Donnerstag, 25. April 2024

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Klimaforschung am Nordpol
"Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis"

Die stärksten Klimaveränderungen auf unserem Planeten gebe es derzeit in der Arktis, sagte der Polarforscher Markus Rex im Dlf. Diese gelte es besser zu verstehen, denn viele klimatische Veränderungen bei uns würden von den Ereignissen in der Arktis verursacht.

Markus Rex im Gespräch mit Philipp May | 31.12.2019
Das Forschungsschiff "Polarstern" liegt bei einer seiner Reisen in der Antarktis an einer Eiskante.
Das deutsche Forschungsschiff "Polarstern" steckt derzeit im Eis der Arktis fest, wo Wissenschaftler den Klimawandel erforschen (picture alliance / Stephan Schoene)
Philipp May: Ohne Frage, der Klimawandel war eines der ganz großen Themen 2019, und für Aufsehen sorgt auch eine internationale Expedition unter deutscher Führung zur Erforschung des Klimawandels: Das Forschungsschiff "Polarstern" ist seit Anfang Oktober eingeschlossen im Eis der Arktis und driftet jetzt mit dem Eis knapp ein Jahr um den Nordpol herum, bevor es im Sommer wieder freigegeben wird. Warum diese Expedition so wichtig ist, hat uns Forschungsleiter Professor Markus Rex vom Alfred-Wegner-Institut kurz vor Aufbruch hier an dieser Stelle im Deutschlandfunk erklärt:
Markus Rex: Die Arktis ist ja wirklich das Epizentrum des Klimawandels, kein anderer Teil unseres Planeten wird so schnell wärmer wie die Arktis, und die Veränderungen sind schon heute dramatisch in der Arktis. Gleichzeitig ist die Arktis der Bereich unseres Planeten, den wir am schlechtesten verstehen. Wir haben riesige Unsicherheiten in der Klimaprognose für die Arktis, und das liegt eben daran, dass wir zumindest im Winterhalbjahr mit einem richtigen, voll ausgerüsteten Forschungsschiff da noch nie gewesen sind. Das Eis ist so dick, dass wir da nicht durchbrechen können, und deswegen sind wir da bisher immer ausgeschlossen gewesen.
"Noch wenige Tage, dann sehen wir etwas Dämmerung"
May: Doch jetzt nicht mehr dank der "Polarstern"-Expedition, und Expeditionsleiter Markus Rex ist vor wenigen Tagen von einem Kollegen abgelöst worden und ist jetzt unterwegs zurück Richtung Tromsø in Norwegen, und weil das mit der Telefonverbindung zum Nordpol nicht ganz so einfach ist, haben wir uns für gestern, 15 Uhr, mit ihm verabredet. Hallo Herr Rex!
Rex: Hallo Herr May!
May: Wo erreichen wir Sie gerade genau?
Markus Rex auf der Kommandobrücke des Forschungsschiffs "Polarstern"
"Große Motivation, jetzt für den Klimaschutz zu arbeiten" - Markus Rex, der Leiter des Forschungsteams auf dem Forschungsschiff "Polarstern". (dpa / Mohssen Assanimoghaddam)
Rex: Sie erreichen mich hier gerade auf 78 Grad Nord 38 Grad Ost, etwas östlich der Inselgruppe Spitzbergen, noch im Eis, wir sind noch etwa 40 Meilen von der Eiskante entfernt und halten auf die Eiskante, auf die offene Barentssee zu im Moment.
May: Haben Sie schon wieder Tageslicht?
Rex: Tageslicht, da müssen wir uns noch ein bisschen gedulden, auf 78 Grad Nord jetzt mitten im Winter sehen wir tatsächlich noch keinen Lichtschimmer. Aber es sind nur noch wenige Tage, dann sehen wir zunächst mal etwas Dämmerung, wenn wir in Tromsø ankommen, und auf dem Rückflug irgendwann werden wir aus dem Fenster wahrscheinlich das erste Mal seit drei Monaten auch die Sonne wieder sehen. Da freuen wir uns natürlich alle gewaltig drauf.
"Damit wir bessere Prognosen bekommen"
May: Das wäre jetzt schon meine nächste Frage gewesen, wie sehr Sie sich auf Tageslicht freuen. Aber jetzt waren Sie ja nicht für Annehmlichkeiten am Nordpol, sondern im Dienste der Wissenschaft, wir haben es gerade schon gehört von Ihnen: Die Arktis ist das Epizentrum des Klimawandels, so haben Sie es genannt, aber man versteht bisher relativ wenig. Haben Sie schon einen Erkenntnisgewinn nach diesen ersten drei Monaten?
