Donnerstag, 18. April 2024

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Koalitionsstreit um Verfassungsschutzchef
"Maaßen hat hohe Kompetenzwerte"

CDU-Politiker Carsten Linnemann hält den neuen Kompromiss der Großen Koalition zur Zukunft von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen für richtig. Er habe Verständnis dafür, dass Innenminister Horst Seehofer nicht auf Maaßens Expertise verzichten wolle, sagte er im Dlf.

Carsten Linnemann im Gespräch mit Ann-Katrin Büüsker | 24.09.2018
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) Carsten Linnemann spricht am 13.11.2015 auf der MIT-Tagung in Dresden (Sachsen).
    Der stellvertretende Fraktionsvorsitzenden der Union, Carsten Linnemann. (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    Ann-Kathrin Büüsker: Entscheidend wird jetzt mit Blick auf diese Einigung sein, wie das in den Parteien ankommt, nicht nur an der Basis, sondern auch in den Fraktionen. Da kann ich direkt nachfragen beim stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union, bei Carsten Linnemann (CDU). Guten Morgen.
    Carsten Linnemann: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Linnemann, auf einer Skala von eins bis zehn, wie zufrieden sind Sie mit der Einigung?
    Linnemann: Fünf, weil diese Einigung nichts wert ist, wenn wir in der nächsten Woche wieder einen Streit oder in der übernächsten Woche einen Streit erleben. Ich glaube, dass diese Personalie, diese Causa Maaßen in drei, vier Tagen kein Thema mehr sein wird, sondern es wird sich um die Frage drehen, streiten die jetzt weiter, oder haben die endlich verstanden.
    "Richtig, dass es keine Beförderung gibt"
    Büüsker: Auf das weiter streiten oder vielleicht auch nicht weiter streiten gucken wir gleich noch. Ich möchte noch bei der Causa Maaßen bleiben, weil das, glaube ich, viele Hörerinnen und Hörer jetzt gerade doch sehr interessiert. Mich bewegt die Frage, was sich eigentlich ändert, wenn Maaßen jetzt Sonderberater statt Staatssekretär wird?
    Linnemann: Wissen Sie, da gibt es einen Bundesminister und der schätzt Herrn Maaßen, und nicht nur er. Wenn Sie sich in den Sicherheitskreisen umhören, hat Herr Maaßen sehr, sehr hohe Kompetenzwerte. Deswegen finde ich es völlig legitim, dass Herr Seehofer sagt, so einen Berater brauche ich weiterhin. Und ich finde es genauso wie Herr Seehofer absurd, ihn in die rechte Ecke zu schieben. Insofern finde ich diese Regelung gut und richtig und ich finde es auch richtig, dass es keine Beförderung gibt. Das hat natürlich keiner mehr verstanden. Es ging um Halten oder Absetzen. Hinterher gab es eine Beförderung. Es hat mir kürzlich erst noch ein Taxifahrer gesagt, der verdient so viel mehr, wie ich noch nicht einmal brutto im Monat habe. Da haben die Leute das Gefühl, die verlieren die Bodenhaftung, und deswegen kann ich jetzt mit dieser Lösung – zumindest spreche ich vielleicht für viele Abgeordnete meiner Fraktion – gut leben.
    Büüsker: Aber er bekommt ja im Prinzip nur ein anderes Etikett als vorher und ein bisschen weniger Geld. Aber veräppelt man damit nicht eigentlich alle?
    Linnemann: Das glaube ich nicht, weil ich erlebe das ja auch bei mir oder bei anderen Kolleginnen und Kollegen. Sie brauchen gute Berater in Ihrem Umkreis. Sie haben natürlich viele Mitarbeiter, aber wenn Sie so jemanden haben wie Herrn Maaßen, der so eine Erfahrung mitbringt – ich habe vollstes Verständnis, wenn Herr Seehofer sagt, darauf kann ich nicht verzichten, zumal er wirklich – es ist eine Lappalie. Ich habe viel Kritik für diese Formulierungen gefunden, aber wir haben andere Probleme in Deutschland, als uns jeden Tag mit dieser Causa zu beschäftigen. Er hat eine Aussage getätigt, ja, aber ihn in die rechte Ecke zu stellen, halte ich für absurd.
