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Kohleausstieg
Warnung vor Preissteigerung "nicht nachvollziehbar"

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt vor steigenden Energiekosten, sollte Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen. Die vorgelegten Zahlen seien jedoch überhöht, sagte Patrick Graichen vom Think Tank Agora Energiewende im Dlf.

Patrick Graichen im Gespräch mit Britta Fecke | 24.01.2019
    Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG in Jänschwalde, daneben steht eine Windenergieanlage (Aufnahme von 2015)
    Bei weiterem Ausbau erneuerbarer Energien und der Stromnetze bleibe der Preisanstieg für Energie laut Patrick Graichen moderat (Patrick Pleul / dpa-Zentralbild, dpa picture alliance)
    Britta Fecke: Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie will Deutschland mit Blick auf die schwer zu erreichenden Klimaziele auch aus der Verstromung der Kohle aussteigen. Mit Blick auf die geringe Energieausbeute bei hohem CO2-Ausstoß sind da vor allem die Braunkohle-Kraftwerke im Fokus. Vor der möglicherweise entscheidenden Sitzung der Kohlekommission morgen, wo das 28-köpfige Gremium aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Umweltschutz die Details für den Ausstieg vorlegen will, hat sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schon im Vorfeld mit der Forderung nach Milliarden-Zuschüssen gemeldet und warnt vor stark steigenden Strompreisen.
    Diese Forderung würde ich gerne einordnen mit Patrick Graichen. Er ist Leiter des Energiewende-Think Tanks Agora in Berlin.
    "Der Wert ist hingerechnet worden"
    Herr Graichen, der BDI, gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, dem DIHK, gibt in seiner jüngsten Studie an, dass der, wie sie sagen, politisch beschleunigte Ausstieg aus der Kohleverstromung zu Mehrkosten von 14 bis 54 Milliarden Euro führen werde bis zum Jahr 2030. Sind diese Zahlen, dieses Zahlenspektrum, möchte ich es mal fast nennen, für Sie nachvollziehbar?
    Patrick Graichen: Nein, in keiner Weise. Der obere Wert, der da in den Raum gestellt wird, 50 Milliarden Euro, der ist, wenn man sich diese Studie genau anguckt, extrem hingerechnet worden. Das ist ein klassisches Auftragsgutachten, um hohe Zahlen zu produzieren.
    Fecke: Es gibt ein anderes Gutachten. Das ist gerade mal ein Jahr alt. Das wurde letztes Jahr im Januar vom BDI vorgestellt. Darin wurde noch gesagt: "Bei optimaler politischer Umsetzung wären die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der betrachteten Klimapfade dennoch neutral (‚schwarze Null‘) im betrachteten 28-Prozent-Klimapfad". Wieso kommen die denn jetzt plötzlich zu so ganz anderen Zahlen?
    Graichen: Es ist immer die Frage, welche Annahmen man reinsteckt in so ein Modell. Sie haben jetzt hier, wenn man sich diese Studie anguckt, ein Risikoszenario zusammengebastelt und in diesem Risikoszenario werden auf einmal die Gaspreise in Europa ganz teuer. Und weil die Gaspreise nach oben gehen und die Erneuerbaren nicht richtig ausgebaut werden, schießt dann der Börsenstrompreis in diesem Modell in die Höhe, und dann kommt man zu so hohen Zahlen.
    Das Gutachten vor einem Jahr hat da realistischere Annahmen gemacht. Wir haben da auch verschiedene Studien zu gemacht. Alle bewegen sich in einer Größenordnung, drei, vier, maximal fünf Euro die Megawattstunde erhöht sich der Strompreis. Und das kann sogar dann noch gegenkompensiert werden, wenn man mehr Erneuerbare baut. Insofern: Das ist jetzt natürlich kurz vor der entscheidenden Kohlekommissions-Sitzung ein klassisches Papier, um da möglichst viel rauszuhandeln. Das hat jetzt nicht so viel Substanz.
    Netzausbau und regulatorische Änderungen nötig
    Fecke: Deutschland produziert ja teilweise so viel Strom, dass wir exportieren. Wir könnten, wenn wir genug Speichermedien hätten, ja auch allein von Wind und Sonne leben. Wie steht es denn um den Netzausbau, der immer wieder genannt wird?
    Graichen: Ja, das ist eine große Baustelle, und das ist auch völlig richtig, dass hier auf die Tube gedrückt wird und dass die Kommission das anmahnt. Wir brauchen Gleichstrom-Übertragungstrassen, die den Windstrom von Nord nach Süd bringen. Da geht es jetzt darum, Planungsbeschleunigungen hinzukriegen, dass die bis 2030 auch tatsächlich stehen. In der Zwischenzeit kann man durch das Bestandsnetz auch mehr Strom transportieren. Dazu sind ein paar technische Änderungen, aber auch regulatorischer Art notwendig. Mit diesem Zweiklang kann man das hinkriegen bis 2030.
    Fecke: Die Kohlekommission gab an, dass private Stromkunden und auch die Unternehmen vor den stark steigenden Strompreisen geschützt werden sollen. Was wäre denn da sinnvoll? Wie könnte man das machen? Über die Netzentgelte nur?
    Graichen: Was richtig ist, ist, dass die energieintensive Industrie in Deutschland weiterhin auch Befreiung bei den Abgaben und Umlagen braucht, um international wettbewerbsfähig zu sein. Insofern ist das Anliegen, dass diese Abgaben- und Umlagenbefreiung, die wir jetzt haben, auch über 2020 hinaus gesichert werden, berechtigt und das ist sicherlich sinnvoll. Bei den Privathaushalten, da ist es so, dass die Strompreisbelastung hoch ist und da der Staat gefragt ist, einmal Kosten rauszunehmen. Zum Beispiel die Stromsteuer hat sich überlebt. Mit diesen beiden Elementen, glaube ich, kann man die Kostenseite sowohl bei privaten Haushalten als auch bei der Industrie gut abfedern.
    "Energiekosten sind für die meisten Betriebe absolutes Randthema"
    Fecke: Wie sieht es da aus für Handwerker?
    Graichen: Wenn Sie sich das genauer angucken, dann ist für die allermeisten der Energiekostenanteil ein, maximal zwei Prozent ihrer Gesamtkosten. Das heißt, für einen Handwerker oder auch für einen kleinen, mittelständischen Betrieb, auch für die Automobilindustrie ist viel entscheidender, wie sind die allgemeinen Rahmenbedingungen, wie geht es weiter beim Thema Sozialversicherung, wie geht es weiter beim Thema Beschäftigung und Qualifikation der Arbeitnehmer. Diese Energiekosten-Debatte ist eigentlich für die allermeisten ein absolutes Randthema.
    Fecke: Ich sprach mit Patrick Graichen, Leiter des Energiewende-Think Tanks Agora, über die Forderung des BDI, den schnellen Kohleausstieg doch mit Milliarden-Zuschüssen zu stützen. Vielen Dank dafür.
    Graichen: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.