Rex: Ja, wir haben hunderte von Messinstrumenten auf dem Eis aufgebaut und auch auf der "Polarstern" selbst aufgebaut, wir haben ein ganzes kleines Forschungsstädtchen auf das Eis gestellt, fast 100 Tonnen an wissenschaftlicher Ausrüstung, kilometerlange Stromkabel und Wegenetze, da arbeitet im Moment das gesamte Instrumentarium, um alle Details des arktischen Klimasystems genau anzuschauen. Sie müssen sich das ja so ein bisschen vorstellen wie so ein Uhrwerk: Wenn Sie versuchen, eine Uhr zu verstehen, zu verstehen, wie die funktioniert, und die aufmachen, dann müssen Sie jedes einzelne Zahnrad, jedes Schräubchen, jedes Federchen genau angucken und verstehen, wie die alle miteinander zusammenwirken, um dann hinterher eine funktionierende Uhr dabei rauszubekommen. Da gibt es nicht so den einzelnen Durchbruch, dieses Zahnrad habe ich jetzt verstanden, sondern das ist tatsächlich das Gesamtbild, was sich ergibt, wenn man alle diese Komponenten anschaut – und genau das tun wir. Wir haben aber schon sehr interessante Ereignisse gehabt. Wir haben einen heftigen Sturm beobachten können, wir haben messen können vor, während und nach diesem Sturm. Das hat gewaltige Auswirkungen auf das Klimasystem der Arktis, diese Sturmereignisse zum Beispiel, das verändert die Energie- und Impulsflüsse zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre, das verändert die Schneeauflage und damit, wie stark der Ozean von der Atmosphäre thermisch isoliert ist, all diese Dinge. Das sind alles Sachen, die wir jetzt zum ersten Mal in dieser Vollständigkeit beobachten konnten und jetzt auch in die Klimamodelle besser reinkriegen können, sodass wir dann bessere Prognosen bekommen.
"Verlässliche Grundlagen für die politischen Entscheidungen"
May: Das heißt, am Ende ist es genau das, im Idealfall, wenn alle diese Zahnräder, die Sie jetzt beschrieben haben, ineinandergreifen nach Ihrem Jahr im Eis, dass Sie dann einfach eine bessere Klimaprognose abliefern können, wie schlimm es dann am Ende wird?
Rex: Genau so ist das. Und was in der Arktis passiert, bleibt ja nicht in der Arktis. Die arktischen Klimaveränderungen, die stärksten Klimaveränderungen, die unser Planet irgendwo aufweist, die wirken sich natürlich auch in unseren Breiten aus. Viele der Wetterextreme in unseren Breiten sind verursacht durch Veränderungen im arktischen Klimasystem. Und gleichzeitig können wir eben das arktische Klimasystem bisher nicht gut vorhersagen, wir wissen gar nicht, um wie viel es wärmer werden wird bis zum Ende des Jahrhunderts. Da gibt es zurzeit noch gewaltige Unsicherheiten, einfach, weil wir es nie beobachten konnten. Das heißt, die Klimamodelle, die ja diese Prozesse alle irgendwie abbilden müssen, müssen da raten, so lange man noch nicht da war. Und da rät jedes Klimamodell ein bisschen anders und jedes Modell gibt auch ein bisschen eine andere Vorhersage, wie viel wärmer die Arktis bis zum Ende des Jahrhunderts bei einem bestimmten CO2-Emissionspfad werden wird. Das werden wir jetzt besser hinbekommen, sodass wir auch verlässliche Grundlagen für die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen bieten können, die ja jetzt anstehen, die unsere Gesellschaften treffen müssen, um ihre Zukunft zu gestalten und da nicht blind hineinzustolpern.
May: Haben Sie denn die letzten drei Monate eher optimistischer oder pessimistischer werden lassen? Sie haben gerade schon die Stürme angesprochen. Kann man da eine Tendenz ableiten?
Rex: Na ja, es ist natürlich schon so, dass man jeden Tag sehr beeindruckend vor Augen geführt bekommt, wie sehr sich dieses arktische Umweltsystem schon bis heute verändert hat. Das Eis, auf dem wir unser kleines Forschungsstädtchen aufgebaut haben, war, als wir angekommen sind, ganz dünn, der dynamisch, stark erodiert durch den warmen Sommer, den wir im letzten Jahr in der Arktis hatten. Die Eisdicken sind nur noch halb so dick wie das, was wir von vor Jahrzehnten dort an Daten haben. Die Temperaturen sind weit höher als das, was früher dort gemessen wurde. Das ist wirklich augenfällig und das kann einen natürlich auch deprimieren. Aber das hilft ja nichts, wir müssen verstehen, wie es zu diesen Veränderungen kommt und wie sich diese Veränderung in unseren Breiten auswirkt, und dazu sind wir ja da.
"Eisbär-Annäherungen möglichst frühzeitig entdecken"
May: Wie sieht eigentlich so ein Tagesablauf auf dem Schiff am Nordpol aus, wobei Tag jetzt natürlich in Anführungsstrichen gesetzt ist?
