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Klimakonferenz in Marrakesch
"Ich vermute, dass wir unser Ziel nicht ganz erreichen"

Eigentlich will die Bundesregierung den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent senken. Dieses Ziel werde aber wohl nicht ganz erreicht, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) im DLF. Kritik am Klimaschutzplan der Regierung wies sie zurück.

Barbara Hendricks im Gespräch mit Dirk Müller | 15.11.2016
    Umweltministerin Barbara Hendricks steht im Bundestag hinter dem Rednerpult.
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Der von Hendricks vorgelegte Klimaschutzplan war vor allem auf Betreiben von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in mehreren Punkten abgeschwächt worden. "Das ist keine politische Niederlage", verteidigte sich die Umweltministerin im DLF-Interview. "Im Gegenteil - ich werde hier überall beglückwünscht für die Vorreiterrolle, die Deutschland weiterhin einnimmt", so Hendricks, die derzeit an der UNO-Klimakonferenz in Marrakesch teilnimmt.
    Hendricks betonte, der Klimaschutzplan enthalte die "Leitplanken" bis zum Jahr 2050. In den vergangenen Wochen seien die Diskussionen darüber "noch einmal kulminiert, das kann man nicht anders sagen". Dass einzelne Punkte in den "Ressortabstimmungen" verändert würden, gehöre aber zum normalen Regierungsgeschäft. Damit könne sie leben.
    "Meine Vorgänger haben das Ziel nicht so ernst genommen"
    Das Ziel, den CO2-Ausstoß verglichen mit 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, wird Deutschland nach Einschätzung von Hendricks nicht vollständig erreichen. "Ich vermute, dass wir das nicht ganz schaffen werden", erklärte sie. Man werde eher "etwas darunter liegen".
    Allerdings habe sie als erste Ende 2014 einen Aktionsplan Klimaschutz aufgelegt, "um diesem Ziel so nah wie möglich zu kommen". Ihre Vorgänger - "egal welcher Couleur" - hätten das Ziel auch schon gekannt, es aber "möglicherweise nicht so ernst genommen", kritisierte Hendricks.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Demütigung, Demontage, Desavouierung, das war alles zu lesen in den Kommentarspalten der vergangenen Tage. Gemeint war die Bundesumweltministerin, ambitioniert angetreten, um einen neuen Klimaschutzplan der Weltöffentlichkeit vorzulegen. Doch dieser Plan wurde von der Großen Koalition in letzter Minute regelrecht zerrissen, verwässert, ausgerechnet in Person von Sigmar Gabriel, der Parteichef von Barbara Hendricks. Wirtschaftsinteressen gehen offenbar doch vor Umweltinteressen. Darin sehen sich nicht nur die Grünen bestätigt, weil es beispielsweise keine konkreten Vorgaben für die Autoindustrie gibt, für emissionsfreie Autos beispielsweise, weil das Ende der Kohleförderung völlig offengeblieben ist, weil auf konkrete Maßnahmen verzichtet wurde, wie die Treibhausgase reduziert werden sollen, und weil auf Sanktionen für Sünder ebenfalls vollkommen verzichtet wurde.
    Barbara Hendricks musste gestern auf dem Weltklimagipfel in Marokko Rede und Antwort stehen. Jetzt ist sie bei uns hier im Deutschlandfunk am Telefon. Guten Morgen nach Marrakesch!
    "Wir sind hier weiter Vorreiter"
    Barbara Hendricks: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Frau Hendricks, wie gehen Sie mit dieser politischen Niederlage um?
