Donnerstag, 25. April 2024

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Koalition mit der AfD?
"Die CDU ist zutiefst verunsichert"

Die CDU muss einer Koalition mit der AfD in Ostdeutschland eine Absage erteilen, sagt der Journalist Olaf Sundermeyer. Mit der AfD im Osten würde sich die CDU eine Partei zum Partner machen, die in weiten Teilen rechtsradikal sei. Moderate Kräfte, auf die sich die sachsen-anhaltinische CDU beziehe, gebe es dort kaum noch.

Jonas Reese im Gespräch mit Olaf Sundermeyer | 20.06.2019
Octavian Ursu (CDU) tritt in einer Stichwahl gegen Sebastian Wippel (AfD) um das Amt des Oberbürgermeisters von Görlitz an
Knappes Rennen: In Görlitz gewann der CDU-Kandidat um das Oberbürgermeisteramt nur knapp gegen den AFD-Anwärter (imago / photothek / Ute Grabowsky / Florian Gärtner)
Jonas Reese: Die CDU ringt vor den anstehenden Landtagswahlen im Osten um den Umgang mit der AfD, und dabei bleibt erst mal dieser Satz im Gedächtnis: "Das Soziale mit dem Nationalen versöhnen." National und Sozial – zwei durch den Nationalsozialismus belastete Begriffe, dieses Mal aus der Feder zweier CDU-Abgeordneter. Vor der Sendung habe ich den freien Journalisten und Buchautoren Olaf Sundermeyer gefragt, ob die Verwendung dieser beiden Begriffe eher Provokation oder Geschichtsvergessenheit ist.
Olaf Sundermeyer: Nein, das ist die Kopie dessen, was die AfD in sämtlichen ostdeutschen Landesverbänden, insbesondere in Thüringen – Vorreiter ist da Björn Höcke – seit einiger Zeit macht, nämlich genau das Nationale mit dem Sozialen zu verbinden, zu sagen, das ist im Prinzip unser Programm. Den Menschen in der Region geht es in erster Linie um das Nationale, um die nationale Identität, aber auch um Sicherheit, um soziale Sicherheit. Das ist, ganz einfach gesagt, das ostdeutsche Parteiprogramm der AfD, das sich immer wieder verstärkt, gerade jetzt vor wichtigen Wahlen in Sachsen, in Brandenburg im September, aber auch im Oktober in Thüringen, mit dem die AfD dort Erfolg hat. Uni sono aus Sicht der Union, der CDU kann man sehen, dass der liberal-konservative Kurs der CDU, der in Sachsen und insbesondere auch in Brandenburg verfolgt wird, sich ganz deutlich von der AfD abzugrenzen, dort zu schlechten Umfrageergebnissen führt, und ich habe das Gefühl, dass die CDU in Sachsen-Anhalt, wo erst in zwei Jahren gewählt wird, dem vorgreifen möchte, weil man merkt, dass die Kollegen in den benachbarten Bundesländern mit ihrem eher moderaten Kurs keinen Erfolg haben. Da setzt man jetzt ganz auf die Karte der AfD. Dazu passt ja dann auch die Überlegung, die AfD durchaus auch als Koalitionspartner zu sehen.
Aufschrei der Bundes-CDU "fehlt ganz deutlich"
Reese: Darauf will ich jetzt gleich noch eingehen. Aus der Bundes-CDU wird diese Koalition ja abgelehnt. Aber auf diese Formulierung noch mal zu sprechen zu kommen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen; da gab es bislang noch keinen Aufschrei aus der Bundes-CDU. Fehlt der?