Rex: Ja, die Anführungsstriche sind völlig richtig: Wir haben die ganze Zeit in der Polarnacht gearbeitet. Wir haben drei Monate lang keinen Schimmer Tageslicht mehr gesehen. Das ist stockduster draußen, auch hier im Moment, wo wir sind, ist es noch stockduster. Das ist natürlich eine ganz besondere Arbeit, die auch mit vielen Herausforderungen verknüpft ist. Wenn Sie da aufs Eis gehen, finden alle Arbeiten im kleinen Lichtkegel der Stirnlampen statt, in so einer kleinen Blase, in der Sie was sehen, und außen rum auf 1.000 Kilometern nur Dunkelheit und Eis. Das prägt natürlich die Arbeiten und darauf mussten sich auch alle Expeditionsteilnehmer richtig vorbereiten. Ansonsten ist unser Tagesablauf sehr beschäftigt gewesen, es ging bei mir los morgens erst mal um sieben mit dem ersten Meeting mit dem Kapitän, wo wir die Sachen, die für den Tag anliegen, besprochen haben, dann gehen die Teams auf das Eis, wir haben unsere Arbeiten dann auf dem Eis gemacht, und das zieht sich dann bis in den späten Abend hinein.
May: Und ab und an kommen Eisbären vorbei und dann laufen Sie alle schnell wieder aufs Schiff?
Rex: Ganz genau so ist das. Wir haben ein sehr ausgefeiltes System aufgebaut, um Eisbär-Annäherungen möglichst frühzeitig entdecken zu können, damit es dann nicht zu kritischen Situationen kommt. Die können ja für beide Seiten gefährlich werden. Das ist uns auch gelungen. Wenn ein Eisbär in die Umgebung gekommen ist – und das war sehr regelmäßig der Fall –, dann sind alle Forscher schnell zum Schiff zurückgekehrt, in die Sicherheit des Schiffes, sodass wir da gar nicht erst zu kritischen Annäherungen kommen. Natürlich wäre das in der vollständigen Dunkelheit nicht vollständig ausschließen. Es war auch mal ein Expeditionsteilnehmer in nur noch 50 Meter Entfernung von einem Eisbären. Aber auch da haben unsere Vorkehrungen gut funktioniert, wir haben den Eisbären dann mit Blitz-Knall-Munition aus einer Signalpistole zunächst mal vertreiben können und dann sind alle rechtzeitig und gut wieder zum Schiff zurückgekommen.
"Der traditionelle Zeitbegriff verliert in der Polarnacht seine Bedeutung"
May: Herr Rex, Sie waren 300 Wissenschaftler verschiedenster Nationalitäten an Bord, habe ich gelesen. Jetzt ist ein neues Team da. Machen die einfach genau da weiter, wo Sie aufgehört haben?
Rex: Ja, richtig. In den verschiedenen Phasen dieser Expedition sind insgesamt tatsächlich 300 Wissenschaftler in der Zentralarktis tätig, unterstützt von noch mal etwa 300 Besatzungsmitgliedern und logistischem Supportpersonal. Zu jedem Zeitpunkt befinden sich 100 Leute an Bord, etwa 60 Wissenschaftler, 40 Besatzungsmitglieder, die das Schiff am Laufen halten. Und wir sind gerade dabei, mit der ersten Expeditionsmannschaft mit einem unserer Partnereisbrecher zurückzukehren. Wir sind jetzt abgelöst worden. Ich habe jetzt die Leitung der Expedition vor Ort in die Hände von sehr erfahrenen, guten Kollegen gelegt, die mich da vertreten, und ich bin dann ab Ende März, Anfang April selber wieder bei der Expedition dabei.
May: Okay, jetzt weiß ich, dass Sie nicht Silvester jetzt auf der "Polarstern" feiern logischerweise, dennoch interessiert mich die Frage: Wie feiert man eigentlich Silvester am Nordpol? Wie legt man überhaupt fest, wann Neujahr ist? Könnte ja eigentlich jede Stunde sein.
Rex: Das ist richtig. Der traditionelle Zeitbegriff verliert in der Polarnacht und dicht in der Nordpolumgebung etwas seine Bedeutung. Sie können sich die Zeitzone da relativ frei aussuchen, Licht haben Sie ja sowieso nicht, Sie müssen das also nicht mit dem Tageslicht synchronisieren. Außerdem überqueren Sie am Nordpol innerhalb so kurzer Zeit die Längengrade, die ja normalerweise die Zeitzonen festlegen. Wir leben zurzeit an Bord der "Polarstern" auf Moskau-Zeit, zwei Stunden voraus, und nach der Bordzeit wird natürlich dann auch angestoßen auf der Brücke mit einem Glas Sekt, wenn es nach Bordzeit Mitternacht ist, und legen wir einfach fest, jetzt geht das neue Jahr und das neue Jahrzehnt los.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.