Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Klimaziele
Fraunhofer-Forscher: "In Zukunft kommt die Energie aus Photovoltaik und Wind"

Die CO2-Emissionen in Deutschland sollen bis 2030 um 65 Prozent gedrosselt werden. Die Industrie sei in der Lage, hierfür große Mengen zusätzlicher Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu bauen, sagte der Fraunhofer-Forscher Christoph Kost im Dlf. Investitionen in auslaufende Technologien gelte es zu vermeiden.

Christoph Kost im Gespräch mit Ralf Krauter | 18.05.2021
Solarpanäle auf Dächern in einem bayerischen Photovoltaik-Park.
Im Bereich Photovoltaik müssten bis 2030 Anlagen hinzugebaut werden, die zusätzliche zehn bis 15 Gigawatt Energie lieferten, sagte der Christoph Kost im Dlf (imago images / Westend61)
Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein - fünf Jahre früher als ursprünglich geplant. Ebenfalls verschärft wurden die Zwischenziele bei den Treibhausgas-Emissionen. Diese sollen bis 2030 nicht um 55, sondern um 65 Prozent gedrosselt werden. Wie das gehen soll, ist in dem mittlerweile aktualisierten Report "Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem" nachzulesen, der federführend von Christoph Kost vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg verfasst wurde.
Die neuen Klimaziele für Deutschland
Die Bundesregierung hat die Klimaziele für Deutschland nachgeschärft. Welches sind die neuen Ziele, wie sollen sie erreicht werden und welche Kritik gibt es? Ein Überblick.
Im Bereich Photovoltaik müssten bis 2030 Anlagen hinzugebaut werden, die zusätzliche zehn bis 15 Gigawatt Energie lieferten, sagte der Forscher im Dlf. "Es sind sehr hohe Mengen, das stimmt, aber das können wir schaffen. Die Industrie ist da heute so aufgestellt, dass die Kapazitäten eigentlich vorhanden sind, Module zu produzieren."

Zahl der E-Auto-Zulassungen wird steigen

Auf dem Weg zur Klimaneutralität gelte es, Fehlinvestitionen zu vermeiden – nicht zuletzt im Gebäudesektor. Schließlich könnten Öl- und Gasbrennwertkessel in einem treibhausgasneutralen System nicht mehr verwendet werden, so Kost.
Mit Blick auf die Mobilitätswende ist der Wissenschaftler optimistisch, dass bis 2030 jährlich etwa 1,8 Millionen Elektroautos zugelassen werden. "Meine persönliche Vermutung ist, dass wir als Kunden in wenigen Jahren fast nur noch Elektroautos angeboten bekommen und dann ab 2025 diese Investitionsentscheidung auch vom Endkunden fast nur noch Richtung Elektroauto getroffen wird."

Das Interview in voller Länge:
Ralf Krauter: Da jetzt bis 2030 vor allem der Energiesektor einen deutlich höheren Anteil an CO2-Einsparungen liefern soll, müssen die meisten Kohlekraftwerke in Deutschland schon vor 2038 vom Netz. Können wir das schaffen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden?
Christoph Kost: Ja, das stimmt. Wir müssen Kohlekraftwerke deutlich weniger betreiben in Zukunft, vor allen Dingen nach 2030. Unsere Studien haben das immer schon auch vorhergesehen, dass wir insbesondere im Stromsektor deutlich schneller Emissionen senken können. Es bedeutet ja nicht, wenn wir diese Kohlekraftwerke ab 2030 kaum noch laufen lassen, dass wir sie gar nicht mehr laufen lassen können, wir können sie natürlich immer noch auch zur Versorgungssicherheit eventuell einsetzen, in wenigen Stunden, in wenigen Wintertagen einsetzen, um die Versorgungssicherheit herzustellen. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, wir brauchen andere Technologien für die Versorgungssicherheit. Mit den erneuerbaren Energien müssen wir natürlich auch Stromspeicher, flexible Kraftwerke zubauen.
Krauter: Schauen wir auf die Erneuerbaren, die Sie angesprochen haben, die müssen sehr schnell hochgefahren werden. Können Sie das mal quantifizieren in Zahlen, also was heißt das denn ganz konkret, bis 2030 zum Beispiel an Zubau von Windrädern und Photovoltaikanlagen in Deutschland?
Kost: Wir müssen hier tatsächlich deutlich mehr zubauen. Im Photovoltaikbereich, bei den Solarmodulen circa 10 Gigawatt bis 15 Gigawatt, das ist mehr als doppelt so viel wie 2020, das ist teilweise doppelt so viel wie 2012 in den Hochzeiten des Photovoltaikzubaus. Es sind sehr hohe Mengen, das stimmt, aber das können wir schaffen, die Industrie ist heute da so aufgestellt, dass die Kapazitäten eigentlich vorhanden sind, Module zu produzieren. Bei Wind sind es circa sieben Gigawatt, die installiert werden müssen jedes Jahr, um dann bei beiden Technologien, also Wind circa 120 Gigawatt und bei Solar zwischen 150 und 200 Gigawatt, zu erreichen im Jahr 2030.

