Christine Heuer: Maximal zwei Grad Erderwärmung bis 2100 – das hat die Staatengemeinschaft beschlossen beim Klimagipfel in Paris. Auf Druck der Inselstaaten wird außerdem geprüft, ob auch eine Erwärmung von nur anderthalb Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter möglich ist. – Ja, ist es; das ist die gute Nachricht im Sonderbericht, den das IPCC, der Weltklimarat heute Nacht vorgelegt hat. Die schlechte: Dafür muss die Welt sofort in vielen Bereichen sehr große Hebel entschlossen umlegen. Und wenn nicht, dann werden die Folgen für die Menschheit noch schlimmer sein als angenommen.
Ein wichtiger Bericht des Weltklimarats, auf den weltweit und in Deutschland viele bereits reagiert haben – unter anderem die Bundesumweltministerin.
Am Telefon ist Barbara Hendricks. Sie ist Bundestagsabgeordnete der SPD und war von 2013 bis 2018 Bundesumweltministerin. Guten Tag nach Berlin, Frau Hendricks.
Barbara Hendricks: Guten Tag.
Heuer: Das ist ein in weiten Teilen sehr alarmierender Klimabericht. War Ihre Arbeit als Umweltministerin für die Katz?
Hendricks: Nein, keinesfalls! Zunächst mal ist es uns ja gelungen, das Pariser Klimaschutzabkommen wirklich positiv mit auf den Weg zu bringen. Das ist ja die Voraussetzung dafür, dass alle in der Welt jetzt Verantwortung übernehmen, alle Staaten, und auch die Voraussetzung dafür, dass wir uns verpflichtet haben, als Deutschland innerhalb von Europa voranzuschreiten.
Und ja, es ist uns klar, dass das noch nicht ausreicht. Deswegen hat das Pariser Klimaschutzabkommen ja auch diesen Verbesserungsmechanismus: Ständige Überprüfung, wir müssen besser werden, es kann nicht so bleiben wie jetzt, unser Ehrgeiz muss ständig wachsen, und das ist Gegenstand des Klimaabkommens.
Einsparungen nicht nur in der Energiewirtschaft
Heuer: Aber, Frau Hendricks, es wird wirklich viel geredet, es gibt Abkommen, Absichtserklärungen, Überprüfungsmechanismen. Aber es ändert sich ja viel zu wenig zum Guten.
Hendricks: Das können Sie so nicht sagen. Diese Überprüfungsmechanismen dienen ja genau dazu, dass wir tatsächlich immer besser werden. Wir haben ja jedes Jahr eine Weltklimakonferenz, auf der wir uns, wir als Deutschland und wir Europäer, auch vor der ganzen Weltgemeinschaft verantworten müssen, was wir denn tun. Und es ist ja nicht so, als hätten wir nicht Schlüsse daraus gezogen, auch wenn es natürlich jetzt noch nicht durch ist.
Aber wir werden im nächsten Jahr ein Klimaschutzgesetz haben, das ist verabredet auch im Koalitionsvertrag, und das basiert auf unserem Klimaschutzplan, den ich als verantwortliche Ministerin im Jahr 2016, also ein Jahr, nachdem wir in Paris das Abkommen beschlossen hatten, in Marrakesch der Weltgemeinschaft vorgelegt habe.
Darin ist festgelegt, welche Sektoren wieviel zusätzliche Einsparung, Millionen von Tonnen CO2-Einsparung bis zum Jahr 2030 machen müssen. Das bezieht sich dann natürlich auf die Energiewirtschaft, aber nicht zuletzt auch auf den Verkehr und auf andere Bereiche wie zum Beispiel Landwirtschaft und Gebäudebereiche und die Industrie.
Beim Thema Verkehrswende "noch gar nichts passiert"
Heuer: Wenn wir alle auf einem so guten Weg sind, dann ist, was die IPCC-Wissenschaftler vorlegen, offenbar Alarmismus.
Hendricks: Nein, es ist kein Alarmismus. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir haben ihn noch nicht so beschritten, dass wir damit zufrieden sein könnten. Das reicht bis jetzt nicht aus. Die Voraussetzungen sind geschaffen, aber das, was wir bisher getan haben, reicht nicht.
Heuer: Sie waren schon ein bisschen zu langsam, alle miteinander?