    Hendricks: Es ist keine politische Niederlage. Im Gegenteil! Ich werde hier überall beglückwünscht für die Vorreiterrolle, die Deutschland weiterhin einnimmt. Wir haben in der Tat eine Binnensicht, die völlig anders ist als die Sicht von außen auf Deutschland. Wir sind hier angetreten mit einem Klimaschutzplan, der die Leitplanken setzt bis zum Jahr 2050, der natürlich noch nicht irgendwie ausformulierte Gesetze hat. Das mag später kommen, wenn wir das brauchen. Zurzeit brauchen wir das nicht. Wir werden in zwei Jahren Maßnahmenpakete ausarbeiten. Wir haben im Übrigen klare Vorgaben gemacht für den Verkehrssektor, für die Industrie, für die Energiewirtschaft, für alle Sektoren. Das ist erstmals, dass der Verkehr oder die Landwirtschaft überhaupt verpflichtet wird, sich auch um Klimaschutz zu kümmern. Nein, wir sind hier weiter Vorreiter und die grünen Kolleginnen und Kollegen, die hier vor Ort sind, merken, dass ihre Kritik jedenfalls hier nicht geteilt wird.
    Müller: Vielleicht liegt es auch an den Maßstäben, die gesetzt werden, Frau Hendricks. Sie sagen das: Klar, es ist keine Niederlage. Aber es kann doch nicht wahr sein, dass Sie einen Plan vorlegen, und der sieht nach zwei, drei, vier Tagen vollkommen anders aus als das, was Sie vorgelegt haben, und dann sagen Sie, das war kein Rückschlag für Sie.
    CO2 Einsparung bis 2030, Treibhausgas-Neutralität bis 2050
    Hendricks: Sehen Sie mal, wir haben an dem Plan über ein Jahr gearbeitet.
    Müller: Eben!
    Hendricks: Und in den letzten zwei Wochen in der Tat ist es noch mal kulminiert. Das kann man nicht anders sagen. Aber das ist völlig normal. Dass eine Umweltministerin einen ehrgeizigen Plan vorlegt, der nicht von allen genau so gesehen wird, das liegt doch auf der Hand. Sie wissen doch auch wie das ist, wenn man verhandelt. Man geht mit Positionen rein, um hinterher wichtigste Positionen zu behalten, und genau so ist es hier geschehen. Die wichtigsten Positionen sind: Alle Sektoren haben eine Vorgabe, wie viel CO2 sie einsparen müssen bis zum Jahr 2030, und wir haben ganz klar das Ziel formuliert, Treibhausgas-Neutralität bis 2050. Das sind die ganz wesentlichen Punkte, um die es geht, und deswegen kann ich mit dem anderen leben. Natürlich hätte ich es mir einfacher vorstellen können, aber ich kann damit leben.
    Müller: Hat Sie das nicht geärgert, dass da Staatssekretäre aus den Ministerien dann dahin kommen, Ihre Vorlage, daran haben Sie ein Jahr gearbeitet, und dann wird einfach das und das und das weggestrichen, beispielsweise die Kohleförderung.
    Hendricks: Aber das ist doch ganz normales Regierungsgeschäft. Das ist wirklich nichts Besonderes. Das sind die sogenannten Ressortabstimmungen. Die fangen an sogar auf der Ebene zum Beispiel von Abteilungsleitern und werden fachlich sozusagen nach oben durchgereicht. Und ganz am Schluss reden die Minister darüber. Der Weg dahin ist eine ganz normale Ressortabstimmung.
    Müller: Frau Hendricks, Sie sagen, das ist ganz normal. Dann waren Sie vielleicht am 8. 11. - da haben wir Ihnen auch genau zugehört - vielleicht etwas voreilig. Das war am Dienstag. Das war wenige Stunden vor der Wahl von Donald Trump. Wir hören uns das mal an:
    O-Ton Barbara Hendricks: "Ich fahre wirklich mit gutem Gewissen und zufrieden nach Marrakesch und ich bin auch froh für die Unterstützung, die ich jetzt gerade in der letzten Woche bekommen habe."
    Kommission für Kohleausstieg
    Müller: Haben Sie gesagt am Dienstag. - Am Freitag standen ganz viele Dinge, die Sie reingeschrieben haben, nicht mehr drin. Und dann ist das keine Niederlage?