Photovoltaik und Windkraft als zentrale Energiequellen

Krauter: Also die genannten Zahlen, das ist noch mal wichtig zu betonen, das sind die jährlichen Zubauraten, die wir brauchen. Ich hab mal ausgerechnet, bei Windkraft heißt das an Land zum Beispiel, da ist ja die Ziffer 7,4 bis 8,4 Gigawatt elektrische Leistung pro Jahr, die neu gebaut werden muss, das heißt ja, wir reden über 3.000 neue Windräder pro Jahr.
Kost: Ja, das stimmt, wir müssen uns darauf einstellen. Dadurch, dass Photovoltaik und Windenergie im Prinzip die komplette Energieversorgung in einem Treibhausgas-neutralen System zur Verfügung stellen, sind sie der primäre Energieträger. Dort kommt in Zukunft die Energie her, egal wo wir sie nachher verwenden – im Verkehr oder in der Wärme, überall wird auf diese Primärenergie zugegriffen.
Krauter: Also es sind enorme Zahlen, und es wird auch eine politische Herausforderung sein natürlich, da die entsprechenden Orte zu finden, wo man diese Windräder an Land alle bauen kann. Grüner Strom, der soll künftig ja nicht nur unseren Strombedarf decken, er soll auch dazu beitragen, andere Sektoren, die bislang eher auf der Stelle treten beim Klimaschutz, Stichwort Verkehrssektor, Stichwort Wärmesektor, voranzubringen. Mit welchen Technologien soll das gelingen, also wie könnte der grüne Strom dort weiterhelfen?
Kost: Am effizientesten ist natürlich der direkte Einsatz des Stromes in Anwendungen wie der Elektromobilität oder in Wärmepumpen, im Wärmebereich. Bei Wärmepumpen wird ja der Strom genutzt, um dann aus der Umgebungswärme Heizenergie zu gewinnen, und das ist der effizienteste Weg. Natürlich können wir auch über Umwandlungsschritte, über die sogenannten Power-to-X-Technologien, den Strom auch in chemische Energieträger einsetzen, aber das ist immer sozusagen erst der zweite Weg, der etwas weniger effiziente.

Wärmepumpen gewinnen an Bedeutung

Krauter: Also Wärmepumpen werden im großen Stil kommen müssen, ich hab gelesen, bis 2030 müssen 40 Prozent der Haushalte entweder mit Fernwärme heizen oder mit einer Wärmepumpe. Das heißt, das sind schon sehr drastische Zuwachsraten, die da nötig sind.
Kost: Genau, die sind auch genau deswegen notwendig, weil eben viele andere Technologien, die wir heute noch einsetzen – und dazu zählen eben nicht nur die Ölkessel, sondern auch die Gasbrennwertkessel in einem Treibhausgas-neutralen System –, dann 2040/’45 kaum noch einsetzbar sind. Deswegen müssen wir gleich sozusagen zu diesen Technologien übergehen, die fast vollständig CO2-frei die Energieversorgung im Gebäude sicherstellen, und wir müssen insbesondere im Gebäudesektor aufpassen, dass wir da nicht in Fehlinvestitionen laufen, dass immer noch in konventionelle Technologien, ähnlich wie es in Kohlekraftwerken vor drei, vier Jahren noch war, investiert wird, weil diese Heizungssysteme bis 2040 oder 2045 eigentlich nicht laufen können.

