je höher die Zinsen sind, die ich dafür kriege, umso höher ist das Risiko, dass ich nicht all mein Geld zurückkriege. Das leider ist kaputtgemacht worden in der Vergangenheit, dadurch, dass man gesagt hat, du kriegst höhere Zinsen und das Risiko, dass der Betroffene ausfällt, in Teilen ausfällt, das übernehmen wir in Europa irgendwie. Das kann in Zukunft nicht mehr funktionieren.

    Müller: Aber genau das tun wir doch im Moment, Herr Fricke. Genau das tun wir doch!

    Fricke: Moment! Ja, aber ich differenziere. Ich kann nicht – und das hat mir ein Engländer sehr schön erklärt, einen schönen Satz, der sagt "you don't do a haircut on a rough road, you do it in a parking road". Der hat gesagt, du kannst doch nicht bei der Frage, wie du mit einem solchen Kandidaten umgehst, mitten auf einer holprigen Straße diesen haircut machen, die Haare schneiden und sagen, wie viel geht noch; das kannst du erst machen, nachdem du eine gewisse Beruhigung hast. – Mitten sozusagen auf der Straße das zu tun, wäre unverantwortlich, und da sage ich auch deutlich, bei der Frage, was sind die Alternativen, wie wir mit den Ländern umgehen, gibt es viele, aber wir müssen für unseren deutschen Steuerzahler, aber auch für den europäischen Steuerzahler insgesamt die beste finden. Für die Zukunft jedoch müssen wir endlich diese klaren Regeln hinsetzen. Man darf das nur nicht vermengen; das ist das, was im Moment passiert.

    Müller: Herr Fricke, ich muss Sie mal unterbrechen. – Sie sagen, das gilt für die Zukunft, aber nun haben wir ja den Salat und auch die anderen Länder stehen nun vor der Türe und es wird keiner ernsthaft bezweifeln, dass die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr groß ist, dass die mit rein müssen in diesen Rettungsschirm. Das heißt, irgendwo ist doch irgendwann auch mal die Grenze erreicht. Werden wir in einigen Jahren den Euro, wie er jetzt ist, so nicht mehr haben, das heißt Kern-Euro-Länder?

    Fricke: Erstens: Wenn ich das alles wüsste, dann würde ich meinen Job als Abgeordneter verfehlen, denn dann wäre ich ein wahrscheinlich einigermaßen guter Volkswirt. Nein, das kann ich nicht genau sagen. Ich kann im Moment – und ich glaube, das kann kein Politiker sagen ...
    Die Frage, ob so etwas passiert oder nicht, hängt doch davon ab – das wird vollkommen vergessen -, wie wir uns jetzt und heute, wie vernünftig wir uns verhalten, welche Maßnahmen gemeinsam durchgesetzt werden. Deswegen ist es auch so gut, dass der IWF drin ist, dass es eben nicht so ist, dass hier nur ein Land das macht, und dass eben nicht Deutschland eine Führungsrolle hat und das vorgibt, sondern dass wir über den IWF und über das gemeinsame Handeln die Richtung vorgeben.

    Müller: Aber die Deutschen werden wieder am meisten bezahlen, Herr Fricke?

    Fricke: Erstens werden die Deutschen wenn überhaupt erst mal am meisten garantieren. Als jemand, der jetzt jahrelang im Haushaltsausschuss sitzt, kann ich nur sagen, das, was wir schon alles im Bereich von Unternehmen an Bürgschaften gegeben haben, um zu sichern, um zu stabilisieren – und das darf ich auch mal sagen -, was wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise an Stabilisierungsmaßnahmen gegeben haben über Garantien, ist in vielen Fällen, in den meisten Fällen und vor allen Dingen im Saldo zurückgezahlt worden. Die Frage, ob wir am Ende die Zahlmeister sind – und das ist ja die Angst der Deutschen, die ich auch verstehen kann und gegen die es zu arbeiten gilt -, die kann ich doch nur dadurch kaputtmachen, dass ich dafür sorge, dass die Betroffenen einen Weg finden, aus dieser Krise rauszukommen. Der geht nicht von heute auf morgen mit einem Umschalten. Wer meint, er könne sozusagen mit einem Blick sagen, jetzt gehen wir da raus und dann ist alles gut, dem kann ich nur sagen, man sollte mal seine Eltern fragen, wie das denn in den 70ern war, als wir als Deutschland mit der starken D-Mark das gemacht haben, die Länder um uns herum abgewertet haben, und auf einmal – ich sage das als jemand, der aus Krefeld, einer Samt- und Seidenstadt einstmals, stolz kam – man feststellen musste, dass innerhalb eines halben Jahres die Maschinen nach Italien oder noch weiter gegangen waren und die Arbeitslosigkeit bei uns kam. – Wir müssen sehen, dass wir profitieren. Das heißt nicht, dass wir Zahlmeister sind. Und wir müssen dann aber dafür auch sorgen, dass wir den anderen die Möglichkeit geben, durch harte Arbeit und Sparmaßnahmen da wieder rauszukommen, so wie Deutschland das übrigens in den letzten zehn Jahren für sich gemacht hat.

    Müller: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk-Interview Otto Fricke, Parlamentarischer Geschäftsführer und Haushaltsexperte der FDP-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Fricke: Ich habe zu danken.