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Kölner Polizeieinsatz
"Es geht um Gefahren"

Wenn ein Polizist erkenne, dass Gefahr drohe, sei er berechtigt, einzuschreiten, sagte Kriminalhauptkommissar Rüdiger Thust im DLF. Dabei gehe die Polizei nicht von einer Ethnie aus, sondern vom Verhalten der Personen. "Nafri" sei ein interner Begriff für Straftäter aus bestimmten Regionen. Es gehe dabei nicht um Diskriminierung.

Rüdiger Thust im Gespräch mit Ute Meyer |
    Polizisten umringen in der Silvesternacht vor dem Hauptbahnhof in Köln eine Gruppe südländisch aussehender Männer.
    Die Polizei war in der Kölner Innenstadt in der Silvesternacht mit 1.700 Beamten im Einsatz. (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Ute Meyer: Über den Polizeieinsatz der Kölner Silvesternacht vor zwei Tagen möchte ich sprechen mit Kriminalhauptkommissar Rüdiger Thust. Er ist beim Bund Deutscher Kriminalbeamter der Vorsitzende des Bezirksverbandes Köln und jetzt bei mir im Studio. Herr Thust, schön, dass Sie zu uns gekommen sind, hallo!
    Rüdiger Thust: Gerne, schönen guten Abend!
    Meyer: Die Kölner Polizei hat für ihren Einsatz am Kölner Hauptbahnhof zu Silvester überwiegend Lob bekommen, aber es gibt eben auch die kritischen Stimmen, die sagen: Es geht nicht, dass Menschen nur wegen ihres Aussehens kontrolliert werden, weil sie nordafrikanisch aussehen. Das sei Racial Profiling und in Deutschland verboten. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
    "Im Nachhinein findet man jetzt wieder ein Haar in der Suppe"
    Thust: Nein, die kann ich nicht nachvollziehen, weil man damit unterstellt, die Polizei hätte genau so gearbeitet, und das aus der weiten, weiten Ferne. Weil, die Mindermeinungen, die jetzt hochkommen, sie stehen, glaube ich, einer Vielzahl von positiven Rückmeldungen gegenüber, die die Kölner Polizei bekommen hat, die ja nun ein schweres Jahr hinter sich hat, die nach der letzten Silvesternacht gescholten worden ist, auch zu Recht sicherlich gescholten worden ist ob des zögerlichen oder Nicht-Einschreitens. Und jetzt hat man sich über viele, viele Monate auf diesen Einsatz vorbereitet und im Nachhinein findet man jetzt wieder ein Haar in der Suppe. Da fehlt mir schon eine Spur weit das Verständnis dafür.
    Meyer: Aber die Polizei befindet sich ja, so scheint es mir, auch in einem Dilemma. Es gibt einen ganz wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz, dass niemand wegen seiner Hautfarbe, seines Aussehens, seiner Herkunft diskriminiert werden soll, und nun gibt es diese Sachlage, es waren vor allem nordafrikanische Täter. Wie geht die Polizei mit diesem Spannungsverhältnis um?
    Thust: Sehr sorgfältig, indem man einfach eben nicht sagt: Oh, da kommt jemand, der schaut aus, als käme er aus Nordafrika, den kontrollieren wir jetzt mal. Das wäre in der Tat nicht zulässig, sondern man schaut: Wo sind Gruppierungen, die sich so benehmen beispielsweise wie in der letzten Silvesternacht, rotten sich in Kleingruppen zusammen, benehmen sich auffällig, sodass man das Gespür haben kann, da entwickelt sich etwas. Man beobachtet das und die …
    "Die Leute nicht einsperren, sondern kontrollieren"
    Meyer: Entschuldigung, das war bei allen 650 jungen Männern, die da eingekesselt worden sind, wirklich so der Fall, die waren alle aggressiv?
    Thust: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht unmittelbar daneben gestanden habe. Aber ich unterstelle den eingesetzten Polizeibeamten, dass sie sehr sorgfältig gearbeitet haben. Und wenn sie das Gefühl gehabt haben, da entwickelt sich aus mehreren Kleingruppen beispielsweise – nur mal, um das vorzuspielen, den Faden aufzunehmen – eine Großgruppe, wie es ja auch im vergangenen Jahr der Fall war, dass sich mehrere Kleingruppen zu Großgruppen entwickelt haben und, und, und, dann, glaube ich, macht es Sinn, hinzuschauen und die Leute dann ja nicht einzusperren, sondern zu kontrollieren.
    Meyer: Welche Richtlinien gibt es denn im Polizeirecht, beim Kampf gegen Verbrecher nicht deutscher Herkunft? Wann ist es zulässig, die ethnische Zugehörigkeit und das Aussehen von Verdächtigen zu thematisieren und zu berücksichtigen?
    Thust: Gar nicht.
    Meyer: Gar nicht?
    Thust: Gar nicht. Das Gesetz spricht überhaupt nicht von Ethnien, von Herkunft, von Rasse, sondern es geht um Gefahren …
    Meyer: Aber in diesem Fall war ja genau dieser Fall gegeben, Nordafrikaner waren im Visier aufgrund der Vorgeschichte. Da muss es doch irgendwelche Richtlinien geben, in welchem Maß und, bei welchen Gelegenheiten man das macht?