Immer mehr Faktoren, die E-Autos attraktiv machen

Krauter: Normalerweise haben die eben, weil es Langfristinvestitionen sind, lange Laufzeiten. Wie sieht’s denn bei den Elektroautos aus? Sie haben das schon angesprochen, auch da ist die Zahl ja recht sportlich. Ich hab’ gelesen, wir bräuchten 19 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen bis 2030, also müssen wir 1,8 Millionen pro Jahr neu zulassen, zehnmal mehr, als wir 2020 geschafft haben. Sie sind trotzdem optimistisch, dass das klappt?
Kost: Ja, ich bin da sehr optimistisch. Wir sehen da ja gerade sehr viel Dynamik im Automobilmarkt. Wir sehen diese 19 Millionen Autos deswegen so, weil wir es im Prinzip in den anderen Verkehrssegmenten, im Lkw-Bereich oder auch im Flugverkehr, eben schwieriger sehen, im Pkw-Bereich sind wir jetzt schon weiter. Meine persönliche Vermutung ist, dass wir in wenigen Jahren als Kunden eh fast nur noch Elektroautos angeboten bekommen und dann ab 2025 diese Investitionsentscheidung auch vom Endkunden fast nur noch Richtung Elektroauto getroffen wird, weil wir erkennen, dass auch aufgrund der CO2-Bepreisung bei den Benzinpreisen und auf der anderen Seite der Veränderung beim Strompreis, also Richtung günstigeren Strompreis, auch die Betriebskosten einfach ein schlagendes Argument für Elektroautos sind.
Krauter: Sprechen wir noch über die synthetischen Kraftstoffe, die Sie auch schon erwähnt haben, die zumindest für Flugzeuge ja mittelfristig wahrscheinlich alternativlos bleiben, vielleicht eine Zeit lang auch noch für den Schwerlastfernverkehr. Welche Mengen werden wir davon künftig, sagen wir mal konkret 2030, produzieren, und werden wir das in Deutschland tun oder das größtenteils importieren, diesen grünen synthetischen Sprit?
Kost: 2030 wird noch eigentlich so ein Jahr sein, wo wir noch nicht zentral auf diese Kraftstoffe setzen könnten. Die Technologien sind erst im Beginn, die Kraftstoffe werden noch recht teuer sein, wir müssen 2030 uns vor allen Dingen auf die elektrischen Lösungen erst mal fokussieren. Längerfristig, Richtung 2040/2045, werden wir doch aber in einigen Bereichen der einzelnen Sektoren – insbesondere im Industrie- und Verkehrsbereich, Schwerlastbereich – auf diese Energieträger doch auch setzen müssen. Was wir dort uns angesehen haben, ist, dass in unseren Studien immer herauskommt, dass wir auf eine Kombination von heimischer Erzeugung und Importen setzen sollten. Wir haben einfach auch die Möglichkeit, dadurch, dass wir hohe Erneuerbaren-Zahlen eh brauchen im Stromsystem, auch eine gewisse Menge dort für Power-to-X einzusetzen. Deswegen ist es aus meiner Sicht sinnvoll, da wirklich eine kombinierte Strategie zu fahren. Wenn wir jetzt noch mal auf die Mengen schauen, schwanken da die Zahlen noch sehr groß, wir kommen in unseren Ergebnissen auf circa 300 bis 600 Terawattstunden. Wenn man sich das anschaut, aber im Vergleich zu heutigen Erdöl- oder Erdgasimporten – also das waren jetzt sowohl heimische als auch ausländische Importe –, sind es aber nur noch wirklich ein Bruchteil, ein Drittel, ein Viertel, ein Fünftel von den Mengen an chemischen Energieträgern, Erdöl und Erdgas, was wir heute importieren. Also dieser Bereich wird wichtig sein, aber im Vergleich zu heutigem Erdöl und Erdgas deutlich geringer.
Aktivistin Neubauer - "Die deutschen Klimaziele sind nicht mit dem Pariser Abkommen vereinbar"
Dass Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele erreicht hat, sei kein Erfolg, sagte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Dlf. Die Ziele seien zu niedrig und zudem vor allem durch Auswirkungen der Pandemie erreicht worden.
Krauter: Nun reden wir ja über eine Mammutaufgabe, die wir gemeinsam alle angehen müssen. Die Technologien – ich glaube, das ist klar geworden –, die liegen größtenteils vor, sie müssen jetzt halt eingesetzt werden. Wo sehen Sie denn bei der Umsetzung der Energiewende aktuell die größten Herausforderungen oder auch Unwägbarkeiten?
Kost: Wir müssen vor allen Dingen schnell sein, und wir dürfen nicht mehr fehlerhafte Investitionen anreizen oder auch umsetzen, also wir dürfen nicht mehr Technologien verbauen, die wir 2040 oder 2045 wirklich nicht mehr benötigen. Wir müssen bei jeder Entscheidung wirklich prüfen, ob sie sinnvoll ist.
Krauter: Sie machen ja seit vielen Jahren schon solche Modellrechnungen, um quasi klarzumachen, wie die Energiewende klappen kann. Wie viel mehr müssen wir uns denn jetzt strecken durch die neue verschärfte Zielvorgabe der Bundesregierung?
Kost: 2030 ist, glaube ich, schon eine relativ große Anstrengung, die wir leisten müssen. Wir müssen jetzt in zehn Jahren 25 Prozentpunkte CO2 einsparen, das ist eine wirklich gewaltige Menge, wir müssen dafür sehr schnell sehr kurze Entscheidungen treffen. Auf die lange Sicht, bis 2045, glaube ich, können wir das gut schaffen, da haben wir genügend Technologien und auch Zeit, aber jetzt diese Kurzfristperspektive, da ist sehr hohe Anstrengung jetzt erforderlich in den nächsten Jahren.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen./