Donnerstag, 28. März 2024

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Positionierung der CDU zur AfD
"Das kann die Partei in große Verwerfung stürzen"

Die westdeutschen CDU-Landesverbände hätten eine völlig andere Position zur AfD als die ostdeutschen, erklärte die Politologin Ursula Münch im Dlf. "Das hat Potenzial, eine Partei zu zerreißen." Zudem kritisierte sie, dass die Werte-Union zu viel mediale Aufmerksamkeit erhalte.

Ursula Münch im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 15.06.2019
Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung, spricht bei der Jahrestagung des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV)
Die Werte-Union besitze eine gewisse Gabe der Zuspitzung, kritisierte die Politologin Ursula Münch (picture alliance/dpa - Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)
Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, sie leitet die Akademie für politische Bildung in Tutzingen. Schönen guten Tag, Frau Münch!
Ursula Münch: Guten Tag, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Frau Münch, wie blank liegen die Nerven in der Union?
Münch: Na ja, dass die angespannte Stimmung dort herrscht, das haben wir spätestens seit dem Ergebnis der Europawahl gemerkt, eigentlich ja auch schon vorher. Wo man im Grunde diese Kursfragen, also wie ökologisch soll sich die Union ausrichten beziehungsweise wie konservativ, auch wie anti-migrationspolitisch soll man sich positionieren? Da geht schon seit geraumer Zeit durchaus ein Spalt durch die Union. Und wenn man sich dann natürlich noch Sorgen machen muss, dass unter Umständen die nächsten Bundestagswahlen aufgrund eines unsicheren Partners in der Großen Koalition, dass also die nächsten Bundestagswahlen früher kommen als ursprünglich vorgesehen, dann ist natürlich Nervosität durchaus verständlich.
Münch: Zu viel Aufmerksamkeit für die Werte-Union
Armbrüster: Wer hat denn da jetzt mehr zu sagen bei dieser Kursbestimmung, sind das die Konservativen, so wie wir gerade die Vertreter gehört haben aus dem Kreis der sogenannten Werte-Union, oder sind das eher die, die sozusagen den bisherigen Kurs, den eher mittigen Kurs der Union fortsetzen wollen?
Münch: Also, ich gehe mal davon aus, dass diese Mitte-Orientierung insgesamt deutlich stärker ist, zahlenmäßig deutlich stärker ist. Aber das sind natürlich die Gemäßigten innerhalb der Union, das sind die Gemäßigten in der Partei, in den verschiedenen Fraktionen in Bund und Ländern, die sind jetzt natürlich auch manchmal nicht so lautstark. Diese Werte-Union besitzt eine gewisse Gabe der Zuspitzung, genießt dadurch natürlich eine größere mediale Aufmerksamkeit. Die hat sie ja eigentlich nicht verdient, wenn man sich mal anschaut, wie wenig Mitglieder in dieser Vereinigung sind, das sind jetzt nun auch nicht wirklich gerade die prominentesten. Aber die melden sich dann eben doch lautstark zu Wort und wir sprechen gerade drüber. Also insofern, die haben ein bisschen zu viel Aufmerksamkeit meines Erachtens.
Armbrüster: Könnte es denn sein, dass sie möglicherweise nicht repräsentativ sind innerhalb der CDU, unter den CDU-Mitgliedern, aber dass sie trotzdem sozusagen ein Wählerpotenzial anlocken können, auch eine Anzahl von Wählern, die für die CDU durchaus interessant sind?
Münch: Das ist natürlich genau der zentrale Punkt. Wenn wir uns die Landkarte der Europawahlergebnisse in Erinnerung rufen, dann sehen wir: Vor allem in den ostdeutschen Ländern haben wir ganz starke Lobbygruppen und Wählergruppen für die AfD gehabt. Und wir haben eher im Westen der Republik eben diese vielen grünen Farbkleckse, und das bewegt natürlich auch die Union. Also das Thema der sogenannten Werte-Union, dieses konservativen Vereins und vor allem auch zum Beispiel von Herrn Maaßen ist, das Argument ist: Wir können es mit der AfD aufnehmen, vor allem jetzt bei den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und in Sachsen und dann in Thüringen, wir können es mit der AfD aufnehmen, aber nur mit anderem Personal, so die Ansage der Werte-Union, und nur mit deutlich konservativeren Inhalten.
Armbrüster: Und wäre dann da auch vorstellbar, dass man im Notfall auch mit der AfD eine Koalition eingeht?
Münch: Na ja, vor dieser Frage steht ja dann mal nicht nur der eher rechte Teil der Union, vor dieser Frage stehen vermutlich ab 2. September … Es hängt natürlich davon ab, klar, wie die AfD abschneidet, aber falls sie tatsächlich so stark abschneiden sollte, die AfD, wie es im Augenblick in den Umfragen erscheint, dann steht ja die CDU/CSU insgesamt vor dieser Frage: Wie halten wir es mit der AfD? Schmieden wir Bündnisse, womöglich Vierer-Koalitionen gegen eine AfD und stärken diese damit indirekt? Grenzen wir uns also weiterhin … versuchen wir uns weiterhin, ganz stark abzugrenzen? Oder ist man unter Umständen bereit zu einer Duldung, womöglich zu einer Minderheitsregierung, zu irgendwelchen Formen der Zusammenarbeit? Das wird die CDU in ganz massive Bedrängnis bringen. Und das sehen wir im Grunde jetzt schon. Also diese Diskussion, die Herr Maaßen da anführt, der ja auch bei Ihnen im Deutschlandfunk gesagt hat, na ja, er sehe im Augenblick keine Koalition, aber er möchte es auch nicht völlig ausschließen – es ist ja auch schwierig auszuschließen in Sachsen und in Brandenburg, wenn tatsächlich sich diese Umfrageergebnisse bestätigen sollten.
"Nicht völlig undenkbar, mit der AfD ein Bündnis einzugehen"
Armbrüster: Wie sehen Sie denn da mit Ihrer Expertise die Warte oder die Einschätzungen oder vielmehr die Bereitschaft in der CDU, solche Bündnisse einzugehen? Könnten Sie sich so etwas sozusagen vor Ablauf dieses Jahres in einem oder in zwei dieser ostdeutschen Bundesländer noch vorstellen, oder ist das nach jetzigem Stand unwahrscheinlich?
Münch: Also ich höre aus Kreisen der sächsischen CDU heraus, wenn ich mit den Leuten spreche und mit CDU-Vertretern aus Sachsen spreche, dann höre ich heraus, dass man das nicht für völlig undenkbar hält, mit der AfD in irgendeiner Form ein Bündnis einzugehen, und zwar mit dem Argument, na ja, so weit sei doch die AfD in Sachsen gar nicht von der CDU entfernt. Das seien doch zum größeren Teil ohnehin frühere CDU-Mitglieder, zum Teil sogar frühere CDU-Funktionäre. Und wenn die sich nicht so extrem gebärden, das seien nur Wenige, dann seien die doch eigentlich gar nicht so weit von den Positionen weg. Und das Argument kommt dann auch immer, dass man im Westen der Republik schwer nachvollziehen kann, dass die AfD inzwischen in Sachsen eigentlich ein ganz normaler Teil der Gesellschaft fast schon sei. Und damit habe man Schwierigkeiten, so die sächsische CDU, umzugehen, da helfe Abgrenzen nicht mehr. Also es ist eine völlig andere Position als in den westlichen Ländern und in den westlichen CDU-Verbänden.
Armbrüster: Und was haben Sie für einen Eindruck, wie kriegt die Parteivorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, wie kriegt die diesen Spagat hin zwischen Ost- und Westansichten über die AfD?
Münch: Also egal, wer CDU-Vorsitzender ist, das ist irrwitzig schwierig, muss ich ganz ehrlich sagen. Also da beneide ich niemanden. Und ob das jetzt Frau Kramp-Karrenbauer ist oder irgendwelche Blütenträume geträumt werden, dass das womöglich dann auch irgendwann mal jemand anderer ist, das hat Potenzial, eine Partei zu zerreißen. Und das ist die Kunst, dann wieder im Grunde das hervorzuheben, was die Union ausmacht, eine Union zu sein, Verschiedenes zu sein. Aber gerade dieses Thema Abgrenzung, weil wenn man einmal diesen Schritt gehen würde mit der AfD, die zu tolerieren, womöglich sogar mit ihr eine Koalition einzugehen, dann können ja die westlichen Landesverbände und auch die CSU ihren Abgrenzungskurs nicht mehr fahren. Dann geht ganz viel verloren von den letzten zwei Jahren der Positionierung der Union. Also das kann die Partei meines Erachtens durchaus in ganz große Verwerfungen stürzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.