    "Nicht mit Ruhm bekleckert"
    Büüsker: Sie betonen jetzt, dass Hans-Georg Maaßen viel Erfahrung mitbringt. Nichts desto trotz gibt es ja auch Teile der CDU und vor allem auch große Teile der SPD, die schlichtweg das Vertrauen zu ihm verloren haben. Kann man so einen denn weiterhin im Kreise der Bundesregierung beschäftigen?
    Linnemann: Der Chef von Herrn Maaßen als Behördenleiter, der Herr Maaßen war, ist Herr Seehofer, und der hat das zu entscheiden. Deswegen hätte man erst gar nicht diese Personalie hochziehen dürfen - das müssen Sie sich mal vorstellen – zu einem Koalitionsstreit. Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern, mitten in Europa. Wir brauchen Antworten auf Macron und so weiter, diskutieren seit Tagen über diese Personalie. Der Chef von Herrn Maaßen ist Herr Seehofer und der hat das zu entscheiden.
    Büüsker: Aber Herr Seehofer hat damit ja letztlich auch den Koalitionspartner brüskiert, indem er, obwohl die SPD ihm das Vertrauen entzogen hat, Maaßen in sein Ministerium geholt hat, dafür sogar den einzigen SPD-Staatssekretär vor die Tür setzen wollte, der zuständig ist für Bauen und Wohnen – ein Thema, was der SPD gerade sehr wichtig ist. Hat Seehofer nicht auch eine Mitschuld an diesem Streit, weil er ganz gezielt den Koalitionspartner und auch die Kanzlerin brüskiert hat?
    Linnemann: Eins nach dem anderen. Es war die SPD, die diese Personalie hochgezogen hat. Und als sie oben war – da haben Sie recht, Frau Büüsker -, da haben sich alle drei Parteivorsitzenden nicht mit Ruhm bekleckert, um es mal ganz gelinde zu sagen. Es haben alle diese Einigung erzielt und sie haben das alle zu verantworten. Und deshalb, weil die Einigung nicht konsensfähig, nicht nur bei uns in der Fraktion, sondern auch in der Bevölkerung – ich bin gestern aus dem Wahlkreis gekommen. Die Leute schütteln nicht mehr nur mit dem Kopf, sondern sie resignieren. Deshalb muss endlich Schluss sein mit diesen Streitigkeiten.
    "Wenn wir uns weiter streiten, sind wir auf dem Weg nach Italien"
    Büüsker: Und was genau stört die Leute so?
    Linnemann: Wir haben jetzt ein Jahr herum seit der Bundestagswahl. Ein halbes Jahr Koalitionsverhandlungen, dann gab es den Streit innerhalb der Union, nach dem Sommer hat man gehofft, es wird besser, jetzt gibt es wieder einen Streit wegen einer Personalie – muss man sich mal vorstellen. Wir haben viel erreicht, auch schon, wenn es die einen oder anderen nicht mitbekommen haben, im Kita-Paket fünf Milliarden, in Bildung, Digitalisierung. Wir reden jetzt endlich über ein Einwanderungsgesetz.
    Büüsker: Jetzt reden Sie aber über die positiven Dinge. Ich hatte ja gefragt, was die Leute stört.
    Linnemann: Weil wir gar nicht diese positiven Dinge an den Mann und an die Frau bringen können. Die Leute stören sich, dass wir uns hier streiten. Wir sind in einer Zeit, wo es uns vergleichsweise gut geht, und streiten uns nur, anstatt sich jetzt die Frage zu stellen, was müssen wir jetzt machen, damit es uns morgen und übermorgen noch gut geht. Die AfD braucht ja gar nichts mehr machen. Wenn wir uns weiter streiten, sind wir auf dem Weg nach Italien. Italien hat es doch vorgemacht, was passiert, wenn die demokratischen Parteien sich nicht zusammenreißen und einen vernünftigen Weg gehen. Erst war Berlusconi, Mitte-Rechts, dann Renzi, Mitte-Links, und jetzt haben wir noch Populisten und Radikale. Wir müssen uns in 10, 15 Jahren dafür verantworten und deswegen haben auch die Bundestagsabgeordneten ein ganz großes Interesse daran, dass wir jetzt endlich vorangehen, die Probleme angehen und endlich mal Ziele vorgeben, Visionen, wo will dieses Land hin, wie reagieren wir auf die großen Themen, wie funktioniert Integration, Außengrenzenschutz, politischer Islam bekämpfen, Bildung, Infrastruktur. Das muss jetzt passieren.