Hendricks: Nein! Wir haben ja auch als Bundesregierung beschlossen, dass wir bis zum Jahr 2030 im Verhältnis zu 1990 minus 55 Prozent CO2-Ausstoß haben müssen, erreichen müssen. Wir sind jetzt bei nicht mal minus 35, bei etwa minus 33. Das heißt, die Anstrengungen müssen sich jetzt wirklich richtig beschleunigen.
Dafür haben wir die Voraussetzungen als Zielmarken gesetzt und es war auch klar, dass wir das erst in dieser Legislaturperiode in ein Gesetz umsetzen, in ein Klimaschutzgesetz. Das wird im nächsten Jahr verabschiedet. Da geht es um die Ergebnisse der Kohlekommission auf der einen Seite, was ist in der Energiewirtschaft, aber natürlich auch um die Verkehrswende. Das ist ganz bedeutend. Da ist nämlich bisher noch gar nichts passiert.
Heuer: Frau Hendricks, Sie sprechen von einer Bundesregierung, der Sie ja bis vor kurzem angehört haben, und die hat ein Klimaschutzziel gleich wieder kassiert, als sie wieder zusammengekommen ist als Große Koalition, nämlich das Ziel, bis 2020 40 Prozent CO2 einzusparen gegenüber 1990. Das ist nicht nur kein Fortschritt; das ist ein Rückschritt.
Hendricks: Ja, das ist richtig. Es ist tatsächlich, ich sage mal, nicht das erreicht worden, was wir uns vorgenommen hatten. Hört sich blöd an, aber wir haben jedenfalls keine rechtlich bindenden Ziele bis 2020, sondern das war – na ja – das Ziel, das sich die Bundesregierung selber gesetzt hat, und das hat sie nicht erreicht. Das stimmt, weil auch die Annahmen nicht stimmten. Das sind ja Projektionen – hört sich auch wieder seltsam an, aber natürlich gehen wir von Annahmen aus, wenn wir so was sagen.
Da haben wir zum Beispiel das wirklich beständige Wirtschaftswachstum seit fast zehn Jahren nicht im Blick gehabt. Wir haben auch nicht im Blick gehabt, dass die Bevölkerung zunimmt – übrigens nicht ausschließlich wegen des Zustroms von Geflüchteten, sondern insbesondere auch wegen zum Beispiel EU-Bürgern, die vermehrt in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert sind.
Diese Annahmen waren nicht zutreffend und das hat dazu geführt, dass das Ziel für 2020 nicht erreichbar war, und damit hat sich die neue Bundesregierung in der Koalitionsvereinbarung, sage ich mal, ehrlich gemacht. Das muss man zunächst mal anerkennen, dass man sich ehrlich macht.
Ganz klar ist aber, dass wir für 2030 auch völkerrechtlich und europarechtlich verpflichtet sind, unsere Ziele einzuhalten: minus 55 Prozent. Dafür muss jetzt dieses Klimaschutzabkommen kommen und alle Sektoren umfassen. Wie gesagt: Energiewirtschaft, Verkehr, um die wichtigsten zu nennen.
Kohleausstieg wird "rascher, als man jetzt noch annimmt"
Heuer: Dann machen wir es mal konkret. Wann soll denn Deutschland aus der Kohle aussteigen?
Hendricks: Deutschland ist ja jetzt dabei, mit der Kohlekommission diesen Vorschlag zu erarbeiten. Der entscheidende Punkt ist, dass wir einen Pfad beschreiben, in welchem Zeitraum das geht, und dass wir festsetzen, wann wir endgültig aus der Verstromung von Kohle aussteigen. Ich werde jetzt nicht der Kohlekommission vorgreifen. Ich habe aber schon eine Vorstellung, wann es sein wird.
Heuer: Welche denn?
Hendricks: Die werde ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich habe ja gerade gesagt, ich werde der Kohlekommission nicht vorgreifen. Aber ich bin sicher, dass es im Ergebnis rascher gehen wird, als man jetzt aktuell noch annimmt.
"Bahn muss deutlich gestärkt werden"
Heuer: Verkehrssektor, Frau Hendricks. Die Autoindustrie – das erlebt man ja gerade beim Dieselskandal – tanzt doch der Politik auf der Nase herum. Das hört doch auch nicht auf. Was fordern Sie da?
