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Klimaurteil gegen Shell
"Signale, dass mit Klimaverschmutzung kein Geld mehr zu machen ist"

Ein Gericht in Den Haag hat den Ölkonzern Shell verpflichtet, seine Emissionen massiv zu reduzieren. Ein zukunftsweisendes Urteil, sagte die Ökonomin Claudia Kemfert vom DIW Berlin im Dlf. Und ein weiterer Fall, in dem Richter Beschlüsse fassen müssten, für die eigentlich die Politik zuständig wäre.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Bastian Brandau | 27.05.2021
Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Claudia Kemfert leitet beim DIW Berlin die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt (dpa/Kay Nietfeld)
Europas größter Ölkonzern Shell muss seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 fast halbieren – das hat ein Gericht in Den Haag entschieden, wo die Firma ihren Hauptsitz hat.
Noch nicht rechtkräftig, aber schon ein Urteil mit Signalwirkung, "zukunftsweisend", meint die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Urteil – nicht das erste dieser Art – sei ein Weckruf für die großen fossilen Energiefirmen, umzusteuern. "Die Konzerne haben jetzt wirklich Planungssicherheit, dass sie Klimaschutz als Geschäftsmodell umsetzen."
PERNIS - Climate case against Shell in court in The Hague The climate case has started before the court in The Hague, which Milieudefensie, six other organizations and 17,000 citizens have brought against Shell. The requirement is that the oil and gas company will drastically reduce the CO2 emissions it causes by extracting fossil fuels from the ground and putting them on the market. ROBIN UTRECHT
Das Wichtigste zum Gerichtsentscheid
Der größte Ölkonzern Europas ist nach einem Urteil in Den Haag dafür verantwortlich, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Er und seine Lieferanten müssen CO2-Emissionen reduzieren. Die Entscheidung dürfte Auswirkungen auf den gesamten Energiesektor haben.
Kemfert sieht "attraktive Geschäftsmodelle" und "riesige wirtschaftliche Chancen"für Öl- und Energieriesen im Bereich erneuerbare Energien, etwa bei der Herstellung von grünem Wasserstoff durch die elektrisch Aufspaltung von Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff (Elektrolyse). Der so gewonnene Wasserstoff kann dann unter anderem als Speichermedium für Ökostrom eingesetzt werden.

Kritik an der Politik, Lob für Deutschland

Kemfert übte im Dlf Kritik an einer insgesamt zu unambitionierten Klimapolitik. Es sei "bemerkenswert, dass die Gerichte die Beschlüsse fassen müssen, zu denen sich die Politiker nicht in ausreichendem Maße aufraffen können, aber die die Zivilgesellschaft einfordert". Die Klimaklage gegen Shell war von niederländischen Umweltschützern und Unterstützern aus der Zivilgesellschaft angestoßen worden.
Eine Umweltaktivistin hält während einer Demonstration unter dem Motto «Trauerzug der toten Bäume» von Extinction Rebellion (XR) unweit des Bundeslandwirtschaftsministeriums ein Schild mit der Aufschrift «Aufwachen statt Aussterben». Für diese Woche hat Extinction Rebellion Protestaktionen gegen Umweltzerstörung und Klimawandel angekündigt.
Klagen für das Klima
Die Bundesregierung soll halten, was sie im Pariser Abkommen versprochen hat, fordern Klimaschützer. Nicht nur auf den Straßen wird dies seit Jahren vehement eingefordert. Eine Methode sind auch sogenannte Klimaklagen.
Allerdings lobte Kemfert die deutsche Politik. Diese sei etwa der niederländischen voraus. Sie habe die Rahmenbedingungen schon vor Jahren so gesetzt, dass etwa deutsche Autokonzerne und Energieriesen in ökologische Innovation investierten. "Die deutschen Unternehmen sind da mittlerweile auf dem Weg", sagte die Ökonomin. "Das haben die niederländischen Konzerne noch vor sich."

