Donnerstag, 28. September 2023

El Niño und La Niña
Klimaphänomene mit globalen Auswirkungen

Alle paar Jahre wirbelt das Klimaphänomen El Niño das Wetter im Pazifikraum durcheinander. Es beeinflusst direkt oder indirekt das Klima überall auf der Erde. Was steckt hinter dem Phänomen, und wie hängt es mit dem Klimawandel zusammen?

Von Dagmar Röhrlich | 20.09.2023

    Fischerboote liegen auf dem ausgetrockneten See Timah Tasoh, 500 Kilometer nördlich von Kuala Lumpur. Ursache für die Trockenheit ist das El-Nino-Phänomen
    Folgen von El Niño: Fischerboote liegen 2016 auf dem ausgetrockneten See Timah Tasoh, 500 Kilometer nördlich von Kuala Lumpur. (picture alliance / NurPhoto / Mukhriz Hazim)
    Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) warnte Anfang Juli 2023 vor einem seltenen und gefährlichen Wetterphänomen und den Folgen für das Klima: Erstmals seit sieben Jahren hätten sich "im tropischen Pazifik El-Niño-Bedingungen entwickelt, die die Voraussetzungen für einen wahrscheinlichen globalen Temperaturanstieg und störende Wetter- und Klimamuster schaffen".
    Zum ersten Mal könnte so die Erderwärmung in einem Jahr weltweit durchschnittlich 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, teilte die WMO bereits im Mai 2023 mit. Australien hat das Wetterphänomen im September 2023 offiziell ausgerufen.

    Inhaltsverzeichnis

    Was sind El Niño und La Niña?

    Wie die Jahreszeiten ist El Niño ein normales Phänomen im Klimageschehen. Wenn er auftritt, bildet sich im Ostpazifik eine Wärmeanomalie. Das ist alle zwei bis sieben Jahre der Fall und dauert im Schnitt um die zwölf Monate.
    Das Gegenstück zu El Niño ist die Kälteanomalie La Niña. Dazwischen ist das Meer in der dritten, der neutralen Phase. Alle drei zusammen bilden im zentralen und östlichen tropischen Pazifik eine „Klimaschaukel“ namens ENSO (El Niño/Southern Oscillation).
    Angetrieben wird ENSO von den Passatwinden entlang des Äquators. Sie entstehen durch Luftdruckunterschiede dies- und jenseits des Pazifiks. In den neutralen Jahren ist der Luftdruck im Osten über Südamerika hoch, im Westen, also über Südostasien und Australien, dagegen niedrig.
    Die Passatwinde versuchen, den Unterschied auszugleichen, und wehen beharrlich in westliche Richtung. Dabei treiben sie ebenso beharrlich tropisch-warmes Oberflächenwasser vor die Küsten Australiens und Indonesiens. Vor der Küste Südamerikas strömt dafür ständig kaltes Tiefenwasser nach, um den Verlust auszugleichen.
    Während der Kälteanomalie La Niña verstärkt sich der neutrale Zustand: Die Passatwinde sind besonders stark und lang anhaltend, und vor allem vor Ecuador und Peru gelangen dann gewaltige Massen Tiefseewassers an die Oberfläche.
    Normale Wetterlage
    Meeresströme und Winde bei normaler Wetterlage. (Grafik: Deutschlandradio)
    In El-Niño-Jahren wiederum ist der Luftdruckunterschied zwischen dem östlichen und westlichen Pazifik deutlich kleiner oder dreht sich sogar um, und die Passatwinde schwächeln oder fallen ganz aus. Dann „dümpelt“ im Ostpazifik über Tausende Quadratkilometer hinweg warmes Oberflächenwasser, der Aufstrom an kaltem Meereswasser lässt nach.
    Eine El-Nino-Wetterlage
    So verändert El Niño Meeresströme und Winde. (Grafik: Deutschlandradio)

    Woher kommt der Name El Niño?

    „El Niño de Navidad“ – das Christkind – haben südamerikanische Fischer im 17. Jahrhundert die Klimaanomalie getauft, denn sie erreicht normalerweise ihren Höhepunkt um die Weihnachtszeit. Für die Fischer bedeutete dieses besondere Christkind schwierige Zeiten. Das normalerweise aufströmende kalte Tiefenwasser ist sehr nährstoffreich, sodass das Phytoplankton besonders gut gedeiht und der Fischreichtum hoch ist.
    Lässt der Zustrom in El-Niño-Jahren nach, fehlen die Nährstoffe mit Folgen für Phytoplankton und Fischschwärme: Die Netze der Fischer bleiben leer. Deshalb dürfte El Niño schon den Inka Sorgen bereitet haben.

