Dienstag, 16. April 2024

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Konkurrenz zwischen FDP und Grünen
"Beide in der Erbschaft des Liberalismus"

Obwohl es in der Wählerschaft keine großen Überlappungen gebe, seien Grünen und FDP doch natürliche Konkurrenten, sagt der Sozialwissenschaftler Hubert Kleinert im Dlf. Die Grünen-Stärke in den Umfragen dränge die FDP dazu, sich an den Grünen abzuarbeiten - und auf deren Defizite hinzuweisen.

Hubert Kleinert im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.04.2019
Das Foto zeigt Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender der FDP
FDP-Bundesparteitag: Parteichef Christian Lindner attackierte auch stark die Grünen. (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld)
Jasper Barenberg: Am Telefon mitgehört hat Hubert Kleinert, der Sozialwissenschaftler an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen. Schönen guten Tag, Herr Kleinert!
Hubert Kleinert: Hallo!
Barenberg: Dass der Parteitag der FDP auch und gerade die Klimapolitik in den Mittelpunkt stellt, ist das ein Hinweis darauf, dass sich die FDP über die eigenen klassischen Themen hinaus breiter aufstellen will?
Kleinert: Na ja, ich denke, dass da mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Das Klimathema gehört ja seit einigen Monaten sozusagen zu den vorrangigen politischen Themen, nicht zuletzt auch die Bewegung, die sich da unter den Schülern ausgebreitet hat, ist ja ein Großthema der öffentlichen Debatte geworden. Von daher tut die FDP da, glaube ich, ganz gut dran, dass sie da auch zeigen will, dass sie dieses Thema auch aufgreift. Und Sie haben es eben schon erwähnt beziehungsweise Ihre Korrespondentin, die FDP sucht sich ja auch in besonderer Weise an den Grünen abzuarbeiten.
Barenberg: Warum ist das eigentlich so? Ich meine, auf diesem Parteitag sticht das heraus, aber das ist ja beileibe nicht die einzige Gelegenheit, wo sich immer wieder erweist, dass Grüne und FDP sozusagen immer wieder Lieblingsfeinde sind.
"Beide stehen in der Erbschaft des Liberalismus"
Kleinert: Na ja, was heißt Lieblingsfeinde? Beide stehen ja in einem gewissen Maße sozusagen in der Erbschaft des Liberalismus. Die FDP verkörpert eher den, wenn Sie so wollen, rechten oder wirtschaftsliberalen Teil des liberalen Gedankengutes, und die Grünen eher den linken Part, den bürgerrechtlichen, den auf Rechte von Minderheiten bezogenen und dergleichen. Von daher gibt es, obwohl es in der Wählerschaft gar nicht so riesige Überlappungen gibt, sozusagen eine natürliche Konkurrenz. Hinzu kommt die politische Gesamtsituation, der Schwäche der Volksparteien. Wenn Sie mal beide zusammennehmen, die Grünen und die Liberalen, könnte man schon sagen, die decken sicher im Moment vielleicht ein knappes Drittel der Gesellschaft ab, also wenn Sie so wollen, so stark waren die beiden noch nie. Und ich kann auch nicht recht sehen, wie sich das in allernächster Zeit ändern sollte. Von daher gibt es sozusagen … Gerade auch die Grünen-Stärke im Moment in den Umfragen wird natürlich die FDP auch besonders dazu drängen, sich an den Grünen abzuarbeiten.
Barenberg: Ja, und ein Grund dafür ist auch, das ist die Frage an Sie, dass von der Schwäche der Volksparteien bisher vor allem oder in erster Linie die Grünen profitieren, aber die Liberalen eben nicht so stark. Ist das auch eine Motivation, sich dann noch mal besonders gegen die Grünen abzugrenzen und auf den alternativen Weg sozusagen zu weisen?