Sundermeyer: Der fehlt ganz deutlich, würde ich sagen. Frau Kramp-Karrenbauer sollte sich da deutlich positionieren. Ich sehe aber, dass die CDU insgesamt sehr verunsichert ist, angesichts der jüngsten Umfragen insbesondere in Brandenburg und in Sachsen, wo die CDU bei den vergangenen Wahlen zur Europawahl als stärkste Partei hervorgegangen ist, und da weiß man, glaube ich, momentan nicht, ob der eher moderate Kurs von Ingo Senftleben, dem CDU-Chef in Brandenburg, oder auch von Ministerpräsident Kretschmer in Sachsen, der sich bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit deutlich von der AfD distanziert, noch der richtige ist. Ich sehe eine zutiefst verunsicherte Union in sämtlichen ostdeutschen Landesverbänden, der jetzt Sachsen-Anhalt diesen, ja schon fast radikal zu nennenden Ausdruck gegeben hat.
Der Journalist und Autor Olaf Sundermeyer auf der Frankfurter Buchmesse
Der Journalist und Autor Olaf Sundermeyer auf der Frankfurter Buchmesse (Deutschlandradio / David Kohlruss)
Reese: Die CDU laviert da etwas und ist sich nicht ganz sicher, ob vielleicht eine Koalition mit der AfD sinnvoll sein könnte. Aus Ihrer Sicht: Könnte die denn eventuell sinnvoll sein, um extremistische Strömungen in der AfD einzubinden, um die vielleicht etwas zu erden?
Sundermeyer: Der Zeitpunkt wurde verpasst. Ich halte das auch für eine Fehleinschätzung der sachsen-anhaltinischen CDU, die sagt, na ja, man kann ja mit den liberalen Kräften innerhalb der AfD reden. In den ostdeutschen Landesverbänden haben sich längst die radikalen Kräfte durchgesetzt. Dieser Flügelkampf, den wir bundesweit innerhalb der AfD haben, ist in den ostdeutschen Landesverbänden längst entschieden. Und wenn man sich die AfD zu einem Partner macht, dann macht man sich eine Partei, die in weiten Teilen eine rechtsradikale ist dort im Osten der Republik, zu einem Partner, und da gilt es aus Sicht der Bundes-CDU, jetzt eine ganz deutliche Absage zu machen. Der Bundesgeschäftsführer der CDU, Paul Ziemiak, hat das ja bereits getan in der Reaktion auf Sachsen-Anhalt. Ich würde mir aber wünschen, dass auch eine Reaktion der Parteivorsitzenden dazu käme. Wir sehen aber auch in anderen Landesverbänden, zum Beispiel in Brandenburg das jüngste Wahlergebnis von Ingo Senftleben zum Spitzenkandidaten der CDU dort in Brandenburg. Der hat eine herbe Klatsche bekommen für seinen moderaten Kurs und die Hardliner innerhalb der CDU – da ist Sachsen-Anhalt kein Einzelfall – bekommen nach meiner Beobachtung in sämtlichen ostdeutschen Landesverbänden, also in Sachsen-Anhalt, auch in Brandenburg, auch in Sachsen, momentan Auftrieb, angesichts der schlechten Umfrageergebnisse für den moderaten Kurs der CDU in diesen Landesverbänden.
Bedrohung von rechts: "Quantität gleich, Qualität steigt"
Reese: Diese Diskussion um eine AfD-Koalition und diese höchst fragwürdige Formulierung, die ich gerade schon zitiert habe, die fallen ja beide auf einen Tag, an dem Morddrohungen an Kommunalpolitiker publik geworden sind, über die man jetzt verstärkt diskutiert, auch an einem Tag, an dem über die Verrohung der Sprache gesprochen wird im Zusammenhang mit dem wohl rechtsextrem motivierten Mord an Walter Lübcke. Erst mal vorweg die Frage: Dieser Eindruck, der Rechtsextremismus ist hierzulande auf dem Vormarsch, stimmt der? Ist der mit Zahlen zu belegen?