    Thust: Nein. Nein, das Polizeigesetz unterscheidet dort nicht, sondern spricht von Gefahrenlagen. Wenn der Polizist durch Sachverhalte welcher Art auch immer erkennt, hier droht eine Gefahr, ist er berechtigt, einzuschreiten. Deshalb mein Eingangsstatement: Man sieht eine Gruppierung, man schaut sich diese Gruppierung an, beobachtet sie eine Weile und sieht: Hm, ist das in Ordnung, sind das Leute, die feiern gehen wollen, oder benehmen die sich beispielsweise so wie im vergangenen Jahr? Sind das Muster, Verhaltensmuster, die darauf hindeuten, hier könnte sich irgendetwas entwickeln? Und dann schreite ich ein, losgelöst von der Herkunft. Das können im Einzel…
    Meyer: Und diese 650 Männer, die festgesetzt wurden, sind also demnach wirklich nur aufgrund ihres Verhaltens und nicht aufgrund ihres Aussehens festgenommen worden?
    Thust: Das sind meine Erkenntnisse, die ich habe, und ich habe keinen Zweifel daran, dass die Polizeiführung vor Ort genau diese Entscheidung auch getroffen hat, indem sie gesagt hat: Wenn ihr der Meinung seid, da entwickelt sich dieses oder jenes und das lässt sich so belegen, dann haben wir auch das Recht zum Einschreiten.
    "Internes Projekt mit dem Namen 'Nafri'"
    Meyer: Ich möchte mit Ihnen noch über die Verwendung des Ausdrucks "Nafri" in der Polizei zu sprechen kommen, auch sehr umstritten, ein Kürzel für "Nordafrikaner" beziehungsweise "nordafrikanische Intensivtäter". Das Kürzel ist über Twitter in der Silvesternacht an die Öffentlichkeit gelangt, der Polizeipräsident von Köln hat schon gesagt, dass er darüber nicht glücklich sei, da es auch ein interner Ausdruck sei, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Zunächst einfach mal die Frage: Bedeutet "Nafri" nun einfach "Nordafrikaner" oder "nordafrikanischer Intensivtäter"?
    Thust: Also, man muss dazu sagen, dass sich die Kölner Polizei seit einigen Jahren mit Straftätern intensiver beschäftigt, die aus bestimmten Regionen kommen. Das sind jetzt nicht Otto Normalverbraucher, das sind keine Asylanten, das sind keine Flüchtlinge, sondern das sind Straftäter gewesen, die hier Wohnungseinbrüche begangen haben, den sogenannten Antänzertrick, die Trickdiebstähle begangen haben, Fahrzeugaufbrüche begangen haben und, und, und, die hat man näher ins Visier genommen, um mal festzustellen: Gibt es da Gemeinsamkeiten? Warum ist eine solche Gruppierung so problembehaftet? – Und hat diesem internen Projekt einfach den Namen "Nafri" gegeben. Das bedeutet nicht, man schaut sich dort eine Landsmannschaft an, sondern man schaut sich Täter an. Wenn jetzt in einer Pressemitteilung, in einem Tweet da dieser Name "Nafri" auftaucht, dann ist das sicherlich … ich will jetzt nichts Falsches sagen, aber vielleicht nicht die richtige Formulierung. Man hätte vielleicht schreiben so…
    "Höchste Wachsamkeit bei Hinweis auf nordafrikanische Straftäter"
    Meyer: Das ist eine Vorverurteilung.
    Thust: Ja, wenn man besonders sensibel ist, kann man das vielleicht so sehen, dann muss man aber um die gesamten Hintergründe wissen. Man hätte auch sagen können: Dort am Bahnhof halten sich vermutlich Nafris auf. Dann wäre es vielleicht von der Wortwahl her geschmeidiger gewesen, hätte der eine oder andere vielleicht keine Bauchschmerzen bekommen. Man kann in alles etwas reininterpretieren und von Vorverurteilung oder Diskriminierung reden. Ich persönlich sehe das nicht so und stehe da auch ausdrücklich zu, das ist für die Kollegen auch – und auch das ist heute noch mal betont worden – teilweise ein Hinweis auf den Eigenschutz.
    Wenn ich sage, dort ist eine Gruppierung, die könnte aus diesem Spektrum stammen, die schauen wir uns mal etwas intensiver an, bedeutet das für Polizisten, zumindest in Köln, die diese negativen Erfahrungen gesammelt haben: Attention please! Weil, Straftäter, die wir aus dem Bereich versuchen festzunehmen, nehmen wir nicht mehr so fest wie vor vielen Jahren und sagen: Guten Tag, Ihre Kölner Polizei, weisen Sie sich mal aus, Sie sind festgenommen. Da können Sie gar nicht so schnell gucken, wie Sie eine Faust im Gesicht haben – egal ob Sie Männlein oder Weiblein sind! Das heißt, der Hinweis auf nordafrikanische Straftäter bedeutet für einen Polizeibeamten auch immer höchste Wachsamkeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.