Das Interview in voller Länge:
Bastian Brandau: Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber die Kläger feiern es als großen Erfolg. Wir haben es gehört: Wende, Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz. Gehen Sie da mit?
Claudia Kemfert: Ja, das Urteil hat wieder einmal in einer langen Liste von mittlerweile Entwicklungen eine Signalwirkung. Es ist auch zukunftsweisend. Es ist ja mittlerweile bemerkenswert, dass die Gerichte die Beschlüsse fassen müssen, zu denen sich die Politiker nicht aufraffen können oder nicht in ausreichendem Maße aufraffen können, aber die Zivilgesellschaft ist dies einfordert.
Es ist auch tatsächlich richtungsweisend vor dem Hintergrund, dass auch schon letzte Woche oder vor einigen Tagen die Internationale Energieagentur in ihrer Studie deutlich gemacht hat, wir müssen raus aus den fossilen Energien und rein in die erneuerbaren Energien, denn die haben die Zukunft und da liegen auch die Geschäftsmodelle. Das weiß auch ein Shell, das wissen auch alle anderen Ölkonzerne. Insofern sprechen wir hier auch nicht von einer Verlagerung, sondern es ändert sich insgesamt global das Energiesystem fundamental, und das findet überall statt.

"Signale, dass mit Klimaverschmutzung kein Geld mehr zu machen ist"

Brandau: Das heißt, wie es, glaube ich, die Grünen-Politikerin Lisa Badum ausgedrückt hat, mit Klimaverschmutzung ist kein Geschäft mehr zu machen. Das gilt aber noch für die Zukunft; das gilt ja nicht für heute.
Kemfert: Ja, das gilt für die Zukunft, aber es ist insofern ja wichtig, dass man heute die Signale bekommt, und das wissen auch die Ölkonzerne, auch die internationalen, dass mit Klimaverschmutzung kein Geld mehr zu machen ist beziehungsweise die intergenerationale Gerechtigkeit es auch nicht zulässt. Weil wir können nicht die Schäden den zukünftigen Generationen hinschieben, sondern müssen heute umsteuern.
Aber gerade so große Ölmultis wie Shell oder auch andere haben natürlich riesige wirtschaftliche Chancen, wenn sie jetzt umsteuern. Insofern würde ich es auch als Weckruf sehen für den Konzern und auch für alle anderen großen fossilen Energiekonzerne, umzusteuern, zu investieren in erneuerbare Energien im großen Stil, auch gerne in Verbindung mit grünem Wasserstoff. Aber da gibt es neue Geschäftsmodelle und die müssen auch gehoben werden.

"Die Konzerne haben jetzt wirklich Planungssicherheit"

Brandau: Zunächst argumentiert ja Shell nicht nur, dass sie bereits investiert hätten, aber vor allem, dass doch die Kundinnen und Kunden vor allem das vermeintlich billige Erdgas und Erdöl nachfragen, und vermutlich auch damit, dass Shell seinen Aktionären gerecht werden muss oder will.
Kemfert: Ja, das muss es sicher, aber das muss es jetzt vor allen Dingen auch, wenn es darum geht, dass mit Klimaschutz die Geschäftsmodelle wegbrechen, die man in der Vergangenheit hatte. In der Tat: Klar kann ein Konzern immer sagen, wenn unzureichender Klimaschutz auch in der Politik nicht da ist beziehungsweise die CO2-Preise nicht da sind oder auch andere Regularien seitens der Politik, dann versuchen sie natürlich, ihre Geschäftsmodelle möglichst lange aufrechtzuerhalten.
Wir wissen auch aus der Vergangenheit, dass große Ölmultis wirklich jahrzehntelang PR-Kampagnen finanziert haben, um den Klimawandel-Leugner mitzufinanzieren. Das gilt jetzt nicht für diesen Konzern uneingeschränkt, aber wir wissen, da gibt es keine Bestrebungen, wirklich in die Zukunft zu gucken, und das ist jetzt vorbei. Das würde ich jetzt schon sehen, dass dieses Signal da ist und die Konzerne auch jetzt wirklich Planungssicherheit haben, dass sie Klimaschutz wirklich als Geschäftsmodell endlich umsetzen müssen.

