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Klaus-Dieter Lehmann
Deutschlands großer Kulturdiplomat verabschiedet sich

Kein Kulturmanager und –politiker hat das Bild Deutschlands so nachhaltig geprägt wie er: Klaus-Dieter Lehmann. Nun wurde der Präsident des Goethe-Instituts und sogenannte „Vaters des Humboldt Forums“ in Berlin aus seinem Amt verabschiedet – im Alter von 80 Jahren.

Von Werner Bloch | 14.11.2020
Klaus-Dieter Lehmann, ehemaliger Präsident des Goethe-Instituts.
Klaus-Dieter Lehmann: "Es kann einem nichts besseres passieren, als ein politisches Gebäude, ein König- und Kaisergebäude in ein Kulturgebäude zu transformieren." (picture alliance/dpa: Jörg Carstensen)
"Ich heiße Sharaf, ich komme aus Kaschmir, ich liebe Deutsch, ich sprech’ Deutsch." / "Ich heiße Mandy."
Klaus-Dieter Lehmann auf Tournee in Indien. Der Präsident des Goethe-Instituts besucht Schulen in einem Land, in dem mehr Deutsch gelernt wird als irgendwo sonst. , Lehmann unterzeichnet Abkommen, ist als Kulturbotschafter unterwegs. Aber der gelernte Physiker ist auch ein scharfer Beobachter, der Eindrücke mitnimmt und seine Schlüsse zieht.
"Es gibt in Deutschland ein Klischee von Indien, das wird durch zwei Aspekte bedient: das eine ist Entwicklungsland, Armut, Schmutz, Hunger, Elend, und das andere ist die kommende Weltmacht, die quasi Raketen in das All schickt, und dazwischen ist nichts. Und nun kommt man nach Indien und merkt plötzlich, dass eine Differenziertheit in der Intellektualität da ist, die ganz erstaunlich ist."
Abschied vom Goethe-Institut - „Nähe zu den Menschen vor Ort“
Die Goethe-Institute bieten weltweit mehr als Sprachkurse. Das hat viel mit dem scheidenden Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann zu tun. "Wir sind sehr stark zivilgesellschaftlich tätig", so seine Bilanz.
Zwischentöne hören und dann oft mit erstaunlichen Lösungen überraschen – das ist die Basis des Systems Lehmann, des erfolgreichsten deutschen Kulturvermittlers der letzten 30 Jahre - egal ob als Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder als Goethe-Präsident.
"Diese Offenheit, mit der man in die Welt gehen muss, ist ein ganz wesentlicher Anteil der Kulturarbeit. Wenn man festgelegt ist, mit der Interpretation schon rausgeht, hat man verloren."
Eigentlich hat Klaus-Dieter Lehmann, der seine Karriere als Physiker startete und sogar Mondgestein untersuchte, das die Apollo 11 Mission mitgebracht hatte, alles erreicht. Aber sein größter Traum dümpelt immer noch vor sich hin: das Humboldt Forum.
"Die Museumsinsel war für mich immer die Geschichte Europas über Kunst und Kultur "
Lehmann wird oft als "Vater" des Humboldt Forums bezeichnet. Angeregt hatte er eine ganz neue Art von Museum nach der Vereinigung im Zentrum der Hauptstadt – durch den Transfer der ethnologischen Sammlungen von der Peripherie auf die Museumsinsel.
"Das war für mich eine relativ logische Entwicklung. Die Museumsinsel war für mich immer die Geschichte Europas über die Kunst und die Kultur. Wenn man so ein kulturelles Ensemble sieht, dann geht einem auf: Da fehlt doch was. Die Welt besteht ja nicht nur aus Europa."
Die Kuppel des Rohbaus des Berliner Schlosses, das den Namen Humboldt-Forum trägt, in Berlin. Es ist Nacht, im Vordergrund ein Baukran.