Kleinert: Ich würde da erst mal ganz nüchtern sagen, die FDP hat ein größeres Glaubwürdigkeitsproblem als die Grünen. Die FDP ist zumindest vom Image her, denkt man, wenn die FDP von Freiheit spricht, dann meint sie in erster Linie Freiheit der Wirtschaft oder meinetwegen auch Freiheit des Autofahrers. Aber dieses Problem haben die Grünen so nicht. Die Grünen haben, würde ich sagen, sogar eine Art emotionalen Glaubwürdigkeitsüberschuss, was auch damit zusammenhängt, dass sie zweifellos sozusagen das günstigere Medienklima besitzen. Und dann haben die Grünen jetzt mit Habeck natürlich auch eine Figur, die als öffentlicher Sympathieträger gilt. Übrigens, ich glaube, das ist ganz geschickt mit der Frau Teuteberg, die könnte auch ein Stück von einer solchen Rolle, glaube ich, gewinnen, das würde ich ihr zutrauen.
Barenberg: Wir haben es gerade in dem Gespräch mit meiner Kollegin auch erwähnt, Christian Lindner hat ja gestern das Schreckgespenst eines ökologischen Autoritarismus an die Wand gemalt. Er hat gewarnt vor hysterischen Klimaaktivisten und vor der Hypermoral, und dabei zeigt er mit dem Finger ja eben auch immer vor allem auf die Grünen und auf deren Anhänger. Ist da etwas dran, dass die Grünen sozusagen Gefahr laufen, so etwas wie eine Partei der Bevormundung zu werden, unterscheidet das die beiden Parteien voneinander?
Kleinert: Ganz falsch ist das sicher nicht. Die Grünen haben ein Stück beigedreht oder versucht in den letzten Jahren, dieses Image, was ihnen ja in der Vergangenheit schon zu schaffen gemacht hat, gerade auch …
Barenberg: Der Veggie Day.
Grüne versuchen "eine offenere Ansprache hinzukriegen
Kleinert: Ja, Veggie Day, Sie sagen es, es waren auch andere Dinge. Sie versuchen, ein Stück davon zu überwinden und eine offenere Ansprache hinzukriegen. Den öffentlichen Gesichtern der Grünen gelingt das meistens auch, aber der Partei hängt das natürlich schon ein bisschen an. Und das ist auch keine Erfindung der politischen Konkurrenz, denn wenn die FDP auf der einen Seite das Problem hat, dass man Freiheit zu sehr mit Wirtschaft und Autofahren assoziiert, würde ich mal sagen, auf der anderen Seite haben die Grünen ein bisschen das Problem, dass bei ihnen die Freiheit des Andersdenkenden auch durch ein Übermaß an Political Correctness an Grenzen stößt, wo man manchmal auch das Gefühl hat, also jetzt irgendwie ist es auch ein bisschen bigott. Ich glaube, dass beide Seiten da durchaus Defizite haben, und dass Lindner das versucht, sozusagen auf den Punkt zu bringen und auszureizen, das halte ich für ganz normal in der parteipolitischen Auseinandersetzung. Das ist aus seiner Sicht sicher sinnvoll.
Barenberg: Und zum Schluss noch, Herr Kleinert, wenn es denn so ist, dass Grüne und Liberale um das Erbe des Liberalismus oder um die Zukunft des liberalen Gedankens kämpfen, wie wird das ausgehen, wie wird das weitergehen?
Kleinert: Ich sehe einstweilen nicht, dass sich an den Stärke-Schwäche-Relationen Grundlegendes verändern wird. Eine ganze andere Frage ist, wie sich Deutschland in den nächsten Jahren entwickeln wird und welche Stellung das Land in Europa haben wird und ob die in diesem Lande besonders stark ausgeprägte Moralisierung der Politik uns nicht noch in Schwierigkeiten bringen wird. Aber jetzt mal pragmatisch: Im Blick auf die nächsten zwei Jahre glaube ich nicht, dass wir fundamentale Veränderungen kriegen. Möglicherweise wird sich Lindner noch mal ärgern darüber, dass er diese Jamaika-Möglichkeit vor zwei Jahren nicht wahrgenommen hat, denn es könnte gut sein, dass bei einer nächsten Bundestagswahl Schwarz und Grün alleine eine Mehrheit bilden können – also wenn der Höhenflug der Grünen anhält. Dann allerdings wird es schwieriger werden für die Grünen, das wäre meine Prognose, denn da ist natürlich vieles auch Projektion, was bei den 20 Prozent jetzt dabei ist. Und ob die Grünen diesen Glaubwürdigkeitsvorschuss halten können, wenn sie mal regieren müssen, das ist noch sehr die Frage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.