Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Klimaforscher Mojib Latif
"Im Moment sind wir auf Kurs eines Worst-Case-Szenarios"

2019 geht als das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Klima-Aufzeichnungen ein. Von einer Beschleunigung der Erderwärmung will Klimaforscher Mojib Latif nicht sprechen, eher von erwartbaren Zahlen. Weltpolitisch werde der Temperaturanstieg trotz medialer Aufmerksamkeit nicht ernstgenommen.

Mojib Latif im Gespräch mit Georg Ehring | 09.01.2020
Blick auf das Kohlekraftwerk Lippendorf südlich von Leipzig in der Abendsonne
Blick auf das Kohlekraftwerk Lippendorf südlich von Leipzig (Sven Simon)
Georg Ehring: Die Fieberkurve des Planeten weist Schwankungen auf, doch der Trend zeigt ganz klar nach oben. 2019 war das zweitwärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn. Das gab das europäische Forschungsprojekt Copernicus gestern bekannt. Weltweit war es nur 2016 noch wärmer: um knappe 0,04 Grad. Bei uns in Europa war es sogar das wärmste Jahr und in Australien auch.
Die verheerenden Brände dort haben vermutlich einiges damit zu tun, und darüber habe ich vor dieser Sendung mit Mojib Latif gesprochen. Er forscht am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel über das Klima. Haben Sie die Zahlen überrascht? Das war meine erste Frage.
Mojib Latif: Nein, ganz und gar nicht. Wir stecken ja mitten drin in der Klimaerwärmung und 2018 war in Deutschland ja beispielsweise schon wieder ein Rekordjahr und 2019 jetzt das zweitwärmste Jahr in Deutschland und natürlich auch weltweit, und das sind ja keine Einzelfälle. Das letzte Jahrzehnt war auch das wärmste Jahrzehnt. Die letzten fünf Jahre waren auch die wärmste Fünf-Jahres-Periode seit Beginn der Messungen 1880. Es ist völlig klar: Wir stecken in der Erderwärmung.
Mojib Latif, Klimaforscher und Vertreter von Scientists for Future, steht am 16.05.2019 vor dem Rathaus – die Bürgerinitiative "Klimanotstand Kiel" stellte hier ihre Resolution mit Forderungen für die Landeshauptstadt Kiel zur Erklärung des Klimanotstands vor. 
Mojib Latif, Klimaforscher und Vertreter von Scientists for Future. (picture alliance/Carsten Rehder/dpa)
Ausstoß steigt immer noch weltweit - "Nur das zählt"
Ehring: Beschleunigt sich da der Trend gerade? Wir blasen ja auch immer mehr CO2 in die Atmosphäre.
Latif: Ja! Beschleunigt würde ich jetzt nicht unbedingt sagen. Er verläuft immer noch so, wie wir es anhand der Klimamodelle auch erwartet haben. Jetzt geht es wirklich darum, ob wir fähig sind, das heißt, ob die Menschheit fähig ist, wirklich den Ausstoß von Treibhausgasen zu bremsen. Im Moment steigt er leider immer noch weltweit, und nur das zählt.
Ehring: Die Ereignisse der letzten Jahre, unter anderem auch die Brände in Australien, legen ja nahe, dass das alles schneller geht. Aber Sie sagen, dass das im Grunde so kommt wie erwartet?
Latif: Ja! Im Moment sind wir noch auf Kurs, aber auf Kurs heißt auf Kurs eines Worst-Case-Szenarios, weil die Emissionen, insbesondere die CO2-Emissionen immer noch wachsen. Trotz des Pariser Klimaabkommens 2015 zeigt auch beim CO2 die Kurve immer noch massiv nach oben. Und insofern, wenn sich nichts ändern sollte, dann wird die Kurve sich noch etwas weiter aufsteilen und dann werden wir bis zum Ende des Jahrhunderts vielleicht eine Erderwärmung von vier, vielleicht fünf Grad haben. Bisher beträgt sie gut ein Grad.
Ehring: In Australien brennen die Wälder. Wie stark ist da der Zusammenhang zur Erderwärmung?
Latif: Australien ist ganz besonders betroffen – jetzt nicht nur im Moment, sondern in den letzten Jahren überhaupt. Da purzeln ja die Temperaturrekorde einer nach dem anderen. Ende letzten Jahres – ich glaube, es war der 17. Dezember -, das war der wärmste Dezembertag, den man jemals in Australien gemessen hatte, mit einer Temperatur von 49,9 Grad. Das sind schon unmenschliche Verhältnisse. Hinzu kommt diese extreme Dürre, die schon monatelang anhält, und sowohl diese extremen Temperaturen als auch die Dürre, die kann man einfach mit natürlichen Einflüssen nicht mehr erklären. Das heißt, da spielt der Klimawandel schon eine entscheidende Rolle.
