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Kolumne
Twitter nutzen, aber richtig

Viele Politiker kehren Twitter den Rücken zu und kritisieren dabei die Diskussionskultur auf der Plattform. Wer Twitter richtig benutzt, kann allerdings auch davon profitieren, findet unsere Kolumnistin Marina Weisband.

Von Marina Weisband | 28.09.2022
Ein Hand hält ein Smartphone auf dessen Bildschirm das Twitter-Symbol zu sehen ist, das auch im Hintergrund erscheint
Viele Politiker verabschieden sich gerade von Twitter - warum es wichtig ist, die Plattform richtig zu nutzen (Associated Press | Gregory Bull)
Kevin Kühnert hat Twitter verlassen, ebenso wie Robert Habeck. Von Jens Spahn gab es das Gerücht, aber nein, er ist nicht weg, sein Team twittert weiter. Irgendwie müssen wir als Gesellschaft kollektiv entschieden haben, dass es Nachrichtenwert hat, wer sich gerade auf Twitter rumtreibt – und wer nicht.
Als eine der ersten Politikerinnen, die auf Twitter aktiv waren, werde ich rund um solche Ereignisse tatsächlich gefragt, wie das einzuordnen sei, was ich davon halte, ob es nun gut oder schlecht sei, wenn Politiker von Twitter weggehen oder es benutzen.

Ein entschiedenes Unentschieden

Meine Antwort darauf ist stets ein solides und entschlossenes Schulterzucken. Nicht, weil es egal sei. Sondern, weil diese Frage mehrere Perspektiven hat, und aus jeder fällt die Antwort anders aus.
Ist es schlecht, wenn Politiker sich nicht der öffentlichen Debatte stellen, sich vor einem relativ niedrigschwelligen Feedbackkanal zurückziehen und damit weniger zugänglich für Bürgerinnen sind? Ja. Ist es gut, wenn eine Person selbstbewusst bestimmt, welches Medium ihr, ihrer Arbeit und ihrer geistigen Gesundheit gut tut? Ja.
Ist Twitter eine der deutlichsten Ausprägungen aufmerksamkeitsökonomischer Verknappung und begünstigt gegenseitige Beschuldigungen statt konstruktiven Dialog? Ja. Begünstigen klassische Medien konstruktiven Dialog? Nicht wirklich.

Warum es wichtig ist, Twitter richtig zu benutzen

Ich möchte hier eine konträre These einwerfen: Es ist nicht wichtig, ob man Twitter benutzt oder nicht. Es ist wichtig, ob man Twitter richtig oder falsch benutzt. Als „falsch“ bezeichne ich damit alles, was zu der Hölle beiträgt, die die meisten sehen, wenn sie ihren Twitter-Feed öffnen: die öffentliche Schlammschlacht für Argumente undurchlässiger ideologischer Phrasen, in der Freund-Feind-Strukturen wichtiger sind als Inhalte.
Porträtfoto von Marina Weisband
Unsere Kolumnistin Marina Weisband (Lars Borges)
Als „richtig“ bezeichne ich eine Nutzung von Twitter, die den Nutzen für mich selbst und – im Optimalfall – für die Debattenkultur maximiert. Denn obwohl ich als junge, linke, politische, jüdische Frau mehr als genug Primärliteratur zum Thema Hass im Netz auf Twitter bekomme, bleibe ich da. Und ich bleibe gern da. Weil die Vorteile für mich weit überwiegen.

Inhalte kuratieren Dank Twitter

Ein wichtiges Element dabei ist die Fähigkeit von Twitter, Inhalte kuratieren zu können. Ich wähle, wem ich folge. Über die Blockfunktion wähle ich, wer mir nicht folgen kann. Über die Stummschaltefunktion wähle ich, wessen Antworten ich nicht hören will.
Ich lese und unterhalte mich auf Twitter also hauptsächlich mit Menschen, die mich inspirieren. Die ähnliche Ziele haben, wie ich – wenn auch oft andere Herangehensweisen. Die differenzieren können. Die verzeihen können. Für wen das elitär oder abgehoben klingt, der möge mal jeden Morgen beim Frühstück mit dreihundert Leuten sitzen, die ihn anschreien, dass er ein Nazi oder Kinderschänder sei. Nichts daran ist produktiv oder notwendig.
Im Gegenteil. In der gepflegteren Diskussion in einem eingeschränkteren Kreis kann ich Kritik und gegenteilige Meinungen leichter auf mich wirken lassen, weil ich nicht ständig in einer Position der Defensive bin. Ich bin diskursiv entspannt. Das öffnet mein Denken. Die Netzwerke, die sich auf Twitter bilden, ermöglichen politische Arbeit, die sonst nie möglich wäre.

Ideen entwickeln auf Twitter

Ich habe keine zwölf Berater, die mir Reden schreiben. Ich kann aber auf Twitter öffentlich denken und meine Ideen entwickeln. Ich kann einen Gedanken veröffentlichen, darauf bekomme ich Kritik und Ergänzungen, Beispiele oder Gegenbeispiele, Quellen und Einordnungen. Mein Gedanke entwickelt sich, wird tiefer, fundierter – oder ich verwerfe ihn. So schleife ich mein Denken. Ist das immer schmerzfrei? Sicher nicht. Aber das ist es nie, wenn man ehrlich ist.
Und andererseits ist Twitter natürlich ein privates Unternehmen, das so tut, als sei es ein Marktplatz, in Wirklichkeit aber eine Aufmerksamkeitsverkaufsmaschine ist, für die sich Empörung bezahlt macht. Deshalb sollten wir vielleicht mal echte digitale Marktplätze bauen.