    Wirken El Niño oder La Niña auch in Deutschland und Europa?

    Global gesehen führt La Niña zu niedrigeren Temperaturen, El Niño zu höheren – beide begünstigen zudem Extremwetter, allerdings in verschiedenen Weltregionen. Die stärksten Auswirkungen hat ENSO nahe dem tropischen Pazifikraum. Weil die Verdunstung bei warmem Wasser höher ist, können während El Niño an der Pazifikküste Süd- und Mittelamerikas überaus starke Regenfälle mit Überschwemmungen und Erdrutschen auftreten.
    Es trifft aber auch den Süden der USA, das Horn von Afrika oder Zentralasien. Zur gleichen Zeit treffen schwere, lang anhaltende Dürren mit steigender Waldbrandgefahr Australien, Indonesien, im südlichen Afrika und Teile Südasiens. Bei La Niña ist es umgekehrt.
    Europa liegt dabei so weit vom Geschehen im äquatorialen Pazifik weg, dass sich die direkten Auswirkungen in den statistischen Wahrscheinlichkeiten niederschlagen. So könnte es sein, dass es in El-Niño-Jahren in Skandinavien etwas weniger regnet, in Mittel- und Südeuropa dafür etwas mehr.
    Allerdings wird das europäische Klima vor allem vom Atlantik bestimmt. Doch erhöht El Niño in Europa das Risiko für Extremwetterlagen wie Hitzewellen, weil er die globalen Temperaturen in die Höhe treibt und für Spitzen in der globalen Erwärmung sorgt.

    Droht ein "Mega-El-Niño"?

    Australien hat im September offiziell das Wetterphänomen El Niño ausgerufen. Die Meteorologiebehörde warnte, im dort bevorstehenden Sommer drohten extrem hohe Temperaturen und heftige Buschfeuer. Schon in der ersten Septemberhälfte lagen die Temperaturen in Australien für die Jahreszeit viel zu hoch, mancherorts 10 bis 16 Grad über den Durchschnittswerten für diesen Monat.
    Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hatte bereits Anfang Mai vor einem möglichen „Mega-El-Niño“ gewarnt. Damals lagen im äquatorialen Pazifik die Wassertemperaturen 0,4 Grad über dem langjährigen Mittel.
    „Die Entwicklung eines El Niños wird höchstwahrscheinlich zu einem neuen Anstieg der globalen Erwärmung führen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Temperaturrekorde gebrochen werden“, so WMO-Generalsekretär Petteri Taalas.
    Taalas fürchtet, dass 2024 die symbolträchtige Marke von plus 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit gerissen werden könnte – wenn auch „nur“ vorübergehend. „El Niño kombiniert mit der menschengemachten Erwärmung wird die globalen Temperaturen in bisher unbekannte Gefilde treiben: Dies wird weitreichende Konsequenzen für Gesundheit, Nahrungssicherheit, Wassermanagement und die Umwelt haben“, sagt Taalas.

    Was hat das mit dem Klimawandel zu tun?

    El Niño/Southern Oscillation (ENSO) und das globale Klima sind eng verwoben. So brachten in den vergangenen Jahrzehnten starke El-Niño-Jahre auch Hitzerekorde in den Ozeanen und der Atmosphäre. Besonders stark war dies 2016, dem wärmsten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
    Beide Ausschläge der ENSO-Schaukel können Effekte des Klimawandels abschwächen oder verstärken: „Was El Niño oder La Niña anbelangt, stellt die globale Erwärmung ein Experiment planetarischen Ausmaßes dar, dessen Ausgang wir nicht kennen“, urteilt Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR).
    „Die gerade zu Ende gegangene dreifache La-Niña-Phase hat mit ihrem kühlenden Effekt auf das Klima dazu geführt, dass die globalen mittleren Oberflächentemperaturen auf einem Plateau verharrten und trotz wachsender Treibhausgasemissionen nicht gestiegen sind“, so Michael McPhaden von der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA.
    Die Folge: Als La Niña im März verschwand, stiegen die globalen mittleren Oberflächentemperaturen schlagartig um 0,2 Grad Celsius. La Niña überdeckt die Folgen der Treibhausgasemissionen nur, lässt sie indes nach, werden die umso deutlicher.
    Aber auch der Klimawandel verändert ENSO, etwa über die Verlagerungen großräumiger Luftströmungen. Außerdem sorgen die sich erwärmenden Ozeane dafür, dass sich Temperaturgefälle zwischen Äquator und Pol abschwächen und Niederschlagsmuster verändern.