Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Konfliktzeiten
"Kultur darf kein Propagandainstrument sein"

Die Kultur für den Dialog zwischen unterschiedlichen Gesellschaften zu nutzen habe den Vorteil, über relevante Themen sprechen zu können, ohne gleich in die Fänge der Tagespolitik zu geraten, sagte Johannes Ebert vom Goethe-Institut im DLF. Es sei wichtig, immer auch die Werte und Positionen anderer zu berücksichtigen.

Johannes Ebert im Gespräch mit Sören Brinkmann | 19.07.2016
    ohannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts
    Johannes Ebert: "Wir begegnen oft Partnern, die Werte anders sehen als wir, die auch vielleicht ein anderes Demokratieverständnis haben als wir." (picture alliance / dpa)
    Sören Brinkmann: Passend zu unserem Sendungstitel hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der vergangenen Woche bemerkt: Ohne Kultur geht es nicht. Das sagte er bei einem Besuch beim Goethe-Institut in München. Gemeint ist, dass Kulturvermittlung gerade auch in der Außenpolitik eine wesentliche Rolle spielt. Ein Gedanke, über den wir reden wollen, und diskutiert hat Steinmeier unter anderem mit dem Generalsekretär des Goethe-Instituts Johannes Ebert, mit dem ich jetzt darüber sprechen möchte, ob die Kultur etwas leisten kann, was die Politik nicht schafft. Guten Tag, Herr Ebert!
    Johannes Ebert: Guten Tag, Herr Brinkmann!
    Brinkmann: Sie haben gesagt bei dem Besuch und gewürdigt den Besuch als ein Zeichen für die hohe Wertschätzung, die das Goethe-Institut gerade in außenpolitisch turbulenten Zeiten genießt, und Sie haben gesagt, Kulturdialog und internationale Bildungsprogramme sind wichtiger denn je. Was meinen Sie damit?
    Ebert: Erstens war es für uns natürlich sehr schön, dass Herr Steinmeier das erste Mal im Goethe-Institut war. Das bedeutet schon eine Wertschätzung für unsere Arbeit. Das hängt auch damit zusammen, dass in dieser Zeit der Krisen – wir nehmen ja dauernd Umbrüche war, wir nehmen wahr, dass die Welt eigentlich aus den Fugen geraten ist –, dass hier doch eine starke Besinnung darauf erfolgt, was Kultur und was Bildung in den Außenbeziehungen leisten kann. Gerade unser jetziger Außenminister hat eben wirklich die Position, dass Kultur ein wichtiges Politikfeld ist, wobei wir als Goethe-Institut natürlich immer auch die Unabhängigkeit von Kultur und den Eigenwert von Kultur betonen, was, glaube ich, sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang.
    Brinkmann: Sie haben die außenpolitisch turbulenten Zeiten angesprochen, und Sie haben gewürdigt, dass er jetzt als Außenminister auch das Goethe-Institut besucht hat. Wenn ich es richtig weiß, zum ersten Mal seit fast 20 Jahren, dass ein Außenminister im Goethe-Institut war. Zeigt das, dass die Kultur eigentlich für die Politik nicht die besonders große Rolle gespielt hat?
    Ebert: Nein, das würde ich jetzt nicht einfach so wieder umdrehen. Wir stellen auch fest, dass es natürlich viele neue Fragen gibt. Was tun wir mit Europa nach dem Brexit? Wie gehen wir mit der Transformation der arabischen Welt um? Wie fördern wir weltweit Zivilgesellschaften in einer Zeit, in der die nationalen Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft, für NGOs immer enger werden? Das sind durchaus Themen, die auch ihren Niederschlag in Kulturarbeit finden. Kulturarbeit ist natürlich immer langfristig, das heißt, sie agiert nicht auf kurzfristige Krisen, Sie haben nicht heute den Brexit, und morgen drückt man auf einen Knopf und macht ein Kulturprogramm, und das ist eine Lösung für irgendwas, aber man muss diese gesellschaftlichen Entwicklungen weltweit wahrnehmen und in dieser Art von dialogischer Kulturarbeit, wie sie das Goethe-Institut mit seinen Partnern weltweit pflegt, auch abhandeln und behandeln.
    Brinkmann: Aber wenn Sie ansprechen, dass das Korsett immer enger wird, was können Sie dann überhaupt machen?
    Ebert: Wir sind in der Regel als Goethe-Institut durch Kulturabkommen abgesichert, und es ist natürlich so, dass der Kulturbereich vielleicht noch mehr Freiräume bietet als andere Bereiche der Gesellschaft, dass Sie Kulturthemen ansprechen können auf sensible Art und Weise, ohne gleich in die Fänge der Tagespolitik zu geraten. Beispielsweise hatten wir jetzt eine sehr spannende Veranstaltung in Nowosibirsk, "Gespräche in der Dunkelkammer", wo einfach mal ganz allgemein das Thema aufgenommen wurde, wie geht man mit Zensur um, was bedeutet Zensur, was bedeuten private Freiräume, um zu sprechen, und das ist kein Angriff irgendwie auf die Situation. Mit solchen Projekten können Sie auch in Ländern arbeiten, wo die Situation enger wird, und das ist für uns natürlich sehr wichtig.
    Brinkmann: Geraten Sie da nicht schnell in die Gefahr, dass Ihnen möglicherweise so eine Art Kulturimperialismus unterstellt wird, dass Sie damit die Werte, die hier gelten, verbreiten wollen, ohne Rücksicht möglicherweise auf die lokalen Gegebenheiten?
    Ebert: Eine der Grundsätze des Goethe-Instituts ist es, dass wir immer dialogisch arbeiten, das heißt, dass wir Projekte gemeinsam mit Partnern vor Ort entwickeln und auch deren – wie soll ich das sagen – Empfindlichkeiten und Sensibilitäten wahrnehmen. Ich glaube, das ist eine der zentralen Aufgaben des Goethe-Instituts.
    Brinkmann: Aber wenn Sie zum Beispiel von Kultur- oder Demokratievermittlung auch sprechen, dann ist das ja ein ganz konkreter Wert, den wir ja verbreiten wollen.
    Ebert: Wir stehen natürlich für Werte, für gewisse europäische Werte, wir stehen auch für eine Demokratie, aber wir begegnen oft Partnern, die Werte anders sehen als wir, die auch vielleicht ein anderes Demokratieverständnis haben als wir, und da ist es, glaube ich, doch sehr wichtig, dass wir unsere Position darstellen, dass wir aber auch die andere Position wahrnehmen und dass wir hier Angebote machen. Wir können natürlich nicht im Sinne eines Propagandafeldzugs – und das ist nicht unser Ansatz – hier auf der Welt auftreten, sondern wir können nur auf Situationen vor Ort reagieren und da gemeinsam mit Partnern Programme entwickeln, wo durchaus Werte auch im Mittelpunkt stehen. Das kann man natürlich über Kultur sehr gut, über Theater, über Film, über Tanz, über Literatur. Da stellen sich ja Fragen von gemeinsamen oder auch unterschiedlichen Werten.
    "Kultur muss unabhängig sein"
    Brinkmann: Es gibt ja den Begriff der sogenannten Soft Power, geprägt vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph Nye, der das bezogen hat vor allem auf die Expansion und die Anziehungskraft des American Way of Life. Inwieweit verstehen Sie sich auch als ein Instrument und als Strategie, als Instrument für die Strategie der Soft Power aus deutscher Sicht?
    Ebert: Das ist jetzt eine sehr spannende Frage, die wir laufend diskutieren, Herr Brinkmann, weil uns gefällt natürlich der Soft-Power-Begriff nicht so richtig, weil Soft Power hat immer damit zu tun, dass man mit Kultur ein ganz genaues politisches Ziel verfolgt. Wir gehen aber davon aus, dass Kultur einen Freiraum schaffen kann, dass Kultur eine Diskussion erlaubt von Themen, an die man vielleicht sonst nicht herankommt, dass die Kultur dafür aber auch unabhängig sein muss und kein Propagandainstrument sein darf und ihre Kraft eigentlich wirklich nur entfaltet, wenn man ihr auch ein gewisses Vertrauen schenkt, dass sie ein Träger von Werten ist, ohne dass man wirklich sagt, wir haben das Ziel, hier, die Deutschen haben den attraktivsten Lebensstil, und das wollen wir verbreiten. Das ist eben nicht unser Ansatz.