    Büüsker: Herr Linnemann, Sie reden sich jetzt hier ein bisschen in Rage und formulieren ganz klare Forderungen. Aber formuliert das innerhalb Ihrer Fraktion auch jemand ganz so klar gegenüber der Kanzlerin?
    Linnemann: Das wird nicht nur in der Fraktion, sondern auch im Bundesvorstand besprochen. Aber es geht hier nicht nur um die Kanzlerin. Ich finde, alle drei Parteichefs saßen da am Tisch und es sind alle in der Verantwortung, jetzt – ich sage es mal ganz deutlich – einen neuen Arbeitsmodus zu finden, dass man sagt, ja, es gibt auch Streit wie in jeder Familie, aber das regelt man intern und dann geht man mit einer Stimme nach draußen. So kann es jedenfalls nicht weitergehen.
    Parteivorsitzenden sind in der Pflicht
    Büüsker: Wie reagiert aber die Kanzlerin auf diese Forderung aus Ihrer Fraktion?
    Linnemann: Ich bin der festen Überzeugung, und Frau Kramp-Karrenbauer hat ja auch Formulierungen gewählt, dass sie sieht, so kann es nicht weitergehen, und auch die Kanzlerin weiß, dass man sich da nicht mit Ruhm bekleckert hat, weil alle drei ja am Tisch saßen. Deswegen sind auch alle drei Parteivorsitzenden in der Pflicht, genauso wie die Fraktion, genauso auch wie die Partei. Aber es auf eine Person abzuzielen, ist natürlich falsch.
    Büüsker: Warum hat sich denn aber diese eine Person, die Bundeskanzlerin gestern zum Beispiel nicht geäußert?
    Linnemann: Die haben sich alle drei geäußert, oder, soweit ich weiß.
    Büüsker: Frau Merkel ist gestern nicht vor die Presse getreten.
    Linnemann: Da müssen Sie Frau Merkel fragen. Ich habe nur das Ergebnis zur Kenntnis genommen, war gestern Abend bei "Berlin direkt". Da hat man mir das Ergebnis erklärt und dann habe ich das kommentiert. Aber es muss jetzt nicht immer jeder vor die Presse gehen. Da müssen Sie die Bundeskanzlerin fragen. Da bin ich der falsche.
    "Die Große Koalition ist handlungsfähig. Aber es ist kurz vor zwölf"
    Büüsker: Aber die Bundeskanzlerin zeigt sich in der letzten Zeit ja doch gefühlt nicht so richtig häufig, auch mit klaren Statements. Auch nach Chemnitz hat man wenig von ihr gehört. Sie ist auch selbst nicht nach Chemnitz gefahren. Jetzt auch in dieser ganzen Regierungsstreitigkeit, da hätte sie ja auch mal ein Machtwort sprechen können und zum Beispiel einen Seehofer ein bisschen zur Räson rufen können. Warum macht sie das denn nicht?
    Linnemann: Noch mal, Frau Büüsker. Die SPD hat dieses Thema hochgezogen. Und Sie haben natürlich recht: Es kommt auf Führungsverantwortung an, aber von allen drei Parteivorsitzenden. Ich mache es mir jetzt nicht so leicht. Frau Nahles hätte diese Lappalie – Entschuldigung, für mich ist es eine im Vergleich zu den anderen großen Themen – nicht hochziehen dürfen. Dann war es zu spät.
    Aber noch mal: Natürlich bedarf es Führungsverantwortung, nicht nur von den Parteivorsitzenden, auch von allen anderen Verantwortlichen in der Politik.
    Büüsker: Ist die Große Koalition im Moment überhaupt noch handlungsfähig?
    Linnemann: Die Große Koalition ist handlungsfähig. Aber es ist kurz vor zwölf, einige sagen kurz nach zwölf. Man muss die Uhr schon zurückstellen. Wenn die Große Koalition, auch die Bundesregierung – das sage ich ganz deutlich – keinen neuen Arbeitsmodus findet, wird diese Koalition nicht drei Jahre halten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.