"Es kann wirklich noch extrem schlimm kommen"
Ehring: Wie geht das weiter? Wird das einfach immer schlimmer?
Latif: Ja, im Moment sieht das so aus. Solange der CO2-Gehalt der Luft immer weiter steigt, wie es im Moment der Fall ist, wird es natürlich auch immer wärmer werden. Da wird sich die Kurve auch nicht irgendwann abflachen. Ganz im Gegenteil! Es kann sich noch beschleunigen, wenn zum Beispiel die Permafrost-Gebiete auftauen, wenn dadurch noch zusätzlich Treibhausgase in die Atmosphäre kommen, wenn die Ozeane in Folge der Klimaerwärmung weniger CO2 aufnehmen, wie sie es im Moment tun. Das heißt, es kann wirklich noch extrem schlimm kommen. Umso wichtiger – das kann ich nur immer wieder sagen – wäre es, dass die Weltpolitik wirklich das ernst nimmt, was sie in Paris unterschrieben hat, und die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzt, wie es in dem Abkommen heißt.
Ehring: Wenn man es mal umgekehrt sieht: Die Brände werden durch die Erderwärmung befeuert. Heizen sie die Erwärmung auch selbst weiter an? Ist das eine Spirale, die sich da auftut?
Latif: Die australischen Brände, die heizen jetzt die Erwärmung kaum an. Da sind zum Beispiel die Brände in den tropischen Regenwäldern viel einflussreicher. Es kommt auch darauf an, wie lange die Wälder brennen. In den Tropen brennen die Regenwälder ja schon seit Jahrzehnten, und zwar auf allen Kontinenten. Das heißt, wenn man es damit vergleicht, ist der Einfluss der australischen Brände eher gering auf das globale Klima.
Ehring: Wie steht es um die Brandgefahr in anderen Weltregionen in Europa oder auch bei uns in Deutschland? Müssen wir uns auch auf mehr Waldbrände einstellen?
Latif: Ja! Wenn man es weltweit betrachtet, sind es vor allen Dingen die Subtropen, und der Teil, der in Australien jetzt betroffen ist, liegt in den Subtropen. Dazu gehört aber auch der Mittelmeer-Raum. Dazu gehören Kalifornien und andere Regionen auch und von da kommen ja auch immer wieder die Meldungen, dass es immer häufiger Brände gibt. Auch Deutschland – wir haben es in den letzten Jahren erlebt. Gerade letztes Jahr ist davon betroffen. Gerade im Osten der Republik wird es verstärkt Sommertrockenheit geben und das fördert natürlich die Entstehung von Waldbränden.
"Vielleicht schon 2030 oder 2040 die 1,5 Grad überschreiten"
Ehring: Die 1,5 Grad ist das ehrgeizigere Ziel des Pariser Abkommens. Was glauben Sie, wann werden wir die überschritten haben?
Latif: Im Moment sieht es so aus, als wenn wir vielleicht schon 2030 oder 2040 die 1,5 Grad überschritten haben, weil man kann überhaupt nicht erkennen, dass die Weltpolitik das Thema ernst nimmt, obwohl die öffentliche Aufmerksamkeit ja kaum noch zu übertreffen ist, durch Fridays for Future, durch Greta Thunberg, aber auch durch diese ganzen Wetterextreme, die natürlich auch medial eine extreme Aufmerksamkeit erhalten. Trotzdem scheint irgendwie die Weltpolitik das Thema zu ignorieren, und das hat natürlich auch mit den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun. Wenn man sich in Amerika anguckt Donald Trump, wenn man sich Brasilien anguckt Jair Bolsonaro, der den Regenwald jetzt immer stärker abfackeln möchte, wenn man sich in Australien die Regierung anguckt, die vom Klimawandel nichts wissen will und an der Kohlepolitik festhalten möchte. Das heißt, die Zeichen weltpolitisch stehen ganz schlecht.
Ehring: Haben Sie denn die Hoffnung, dass sich das noch dreht?
Latif: Ja, ich hoffe es. Ein kleiner Hoffnungsschimmer war ja 2019 in Deutschland. Die Emissionen sind ja doch deutlicher gesunken, als man es dachte. Wir stehen jetzt bei 35 Prozent Reduzierung gegenüber 1990 und jetzt ist sogar das 40 Prozent Ziel bis Ende 2020 wieder in Reichweite gerückt. Und ich weiß, viele Länder gucken auf Deutschland, und wenn Deutschland wirklich seinen couragierten Kurs weitergeht und auch die selbstgesteckten Ziele einhält, dann könnte ich mir vorstellen, dass es vielleicht doch mal eine Trendumkehr auch in vielen anderen Ländern gibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.