Sundermeyer: Wir erleben ganz deutlich seit 2014/2015 einen Rechtsruck, der nicht nur seinen Ausdruck in den starken Wahlergebnissen der AfD insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern findet, sondern wir haben Bedrohungen, Angriffe zahlreicher besonders Kommunalpolitiker – das aber nicht erst seit diesem Jahr. Das haben wir seit 2015. Ich erkenne auch keine neue Bedrohungssituation, keine neue Bedrohungslage seit dem Mord an Herrn Lübcke in Wolfhagen, sondern ich erkenne eine unverändert hohe Bedrohungslage seit den Hochzeiten von Pegida, wo im Prinzip Menschen, die systematisch das politische Klima aufgeheizt haben in Deutschland – und ich nenne explizit Pegida, ich nenne Demonstrationsinitiativen wie Zukunft Heimat in Cottbus, aber auch die AfD -, all diese Menschen sind ja Teil einer gesamt-nationalpopulistischen Bewegung, die diesen Rechtsruck vollzogen haben in den vergangenen Jahren. Am Ende ist der Mord eines Kommunalpolitikers in Kassel der extremste Ausdruck dessen, was in diesem Land in den vergangenen Jahren passiert ist. Aber die AfD hat einen gehörigen Teil daran, dass wir eine Verrohung der politischen Kultur in Deutschland erleben.
Reese: Sie sagen jetzt, es ist keine neue Bedrohungslage zu erkennen. Wenn man jetzt aber den Mord an Walter Lübcke nimmt, die Drohung an Kommunalpolitiker, die Drohung gegen die NSU-Opferanwältin in Frankfurt - hat vielleicht die Quantität nicht zugenommen, aber die Qualität?
Sundermeyer: Die Qualität ganz deutlich. Wenn der Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt bei der Pressekonferenz vor zwei Tagen, gemeinsam mit BKA-Präsident und dem Verfassungsschutzpräsidenten, es hat eine neue Qualität erreicht, dann meint er damit, dass erstmals seit 1945 ein Politiker durch rechtsextremistische Täter mutmaßlich ermordet wurde. Das ist neu, das ist eine neue Qualität, das muss man auch als solche benennen. Aber die permanente anhaltende Bedrohung, auch die Angriffe gegen Politiker, vor allen Dingen auch auf der kommunalen Ebene, die sehr viel ungeschützter sind als beispielsweise Mitglieder der Bundesregierung, ist etwas, das wir durchgängig seit den Hochzeiten von Pegida, seit 2014 in Deutschland erleben.
"Lübcke wurde Opfer eines mutmaßlich politischen Mordes"
Reese: Wie gehen wir jetzt damit um? Was lernen wir jetzt daraus? Wir haben schon oft über die Verrohung der Sprache gesprochen. Das kann es aber wahrscheinlich allein nicht sein. Braucht es da eine Verschärfung von Gesetzen, eine größere Befugnis, die Horst Seehofer jetzt auch für sich reklamieren will?
Sundermeyer: Es geht erst mal darum zu erkennen, dass die Demokratie unter Druck geraten ist, dass das, was dort abläuft, eine tatsächliche Gefährdung der Demokratie ist, unabhängig von den unterschiedlichen politischen Positionen und Argumenten, die ausgetauscht werden müssen. Wir brauchen den demokratischen politischen Streit in Deutschland. Wir brauchen aber keine Verrohung, Beleidigung, wir brauchen keinen Hass. Straftaten müssen konsequent als solche rechtsmotiviert auch erkannt und geahndet, verfolgt werden in all ihrer Konsequenz. Ich habe den Eindruck, dass der Fall Lübcke dazu beitragen wird, dass es im Prinzip eine Art, na ja, auch Weckruf ist, ein gesamtgesellschaftlicher Weckruf. Es bleibt aber unbenommen der politische Streit unterschiedlicher politischer Positionen, der weiter geführt werden muss und auch soll. Die Tatsache, dass sich ein Politiker - Herr Lübcke wurde zum Mordopfer, weil er sich für demokratische Werte eingesetzt hat und auch aus seiner Sicht – er ist ein überzeugter Christ gewesen – für christliche Werte in Deutschland. Deswegen ist er das Opfer eines mutmaßlichen politischen Mordes gewesen. Die Unterscheidung zwischen einem politischen Streit und einer Verrohung der Kultur, eines Verfalls der Sitten, den müssen wir jetzt ganz deutlich ziehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.