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Klare Signale

Menschen, die nah am Ausgangspunkt eines Tsunamis wohnen, bleibt in den meisten Fällen nur wenig Zeit zur Flucht. Wissenschaftler vom Deutschen Geoforschungszentrum setzen nun auf Infraschallmessungen, um die Frühwarnung zu verbessern.

Von Dagmar Röhrlich |
    Am 26. Dezember 2004 löste das Sumatra-Andamanen-Beben einen verheerenden Tsunami aus: Innerhalb einer Viertelstunde erreichte er Sumatra, in Sri Lanka brandete er nach 90 Minuten an, in Indien und Thailand nach zwei Stunden. Rund um den Indischen Ozean riss die Flutwelle Zehntausende Menschen in den Tod. Niemand warnte sie, denn - anders als im Pazifischen Ozean - gab es damals im Indischen kein Frühwarnsystem. Das sei dann mit deutscher Hilfe aufgebaut worden, erzählt Rainer Kind vom Geoforschungszentrum Potsdam:

    "Man lokalisiert ein Erdbeben, bestimmt die Magnitude und schaut, ob es unter wasserbedecktem Gebiet war oder nicht - und dann dient das als Vorwarnung gewissermaßen."

    Dazu kommen die Messdaten von Bojen auf dem Meer und von Pegelstationen an der Küste, denn bei dieser Methode verraten erst die Veränderungen im Meeresspiegel, ob ein Beben tatsächlich einen Tsunami ausgelöst hat oder nicht:

    "Mit den Bojen ist das so ein Problem: Die verschwinden oft, die lösen sich oder werden gestohlen oder so etwas. Die meisten arbeiten jedenfalls nicht sehr zuverlässig. Und wenn man an der Küste einen Tsunami messen will, dann ist es natürlich schon zu spät, dann ist er ja schon da. Deshalb schaut man sich nach anderen Möglichkeiten um."

    Und so kommt der Infraschall ins Spiel. Tsunamis erzeugen Infraschallwellen. Die entstehen, weil das Erdbeben den Meeresgrund anhebt, der die Wassersäule in Bewegung setzt und damit die Meeresoberfläche - und die überträgt ihre Bewegung wiederum in die Luft - wie bei der Membran eines Lautsprechers.

    "Bei der Ausbreitung der Infraschallwellen gibt es einen klaren Übergang der Energie vom Meeresboden auf das Wasser, vom Wasser in die Luft. Der Luftschall breitet sich so im Mittel mit 330 Metern pro Sekunde aus, und der Tsunami in der Tiefsee vielleicht mit einer Geschwindigkeit von 200 Metern pro Sekunde."

    Weil der Infraschall also deutlich schneller ist als die Tsunamiwelle, kann er als Warnsignal dienen, so die Idee der Potsdamer Forscher. Also werteten sie für das Sumatra-Andamanen-Beben von 2004 und für das Tohoku-Beben von 2011 die Infraschalldaten des CTBTO-Messnetzes aus, des Messnetzes der UN-Organisation zur Überwachung des Atomteststopp-Abkommens. Um ein potenzielles Tsunamisignal von störenden Signalen zu unterscheiden, interessierten sich die Forscher nur für besonders langwellige Schwingungen:

    "Wir haben da klare Signale beobachtet - sehr erstaunlich klare Signale - und konnten damit den Herd lokalisieren: Und siehe da, das war in der Nähe des seismologischen Epizentrums in beiden Fällen, beim Sumatra-Erdbeben und beim Fukushima-Erdbeben. Diese Methode hat sich damit als sinnvoll herausgestellt; einen Infraschall zu benutzen, um festzustellen, ob überhaupt ein Tsunami erzeugt worden ist, und wo er erzeigt worden ist, wo er herkommt und auch wie stark er ist."

    Um Einflüsse wie Luftdruckänderungen herauszufiltern, die auch Infraschall erzeugen, muss ein Netzwerk von Detektoren aufgebaut werden. Ein solches Netzwerk aufzubauen, sei weder teuer noch schwierig:

    "Wenn man zum Beispiel bei allen seismischen Stationen noch einen Infraschall-Sensor dazu tut und dann mit den seismischen Daten überträgt, das wäre technisch überhaupt kein Problem, es müsste nur gemacht werden. Aber das wäre halt unser Vorschlag, dass man solche Sensoren in großen Zahlen, wie die seismischen Sensoren, auch dort in den gefährdeten Gebieten aufstellt."

    Sei das mit den seismischen Stationen gekoppelte Infraschall-Netz eng genug, ließe sich sofort ablesen, wie sich der Tsunami vorwärts bewegt, so Rainer Kind:

    "Im Falle von Sumatra, wo das Beben einige hundert Kilometer vor der Küste passierte, hätten die Leute dann vielleicht zehn Minuten Vorwarnzeit. Man braucht dann nicht noch einmal zu warten, bis überhaupt die Gezeitenmessgeräte an der Küste einen Ausschlag geben."

    Man weiß dann, dass wirklich ein Tsunami unterwegs ist und kann die Menschen gezielt warnen.