Was Deutschland richtig gemacht hat

Brandau: Die Planungssicherheit, die viele Konzerne vielleicht so nicht unbedingt gewollt haben im Moment, die Leiter dieser Konzerne. – Was bedeutet das Urteil? Was würde ein solches Urteil bedeuten für deutsche Unternehmen? Denken wir mal an Energieriesen wie RWE oder auch an die in Deutschland mit einer großen Rolle versehenen Autokonzerne.
Kemfert: Ja, die sind schon länger aufgeweckt worden, insbesondere auch RWE schon länger oder auch die Autokonzerne, die das schon länger verstanden haben. Die haben sich auch lange gewehrt, aber das ist der große Vorteil der deutschen Politik. Wir haben zwar auch zwei Schritte vorwärts und einen wieder zurück gemacht, aber wir sind trotzdem in Richtung Klimaschutz-Politik durchaus weiter nach vorne gegangen und haben auch die Rahmenbedingungen so gesetzt, dass die Konzerne wissen, wir investieren in die Zukunft und damit haben wir auch eine Planungssicherheit.
Das ist in den Niederlanden nicht ohne weiteres so passiert, obwohl Shell – ich kenne den Konzern auch schon ganz lange – schon vor über 15 Jahren gesagt hat, wir wollen in Solarenergie, wir wollen in erneuerbare Energien investieren, aber dann, wenn die Rahmenbedingungen gelockert werden, dann bei ihren fossilen Geschäftsmodellen bleiben. Das sind aber stranded assets. Das sind gestrandete Investitionen und hier kann man sagen, die deutschen Unternehmen sind da mittlerweile schon auf dem Weg, haben auch verstanden und können diese wirtschaftlichen Chancen auch heben.
Insel Pellworm, Luftbild vom Schleswig-Holsteinischen Nationalpark Wattenmeer
Deutsches Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig
Laut den Karlsruher Verfassungsrichtern fehlen Maßgaben, wie der Treibhausgas-Ausstoß nach 2031 reduziert werden solle, bis Ende 2022 müsse der Gesetzgeber hier nachbessern. Auslöser waren mehrere Klimaklagen.

"Da tut sich der Wandel schon, man sieht ihn"

Brandau: Aber noch mal nachgehakt. Sie haben eben die deutsche Politik gelobt, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber wir hatten ja das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erst vor einigen Wochen. Das hat ja durchaus Analogien zum Shell-Urteil. In Deutschland ging es gegen die Regierung und die wurde dazu verdonnert, höhere CO2-Sparmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Rechnen Sie auch hier mit einer veränderten Rechtsprechung, oder sind wir tatsächlich so gut aufgestellt, dass der Klimawandel zumindest von Deutschland nicht mehr ausgeht?
Kemfert: Die Politik hat nicht genug gemacht, aber immerhin ist sie nicht völlig eingeknickt. Deswegen ist ein Konzern – Sie hatten nach RWE gefragt – oder die Autokonzerne schon vor einiger Zeit praktisch indirekt gezwungen worden zu handeln und das haben sie auch gemacht. Aber in der Tat: Die Politik musste nachsteuern. Das hat sie ja auch in Windeseile gemacht, die Klimaziele schon angepasst, und das bedeutet wirklich weg von fossilen Energien innerhalb der nächsten 15 Jahre, und das haben jetzt auch alle Konzerne auf dem Schirm. Wir haben ja keine Ölkonzerne im eigenen Land, aber auch fossile Energiekonzerne und die steuern jetzt massiv um, investieren auch in erneuerbare Energien, investieren in Elektromobilität bei den Autokonzernen. Da tut sich der Wandel schon, man sieht ihn, und das haben offensichtlich die niederländischen Konzerne noch vor sich.

