"Was gibt es groß zu sagen. Ich bin nicht das erste Mal hier. Schon des Öfteren hier drin gewesen wegen Schwarzfahrens."
Endres ist 43 Jahre alt. Er ist einer von den knapp 50 Männern, die in der Haftanstalt Plötzensee einsitzen und dort eine so genannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Weil sie vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt wurden – und die entweder nicht zahlen können, oder manchmal auch nicht zahlen wollen. Endres ist einmal zu viel schwarzgefahren. "Erschleichen von Beförderungsleistungen" heißt das im Juristendeutsch.
1.500 Euro Strafe zahlen – oder 104 Tage sitzen
Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. 1.500 Euro sollte Endres zahlen – unmöglich für den Hartz-IV-Empfänger. Deshalb muss er jetzt 104 Tage absitzen – im so genannten offenen Vollzug. In jener Berliner Haftanstalt, die zum Jahreswechsel in die Schlagzeilen geriet, weil neun Häftlinge entwichen waren. Drei von ihnen mussten – so wie Endres ebenfalls – eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Schwarzfahrens verbüßen. Dass Strafe sein muss, das sieht auch Endres ein, aber Gefängnis?
"Ich sage mal ganz ehrlich, wenn man mich dafür 'ranzieht, dass ich Scheiße gebaut habe – was ich ja zugebe –, dann fände ich es sinnvoller: Da ist ein Bahnhof, mach den sauber! Dann würde ich auch was für die Gesellschaft tun, der ich geschadet habe – der BVG, S-Bahn oder so."
Ob es sinnvoll ist, das Schwarzfahren zu bestrafen bis hin zur Haft – über diese Frage streiten sich Politiker, Juristen und nicht zuletzt auch die Verkehrsbetriebe.
Peter Biesenbach ist der nordrhein-westfälische Justizminister. Er hat sich als erster CDU-Politiker im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen, Schwarzfahren nicht mehr als Straftat, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit zu betrachten. Es sei eine "Fehlentwicklung", dass jemandem, der keine Kurzstreckenfahrkarte für 1,50 Euro kaufe, Gefängnis drohen könne, sagte der Minister damals:
"8,5 Prozent aller erledigten Verfahren bei den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen waren in 2016 solche wegen Erschleichens von Leistungen. Das sind knapp 100.000 Vorgänge."
Warum nicht Zugangskontrollen?
Biesenbach sieht vor allem die Verkehrsbetriebe selbst in der Pflicht, sich vor Schwarzfahrern zu schützen – durch Zugangskontrollen. Solche Kontrolleinrichtungen gibt es aber in Deutschland – anders als in vielen anderen europäischen Ländern – nicht. Und soll es, wenn es nach den Verkehrsbetrieben geht, auch künftig nicht geben.
Oliver Wolf ist Geschäftsführer des Verbandes der Verkehrsunternehmen. Er wendet sich vehement dagegen, dass die Justiz sich wegen klammer Kassen ihrer Aufgaben entledigt und stattdessen der Öffentliche Nahverkehr in die Pflicht genommen wird. Geht es nach ihm, sollte, was das Strafgesetzbuch angeht, bei der Beförderungserschleichung alles so bleiben wie es ist:
"Den Verkehrsunternehmen geht es nicht darum, irgendwie auf diese Art und Weise irgendwelche Leute möglichst schnell in die Strafbarkeit zu bringen. Aber man kann auch nicht wegdiskutieren, dass Strafbarkeit auch ein Abschreckungstatbestand ist und dass das dann dazu führt, dass die Leute eben nicht ohne Weiteres in die Verkehrsmittel ein- und aussteigen und nicht bezahlen."
Wenn sich aber jemand schlicht das Ticket nicht leisten kann, inwieweit kann eine Geldstrafe dann abschreckend wirken? Nach Angaben des Verbandes der Verkehrsbetriebe sind bis zu 46 Prozent der erwischten Schwarzfahrer mittellos. Alleine in der Hauptstadt sitzen etwa 150 Personen deswegen im Gefängnis, sagt der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen.
Schwarzfahrer sind oft mittellos
Es sind häufig Obdachlose, Suchtkranke, Überschuldete. Sie verursachen der öffentlichen Hand immense Ausgaben. 15 Millionen Euro pro Jahr kosten den Steuerzahler jene, die eine Geldstrafe wegen Schwarzfahrens nicht bezahlen können und deshalb in Haft landen. Dirk Behrendt:
"Was sollen wir mit den Menschen dort eigentlich sinnvoll machen? Alkohol und Drogenproblematik werden wir in der Zeit nicht in den Griff kriegen. Irgendwie eine Schuldenregulierung wird man nicht mal anstoßen können."
Auch der Berliner Justizsenator fordert deshalb eine Gesetzesänderung:
"Also wenn man den Paragrafen 265a Strafgesetzbuch reformieren möchte, dann wäre eine Möglichkeit zu sagen, die geringfügigen Fälle, bis zu einer Summe von fünf Euro oder zehn Euro Fahrgeld, nehme ich aus dem Strafgesetzbuch heraus, und bei höheren Summen, beispielsweise auch für die Deutsche Bahn, lasse ich das als Straftat. Und dann mache ich die anderen als Ordnungswidrigkeit, die würden ja als Ordnungswidrigkeit dann rechtswidrig bleiben, aber wären eben nicht mehr mit dem Strafrecht verfolgbar, und das würde auch nicht mehr so schnell Gefängnis bedeuten."
Für Hartz-IV-Bezieher könnte der Staat einspringen
Halt machen kann man an dieser Stelle aber wohl nicht. Gerade für jene, die sich den Fahrpreis nicht leisten können, aber auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, muss es andere Lösungen geben – jenseits des Strafrechts. Für den Richter am Bundesgerichtshof Claudio Nedden-Boeger stellt sich deshalb die Frage:
"Müssen wir nicht präventiv ein System finden, in dem wir denjenigen, die bedürftig sind und die einen anerkannten Bedarf haben, zu dem Betrag, der dazu eingerechnet ist, eine Fahrtmöglichkeit eröffnen im eigenen Ort? Womöglich sogar, indem man sagt, ihr bekommt es als Sachleistung. Also als Hartz-IV-Berechtigte seid ihr so wie Schwerbehinderte berechtigt, diese Verkehrsmittel zu benutzen in gewissem Umfang, und das wird von der öffentlichen Hand dann getragen. Dass man auf diese Weise eben effektiv schafft, dass diese 46 Prozent, die nicht bezahlen können, den Bedarf in Anspruch nehmen können, den sie haben, ohne in die Strafbarkeitsfalle zu geraten."