Hendricks: Es ist in der Tat so, dass der Verkehrssektor bisher gar nichts geliefert hat, sondern dass er sogar im Verhältnis zu 1990 im Jahr 2017 noch mehr CO2 ausgestoßen hat. Wir brauchen eine echte Verkehrswende. Die bezieht sich insbesondere auf eine deutlich bessere Ausstattung mit dem öffentlichen Verkehr. Insbesondere die Bahn muss deutlich gestärkt werden, und zwar nicht nur im Fernverkehr, sondern auch im Nahverkehr. Das ist vollkommen richtig.
Außerdem werden wir einen höheren Anteil von Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen haben müssen, was sicherlich auch bald so sein wird, weil auch die deutschen Automobilhersteller im Flottenverbrauch, der von der EU-Kommission vorgeschrieben wird, auf EU-Ebene erarbeitet, dann europäisches Recht wird, sonst gar nicht zurechtkommt. Die bauen ja relativ große Autos und müssen, um den Flottenverbrauch zurückzuführen, um den Flottenausstoß von CO2 zurückzuführen, einfach mehr Elektroautos anbieten, was bisher die deutsche Automobilindustrie für 2025 angekündigt hat. Ich nehme an, sie werden es beschleunigen, weil sie sonst auch Marktanteile weltweit verlieren.
"Alle nicht rasch genug vorangegangen"
Heuer: Frau Hendricks, die SPD regiert in den letzten 20 Jahren bis auf eine Ausnahme von vier Jahren die ganze Zeit mit in Berlin. Sie stellen Forderungen auf, danach hatte ich Sie gefragt. Aber die Frage ist doch auch: Hat die SPD da einfach versagt? Haben Sie nicht genug getan für den Klimaschutz?
Hendricks: Das ist ja nett, dass Sie das mal so sagen. Wie wäre es denn dann zum Beispiel mal mit der Union oder mit der FDP oder so, die ja nun auch nicht unbedeutend regiert haben in der Zeit. Auch die Grünen waren ja dabei, jedenfalls wenn man die letzten 20 Jahre betrachtet.
Heuer: Mit der Union regiert die SPD ja jetzt wieder zusammen.
Hendricks: Richtig!
Heuer: Das ist dann ja auch unter diesem Gesichtspunkt möglicherweise ein Fehler.
Hendricks: In den letzten 20 Jahren haben regiert die SPD, die Union, die Grünen und die FDP. So! Deswegen werden wir uns das dann mal gemeinsam angucken, wer da wann wo was in die Wege geleitet hat. Ich weise es jedenfalls zurück zu sagen, hat die SPD da irgendwie, keine Ahnung, versagt.
Heuer: Alle haben Fehler gemacht?
Hendricks: Ja. Wenn, dann sind alle nicht rasch genug vorangegangen in den letzten 20 Jahren. So ist es. Union, SPD, Grüne und FDP.
"Haben auch als Menschen eine Verantwortung"
Heuer: Verstehen Sie, wenn die Bürger sich darüber unheimlich aufregen? Das ist ja ein sehr wichtiges Thema für alle.
Hendricks: Ja, das ist richtig. Die Bürgerinnen und Bürger haben das natürlich nicht vor 20 Jahren schon genauso gesehen wie jetzt.
Heuer: Viele schon!
Hendricks: Ja, okay. Sicherlich aber nicht so viele wie jetzt, denn es ist in das allgemeine Bewusstsein Gott sei Dank in den vergangenen Jahren deutlich mehr eingedrungen, als es noch vor 20 Jahren der Fall war. Das muss man deutlich sagen. Sie dürfen nicht vergessen, dass der IPCC ja nun auch erst in den letzten Jahren - auch natürlich nicht erst seit fünf Jahren - erst diese weltweite Anerkennung gewinnen musste, die er jetzt hat. Niemand kann im Prinzip mehr den Gutachten des Weltklimarats widersprechen, bis auf ein paar Versprengte in manchen Parlamenten, sowohl in der Bundesrepublik als auch in den Vereinigten Staaten.
Deswegen wissen jetzt alle Bescheid und das bedeutet natürlich, dass wir als Politik eine Verantwortung haben. Aber natürlich haben wir auch durchaus als Menschen eine Verantwortung: Wie umfangreich ist unser Fleischkonsum? Wie groß ist unser Auto? Wie groß sind unsere Häuser und Wohnungen? Wie leicht werfen wir Sachen weg, die man eigentlich noch gebrauchen könnte? Alle diese Fragen müssen wir uns auch als Menschen und Verbraucher stellen.
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