"Riesige Potenziale für Solar und Wind"

Brandau: Wir haben auch die Reaktionen aus der Industrie gehört. Der Wandel ist angeschoben, sagen Sie. Jetzt ist es müßig zu diskutieren, ob man das alles 10, 20 Jahre früher hätte angehen können. Es ist nicht genügend grüner Strom da, wurde eben gesagt. Da ist ja viel die Rede von Elektroautos, die fahren E-Fuels, sollen Treibstoff ersetzen, auch bei Flugzeugen, aber auch in der Industrie. Da ist ja die Kritik, dass diese synthetischen Kraftstoffe letztendlich einen sehr, sehr hohen Energieaufwand haben bei der Erzeugung. Inwiefern muss man auch darüber nachdenken, Energie einzusparen, bevor man irgendwelche neuen Konzepte in der Zukunft sich ausdenkt, die dann doch mit sehr viel höherem Energieverbrauch wieder verbunden sind?
Kemfert: Ja, völlig richtig. Aber auch das sind Geschäftsmodelle, sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien, auch Solarenergie, auch dort, wo Shell ja international tätig ist. Da gibt es riesige Potenziale für Solar und Wind, die gute Geschäftsmodelle wären, in Kombination auch in der Produktion mit Wasserstoff. Und Sie haben völlig recht: Das ist energieintensiv. Da braucht man hohe Mengen an Ökostrom dafür. Aber die gibt es und die erneuerbaren Energien werden immer billiger, und das sind durchaus sehr attraktive Geschäftsmodelle.
Und Sie haben auch völlig recht: Es geht hier auch ums Energie sparen. Gerade der Ökostrom, wenn er denn produziert wird, im Übrigen auch in den Niederlanden, auch dort kann man deutlich mehr ausbauen. Dann sollte er auch effizient genutzt werden, der Ökostrom direkt getankt werden in Elektrofahrzeuge oder in den Schienenverkehr. Das ist allemal besser, als dass man erst mal noch sehr umständlich synthetische Kraftstoffe herstellen muss und die dann wirklich nur vorsehen für die Bereiche, wo man keine direkte elektrische Alternative hat. Da gibt es aber genügend Möglichkeiten.

"Darauf einstellen, dass fossile Energie zur Neige gehen wird"

Brandau: Noch eine praktische Frage zum Schluss. Die CO2-Preise werden ja auch steigen. Man merkt sie schon an der Tankstelle, vielleicht beim Heizen. Viele heizen in Deutschland mit Gas oder Öl. Müssen wir uns darauf einstellen, dass die Energiepreise auch durch solche Urteile weiter stark steigen, wenn wir mit Gas oder Öl heizen?
Kemfert: Wir müssen uns wirklich darauf einstellen, dass die Zeit begonnen hat, dass die fossile Energie zur Neige gehen wird. Das heißt, dass wir sie nicht mehr nutzen werden, weil wir in der Tat umsteigen müssen – sei es jetzt im Gebäudebereich mehr energetische Gebäudesanierung zu finanzieren, dort Wärmepumpen zu nutzen oder erneuerbare Energien, oder auch im Mobilitätsbereich umstellen auf die Elektromobilität und auch auf Verkehrsvermeidung, Verlagerung und Optimierung. Das heißt, jeder, der jetzt merkt, da steigen die Preise, sollte das auch verstehen. Das wird weiter so sein. Aber die gute Chance ist hier, dass man umsteigen sollte, und da sollte die Regierung auch helfen mit finanziellen Unterstützungen für eine Gebäude-Energie-Wärmewende und Verkehrswende, denn dann zahlt sich das auch aus für alle Bürger in diesem Land.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.