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Konflikt um Katalonien (4/5)
Angst, Unruhe und Frustration

Die Psychologin Ingeborg Porcar leitete nach dem umstrittenen Referendum einen Krisenstab. Die harten Auseinandersetzungen mit Polizei und Politik haben bei vielen Katalanen für Angstzustände und Unruhe gesorgt. Ausgestanden ist der Konflikt noch lange nicht, glaubt sie. Im Gegenteil.

Von Julia Macher | 21.06.2018
    Ein spanischer Nationalpolizist geht mit seinem Schlagstock auf Befürworter des Katalonien-Referendums los, die sich auf die Straße gesetzt haben, am 01.10.2017 in Barcelona (Spanien).
    Ein spanischer Nationalpolizist ging im Oktober 2017 mit seinem Schlagstock auf Befürworter des Katalonien-Referendums los (picture alliance / dpa / Manu Fernandez)
    Ingeborg Porcar stellt die Handtasche auf ihren Schreibtisch und öffnet die Jalousie vor den Fenstern. Grünliches Licht fällt herein: Das Büro der Psychologin liegt auf dem Campus der Freien Universität Barcelona, umgeben von Wiesen, Hecken und kleinen Wäldchen. Von hier aus hat die 57-Jährige im vergangenen Jahr zwei Krisenstäbe koordiniert: einen infolge der Terroranschläge im August, den anderen nach den Polizeieinsätzen beim Referendum am 1. Oktober.
    "Es hat auf feuchte Erde geregnet", zitiert Porcar ein katalanisches Sprichwort. Die Nerven der Bevölkerung lagen schon blank, als sich die Katalonienkrise zuzuspitzen begann. Das habe ihren psychologischen Effekt verstärkt.
    "Man muss beides zusammenrechnen. Der erste Oktober traf eben keine ruhige, entspannte Bevölkerung. Wir sprechen von einer potenziell traumatischen Situation, wenn sie unvorhergesehen eintritt, unsere Grundwerte infrage stellt, wir den Eindruck haben, die Situation nicht mehr kontrollieren zu können und wir Schaden oder Verluste erleiden. Auf den ersten Oktober treffen meiner Meinung nach drei dieser vier Kriterien zu."
    Schwer zu begreifen, was passiert ist
    In ganz Katalonien klingelten nach der Abstimmung im Oktober die Telefone in den Arzt- und Psychologen-Praxen. Die Menschen klagten über Angstzustände, Schlaflosigkeit, das Gefühl ständiger Unruhe. Porcar und ihr Team kümmerten sich damals zunächst um die Schulen, in denen das Referendum stattgefunden hatte.
    "Wir hatten viele Anfragen von den Elternvereinen der Schulen. Gerade für die Kinder war es sehr schwer zu verstehen, was da passiert war. Man sagt ihnen ja immer: Wenn du dich verirrst, dann geh zur Polizei. Und dass die Polizisten jetzt angeblich die Bösen waren, hat sie natürlich verunsichert. Da Menschen mit ganz unterschiedlicher Weltanschauung ihre Kinder dort in die Schulen schicken, haben wir da den Schwerpunkt auf Strategien der Konfliktbewältigung, der Deeskalation gelegt, um das Zusammenleben nicht zu gefährden."
    Ingeborg Porcar fährt ihren Computer hoch. Das katalanische Gesundheitsministerium veröffentlichte damals mit ihr ein Video mit Tipps zur Stressprävention: auf ausreichend Schlaf und gesunde Ernährung achten, mediale Auszeiten einplanen, abschalten. Ratschläge für die individuelle Krisenbewältigung.
    Die Psychologin Ingeborg Porcar
    Die Psychologin Ingeborg Porcar (Deutschlandradio / Julia Macher)
    Schwieriger ist der Umgang mit den mittel- und langfristigen Folgen für die Gesellschaft. Die Theatersäle, die wochenlang halb leer blieben. Freundesgruppen, die zerbrachen. Freizeitinitiativen, die versandeten.
    "Viele Aktivitäten, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft und so auch für die psychosoziale Gesundheit sorgen, wurden eingestellt: Seniorentreffs, das Tai Chi im Park. Weil man selbst Tai Chi nicht mehr vom politischen Streit trennen konnte."
    Normal ist noch nichts in Katalonien
    Porcar trommelt kurz mit den lackierten Nägeln auf der Tischplatte. Auch wenn der Alltag scheinbar wieder einkehrt, die Restaurants wieder voll sind und Pläne für die Sommerferien geschmiedet werden, zur Normalität hat Katalonien noch nicht zurückgefunden.
    "Das Grundgefühl ist Frustration. Die einen sind frustriert, weil sie an die Republik geglaubt, sie aber nicht erreicht haben. Diejenigen, die diese Sehnsucht nie verstanden haben, sind frustriert, weil das Thema nicht vom Tisch ist. Und die dritte Gruppe, die versucht hat, in diesem Konflikt konstruktiv zu vermitteln, die ist frustriert, weil sie das nicht erreicht haben. Niemand ist zufrieden. Das ist gefährlich."
    Die Psychologin hat ihre Mediatorenausbildung im Baskenland gemacht, das jahrzehntelang unter dem Terror der ETA und der Gegengewalt des Staates litt. Dort hat sie hautnah erlebt, wie es ist, wenn Gespräche plötzlich verstummen, sich Menschen nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen.
    Bevölkerung ist gespalten
    Spanien müsste eigentlich besser als jedes andere Land wissen, welches Leid es verursacht, wenn ein Teil der Bevölkerung sich gegen einen anderen stellt.
    "Während des Konflikts hier in Katalonien konnte man Punkt für Punkt sehen, wie man es schafft, die Bevölkerung zu spalten. Und das bereitet mir Bauchschmerzen. Zu sehen und zu verstehen wie das funktioniert und nicht eingreifen zu können, das ist schlimm."
    Ingeborg Porcar wägt ihre Worte vorsichtig ab. Als Direktorin einer durch öffentliche Gelder finanzierten Einrichtung fühlt sie sich unter besonderer Beobachtung. Schuldzuweisungen gibt es von ihr keine, aber es sei offensichtlich, dass manche Interesse hätten, die Emotionalität aufrechtzuerhalten.
    "Jetzt warten alle erst einmal auf den Sommer. Alle sind erschöpft und müde. Wenn im September die Schule wieder anfängt, geht es weiter. Dann wird man sehen, was die Regierungswechsel in Madrid und Barcelona gebracht haben. Aber ich fürchte so schnell wir das nichts. Im Herbst beginnen die Prozesse gegen die inhaftierten katalanischen Politiker, da werden wir ganz schnell zu einer Polarisierung zurückkehren."