    Hendricks: Sehen Sie mal, Sie werten das wirklich falsch. Natürlich könnte ich mir das einfacher vorstellen. Natürlich könnte ich sozusagen ohne die letzten Tage der Aufregung, ich sage mal, etwas ruhiger losgefahren sein. Aber ich bin trotzdem mit einem Erfolg hier angekommen. Wir zeigen auf, wer wie viel einsparen muss. Wir zeigen auf, wie wir den Weg zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft beschreiten. Es ist ein Plan, der das Mittelziel 2030 hat und das Langfristziel 2050. Auf dem Weg dahin wird es regelmäßig überprüft werden. Auf dem Weg dahin wird es Änderungen geben. Es wird neue Technologien geben. Das kann doch jetzt noch gar nicht alles in einem solchen Klimaschutzplan drinstehen. Noch mal: Ich verwahre mich dagegen! Ich verwahre mich dagegen zu sagen, wir seien hier etwa gleichsam mit einem leeren Papier angekommen. Im Gegenteil! Wir werden bewundert für das, was wir hier tun. Und noch mal: Die grünen Kollegen, die hier sind, die merken, dass ihre Kritik, die sie in Deutschland äußern, maßlos ist, und Sie scheinen die zu übernehmen. Sie haben ja offenbar meinen Plan gar nicht gelesen.
    Müller: Doch. Zum Beispiel war ich überrascht, dass das Ende der Kohleförderung immer noch offengeblieben ist. Sie hatten monatelang …
    Hendricks: Das war niemals im Plan drin! Es hat niemals in meinem Plan ein Zeitpunkt gestanden, auch nicht im ersten Entwurf.
    Müller: Sie haben immer gesagt, dass es wichtig ist, da reinzukommen.
    Hendricks: Bitte?
    Müller: Und das nennen Sie fortschrittlich, Klimapolitik hier in Deutschland immer noch nicht zu definieren, wann der Kohleausstieg konkret erledigt ist?
    Hendricks: Aber dafür haben wir doch ganz bewusst jetzt eine Kommission eingesetzt, die einen gesellschaftlichen …
    Die Menschen mitnehmen
    Müller: Eine Kommission!
    Hendricks: Entschuldigung! Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Kommissionen, zum Beispiel auch bei der Endlagerfinanzierung, um nur ein Beispiel zu nennen. Es geht darum, einen gesellschaftlichen Prozess zu steuern, der dann anschließend in einen politischen Prozess fortgeführt wird. Das wird in den nächsten maximal zwei Jahren erledigt werden und es geht darum, dass die Menschen mitgenommen werden, die auch davon betroffen sein können, wenn die Kohleverstromung zurückgeht. Das ist doch völlig normal. Wir sind in Deutschland eine Gesellschaft, die auf Konsens angelegt ist, und niemand will sagen, friss Vogel oder stirb.
    Müller: Keine konkrete Vorgabe dahingehend, wann der Ausstieg aus der Kohleindustrie kommt?
    Hendricks: Aber spätestens bis zum Jahr 2050 müssen wir eine weitgehend treibhausgasneutrale Gesellschaft sein, und den Weg dahin beschreiben wir. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern das geht nach und nach.
    Müller: Frau Hendricks, Sanktionen für Sünder, diejenigen, die dagegen verstoßen. Haben auch viele damit gerechnet, dass es hier einen ganz klaren Katalog gibt, wie Strafen möglicherweise dann aussehen, wie Konsequenzen aussehen. Ist auch rausgestrichen worden. Warum?
    Hendricks: Aber wie können Sie Sanktionen fordern, wenn wir nicht mal ein Gesetz beschließen? Man kann doch Sanktionen nur machen, wenn man ein Gesetz bricht. Wir haben Leitplanken aufgeschrieben. Sie haben offenbar meinen Plan überhaupt nicht verstanden.
