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Kohlefasern aus dem Rauchfang

Physik. - Röhren sind äußerst stabil - auch wenn sie nahezu unsichtbar klein sind. So genannte Nanotubes aus Kohlenstoff sollen daher mit ihrer Diamant gleichen Härte Verbundstoffen zu besonderer Festigkeit bei geringem Gewicht verhelfen.

Von Frank Grotelüschen |
    "Wir haben es mit einem sehr, sehr kleinen, schmalen und dünnen Ding zu tun. Es ist enorm stabil und steif. Und es zeigt höchst interessante, elektrische Eigenschaften."

    Das kleine, schmale, dünne Ding, das Alan Windle von der Universität Cambridge so fasziniert, ist ein winziges Röhrchen aus purem Kohlenstoff – ein Nanotube. Von dem Umstand, dass der Winzling hervorragend Strom leitet, machen die Experten schon heute Gebrauch: Mit einer Prise Nanotubes werden Kunststoffe, von Haus aus ausgesprochene Isolatoren, elektrisch leitend.

    "Wir können mit einer ganz geringen Menge – etwa 0,002 Gewichtsprozent an Kohlenstoff-Nanotubes – schon elektrische Leitfähigkeit erzielen."

    ...sagt Karl Schulte vom Arbeitsbereich PolymerComposites der Technischen Universität Hamburg-Harburg anlässlich der 1. Internationalen Tagung zur Nanotechnologie in Kunststoffen. Bereits jetzt beschichtet die Industrie Kraftstoffleitungen mit diesen leitenden Kunststoffen. Die nämlich verhindern elektrostatische Aufladungen – und damit gefährlichen Funkenschlag. Künftig könnten Synthetikfasern, mit Nanoröhrchen gespickt, in antistatischen Teppichböden Dienst tun. Eine weitere Vision: Eines Tages sollen Nanotubes die heutigen Kohlefaser-Verbundwerkstoffe ersetzen. Das sind Kunststoffe, die mit Fasern aus Grafit verstärkt sind. Sie sind viel leichter als Stahl, aber sehr stabil und bruchfest. Einsatz finden sie im Flugzeugbau, in Segelyachten und der Formel 1. Das Problem:

    "Ein großer Nachteil der Kohlfasern sind die Kosten. Könnte man sie zu einem Drittel des heutigen Preises herstellen, wäre das natürlich ein gewaltiger Unterschied. "

    Die Fabrikation von Kohlefaser ist ein komplexer, mehrstufiger Prozess. Alan Windle bastelt nun an einem Verfahren, mit dem sich Fasern nicht aus Graphit, sondern aus Nanoröhrchen fertigen lassen – und zwar kostengünstig in einem einzigen Prozessschritt. Das Rezept:

    "Als Ausgangsmaterial nehme man einen Kohlenwasserstoff – das kann Diesel sein. Dazu gebe man etwas Eisen als Katalysator. Dann heize man das Ganze in einem Schmelzofen auf, und in dem Rauch, der sich bildet, entstehen lange Kohlenstoffröhrchen. Sie klumpen aneinander und wachsen zu einer langen Faser. "

    Das mit dem Verklumpen läuft in etwa so wie ein missglückter Spaghetti-Kochversuch. Wirft man ein Päckchen Spaghetti in heißes Wasser, rührt dann aber nicht um, backen die Nudeln zusammen zu einem klebrigen Klotz. Bei den Nanoröhrchen ist dieses Verklumpen ausdrücklich erwünscht. Denn durchs Verklumpen entsteht eine lange, reißfeste Faser. Alan Windle braucht nur noch eine Art Spindel in den Rauch zu halten und die Nanofaser wie ein Garn aufzuwickeln.

    "Wir haben etwa eine Stunde lang gewickelt. Der Faden, der dabei entstand, war einige hundert Meter lang."

    Die Hoffnung: Ein Verbundmaterial mit solchen Nanofäden könnte billiger und stabiler sein als die heutigen Kohlefaserwerkstoffe. Doch noch ist einiges an Laborarbeit zu tun: So wollen die Forscher die Nanotubes chemisch verändern, um sie möglichst gut an den Kunststoff, in den sie eingelagert sind, zu binden. Karl Schulte:

    "Die Forschung auf dem Gebiet der Nanoverstärkung hat jetzt so gerade eben die Kinderschuhe verlassen. Die nächsten Schritte sind dann, näher an eine Anwendung zu kommen und diese nanoverstärkten Werkstoffe zuzuschneiden auf die verschiedenen möglichen Anwendungsfelder."
    Mögliche Anwendungen, das wären zum Beispiel Rumpf und Flügel von Passagierflugzeugen. Und manch ein Visionär träumt sogar schon davon, die Nanofäden zu Seilen zu verdrillen – Seile so stark, dass sie Brücken halten oder Satelliten ins All ziehen könnten.