    Brinkmann: Muss man sich dann auch gefallen lassen, dass so eine Art der, wenn Sie sagen, kulturellen Diplomatie vielleicht von anderer Seite auch stattfindet, also, wenn man sich zum Beispiel anguckt, dass China momentan sehr viele Konfuzius-Institute weltweit aufbaut oder dass in Berlin vor Kurzem die Denkfabrik "Dialog der Zivilisationen" aufgemacht hat, die von Russland finanziert ist, muss man dann eben auch ganz genau andersrum das so wahrnehmen und so akzeptieren?
    Ebert: Frank-Walter Steinmeier hat im Goethe-Institut gesagt – also ich weiß es nicht mehr wörtlich, aber so sinngemäß –, wir müssen uns daran gewöhnen, dass es auch andere Spieler, Akteure gibt außerhalb Europas und dass Europa nicht mehr im Mittelpunkt steht. Das ist richtig. Es gibt neue Machtzentren auf der Welt. Sie haben China genannt, auch Russland gehört dazu. Früher waren die BRICS-Staaten im Gespräch. Also es gibt diese neuen Mächte, die auch einen Anspruch haben oder an sich selbst, ihre Lebensweise und ihre Kulturen darzustellen. Ich habe immer ein Problem damit, wenn das in Form von Propaganda passiert. Ich weiß jetzt nicht, ob das bei diesem russischen Institut der Fall ist. Wenn diese Institutionen rechtlich ihren Status geklärt haben und korrekt angemeldet sind, wir sind eine Demokratie, das heißt, wir haben die Möglichkeit, natürlich ihre Positionen darzustellen. Ich finde es auch sehr spannend, mit Kollegen vom Konfuzius-Institut oder so zu diskutieren.
    Brinkmann: Wenn wir auf konkrete Beispiele mal abzielen: Sie haben eben den Brexit angesprochen und gesagt, da kann man nicht auf einen Knopf drücken und die Debatte in eine bestimmte Richtung lenken oder wenn wir jetzt ganz aktuell auf die Türkei schauen, da kommt es aus Deutschland jetzt oder da kommt aus Deutschland viel Kritik an den sogenannten Säuberungsaktionen im Nachgang des Putschversuches. Grundsätzlich gefragt: Ist da kultureller Austausch ein Mittel, um demokratische Ziele durchzusetzen?
    Ebert: In der Türkei ist es für mich jetzt noch ein bisschen zu früh, nach diesen Putschsituationen die Lage genau einzuschätzen, aber grundsätzlich denke ich, unsere Institute in diesen Ländern sind seit Jahrzehnten dort. Die haben ein Netzwerk von Filmfestivals, von NGOs, von Schulen, von Universitäten, wo man einfach gemeinsam Programme entwickelt und gemeinsam Programme fährt, und diese Netzwerke, die sind, glaube ich, sehr haltbar auch in Krisenzeiten. Deswegen ist es eben wichtig, dass man diese Kulturarbeit im Ausland langfristig anlegt und nicht als kurzes Strohfeuer begreift.
    Brinkmann: Ich würde gerne noch mal auf den speziellen und gefestigten Blick hier aus Deutschland kommen. Viele Institutionen springen auch in der Kulturförderung dann auf Themen an, wenn sozusagen unsere Erwartungen erfüllt werden. Wenn also zum Beispiel Filme aus Israel erst mal den Nahost-Konflikt thematisieren, wenn man zum Beispiel an "Waltz with Bashir" denkt oder "90 Minuten" jetzt ganz aktuell, andere Geschichten sind da nicht so auf dem Radar. Vergibt man sich da nicht eigentlich was?
    Ebert: Das ist immer eine Gefahr. Wenn Sie als deutsche Institution im Ausland operieren, dass Sie natürlich erst mal einen Filter aufhaben. Da hoffe ich, dass unsere Kollegen wirklich breit evaluieren und breit auf die Institutionen und Kulturinstituten vor Ort zugehen, um gemeinsam Projekte zu entwickeln. Da reduziert sich natürlich dann die Gefahr, dass man nur seine eigenen Agenten da einbringt, sondern man muss dann schon Rücksicht nehmen, was auch die Partner von einem wollen.
    Brinkmann: Über die Kulturvermittlung in Deutschland und im Ausland und was Kultur leisten kann in der aktuellen Diskussion, darüber habe ich gesprochen mit dem Generalsekretär des Goethe-Instituts Johannes Ebert. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Ebert: Vielen Dank, Herr Brinkmann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.