Als Lehmann seine Vision verkündete, war das alles andere als selbstverständlich. Damals behaupteten viele Kunstkritiker, es gebe in Afrika gar keine "richtige" Kunst, sondern nur "Stammeskunst."
"Die Weltkulturen gehören in die Mitte Berlins. Und damit war das Ganze erklärt. Das war eine Logik, die mich so beeindruckt hat, dass ich dachte, sie muss jeden beeindrucken.
Es ist so viel Gedankenschutt dann wieder drüber gelegt worden, so dass man heutzutage gar nicht erkennt, wie logisch und einfach dieses Konzept ist. Es ging um die Möglichkeit, in einen Dialog zu kommen, anstatt die Kulturen zu separieren, wie das vorher der Fall war."
Das Humboldt Forum – es sollte das wichtigste, größte und teuerste Kulturprojekt der Bundesrepublik werden. Doch nach Lehmanns Abgang geriet das Projekt ins Schlingern. Bis heute gibt es für das Humboldt Forum kein klares Konzept. Der Bau selbst – ein merkwürdiges Zwitterwesen aus Preußischem Stadtschloss und zeitgenössischer Architektur – funktioniert nicht.
Geplante Eröffnungen wurden mehrfach verschoben, so manche könnten eine Parallele zum Pleiten-, Pech- und Pannen-Flughafen BER sehen.
Als der Intendant des Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, im Oktober einen neuen Eröffnungstermin für den Dezember ankündigte, reagierten manche Journalisten sogar sarkastisch.
"In diesen schwierigen Zeiten kommen wir hoffentlich mit gute Nachrichten. Wir werden fertig, Wir machen auf. Wir fangen an. Wir werden Humboldt Forum, das ist die Botschaft für den heutigen Tag."
Das ist leider keine Botschaft, sondern Wunschmusik. Die Gesamtkosten sind astronomisch gestiegen, liegen mittlerweile bei fast 700 Millionen Euro. Der Vater des Humboldt Forums" verfolgt diese negative Entwicklung, auch wenn er Ansätze zur Hoffnung sieht.
Vor 70 Jahren - Die Sprengung des Stadtschlosses in Ost-Berlin beginnt
Am 7. September 1950, vor 70 Jahren, begann die DDR im sowjetischen Sektor von Berlin das im Zweiten Weltkrieg durch Bomben beschädigte Stadtschloss zu sprengen. Übrig blieben die Fundamente – auf denen seit einigen Jahren ein Nachbau des einstigen Barockschlosses für das Humboldt-Forum errichtet wird.
Lehmann missbilligt auch das goldene Kreuz, das seit einigen Monaten über dem Humboldt Forum schwebt, über der angeblich internationalsten und offensten Kulturinstitution Deutschlands. Das Ganze noch unterlegt von einem reaktionären Spruch König Friedrich Wilhelm IV., dass man nur durch das Christentum zum Heil gelangen könne.
Klaus-Dieter Lehmann hat ganz andere Horizonte: "Für mich ist eine Sache entscheidend. Als der Reichstag verhüllt worden ist durch Christo, hat jeder diesen alten dunklen Kasten in einer Transformation erlebt, der plötzlich ein demokratisches Gebäude wurde. Für mich ist dieses Humboldt Forum, das aus der preußischen Schlosssituation entwickelt wurde und die Fassaden im Wesentlichen beibehalten hat, auch ein Transformationsprozess. Dort, wo vorher Preußens Gloria war, ist jetzt die Kultur zu Hause. Es kann einem nichts besseres passieren, als ein politisches Gebäude, ein König- und Kaisergebäude in ein Kulturgebäude, zu transformieren."
Man spürt, warum Klaus-Dieter Lehmann ein Glücksfall für die deutsche Kulturpolitik war – und dass er sehr schwer zu ersetzen sein wird.
"Da muss jeder glücklich sein, dass wir diese Transformation geschafft haben. Und dass wir uns nicht feiern in der Weise, dass wir Preußen auferstehen lassen."