    "Wir haben gar kein Gesetz verabschiedet"
    Müller: Das kann sein.
    Hendricks: Wir haben Leitplanken aufgeschrieben und gegen Leitplanken kann man nicht in der Weise verstoßen, dass man anschließend bestraft wird.
    Müller: Aber Leitplanken sind immer gut zu verändern.
    Hendricks: Die Leitplanken sind dafür da, dass alle sich darauf einstellen können, wie unsere Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird. Es mag später Gesetze geben, wenn es nötig ist, aber wir werden auch viel mit Fördertatbeständen arbeiten. Es mag Gesetze geben. Wenn dann jemand ein Gesetz bricht, gibt es auch Sanktionen. Aber wir haben gar kein Gesetz verabschiedet und dann kann es auch keine Sanktionen geben.
    Müller: So wie es Leitplanken gibt, gibt es auch immer wieder die Möglichkeit, Optionen und Sanktionen in irgendeiner Form zu skizzieren. Wollen wir nicht darüber streiten. - Minus 40 Prozent CO2-Ausstoß
    Hendricks: Entschuldigung, Herr Müller! Wir müssen es mal klarziehen. Wenn man ein Gesetz bricht, dann kann man bestraft werden. Aber wenn gar kein Gesetz vorliegt, kann man auch nicht bestraft werden. Das ist einfach so!
    Müller: Sagen Sie. - Minus 40 Prozent CO2-Ausstoß.
    Hendricks: Das ist nicht sagen Sie, sondern das ist tatsächlich unsere Rechtsordnung.
    Müller: 40 Prozent CO2-Ausstoß bis 2020, das war auch eine Leitplanke, ein großes Ziel der deutschen Klimapolitik. Schaffen Sie das?
    Hendricks: Ich vermute, dass wir das nicht ganz schaffen werden. Ich will allerdings darauf hinweisen, dass ich die Erste bin, die am Ende des Jahres 2014 einen Aktionsplan Klimaschutz aufgelegt hat, um diesem Ziel wenigstens so nahe als eben möglich zu kommen. Meine Vorgänger, egal welcher Couleur, haben dieses Ziel auch schon gekannt, haben sich aber nicht darum gekümmert.
    "Es handelt sich um einen gesellschaftlichen Prozess"
    Müller: Deutschland verfehlt dieses Klimaziel, was weltweit propagiert wurde?
    Hendricks: Deutschland verfehlt das Klimaziel nicht, was weltweit propagiert wurde. Wir halten unsere völkerrechtlichen Verpflichtungen ein, selbstverständlich, aber wir werden höchst wahrscheinlich nicht ganz minus 40 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen, sondern etwas darunter liegen. Darüber werden wir im Dezember berichten.
    Müller: Weil die Politik nicht konsequent genug war?
    Hendricks: Möglicherweise, weil insbesondere meine Vorgänger dieses Ziel nicht so ernst genommen haben. Ich habe schon am Ende des Jahres 2014 einen Klima-Aktionsplan vorgelegt, der Maßnahmen ergreift, damit wir diesem Ziel uns wenigstens ganz nah nähern. Das haben alle meine Vorgänger vorher nicht getan. Aber es ist ja auch nicht die Politik allein. Die Politik kann natürlich Gesetze machen, aber es handelt sich um einen gesellschaftlichen Prozess.
    Müller: Und wenn die Wirtschaft das nicht einhält, dann ist es egal?
    Hendricks: Nein, darum geht es nicht.
    Müller: Es passiert ja nichts.
    Hendricks: Darum geht es nicht. Wenn ein Gesetz beschlossen wird, dann muss die Wirtschaft es auch einhalten. Wenn ein Ziel beschlossen wird, dann brauchen wir einen Prozess in Wirtschaft und Gesellschaft, der die Menschen auch mitnimmt.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Danke, dass Sie Zeit für uns gefunden haben. Auf Wiederhören nach Marrakesch.
    Hendricks: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.