Dienstag, 19. März 2024

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Konservatoren in Auschwitz
Kampf gegen die Zeit

Schuhe, Kleidung, Koffer: Das Museum Auschwitz-Birkenau bewahrt auf, was einst den Insassen des Konzentrationslagers gehörte. Ein internationales Team aus Kuratorinnen rettet die Erinnerungsstücke vor dem Zerfall - eine Herausforderung.

Von Markus Nowak | 26.01.2020
Die Konservatorin Margrit Bormann beugt sich in der Restaurationswerkstatt über den alten und beschädigten Koffer eines Holocaust-Opfers
So authentisch wie möglich: Margrit Bormann restauriert die Besitztümer von Holocaust-Opfern für das Museum in Auschwitz (Foto: Markus Nowak)
Auf den Tischen stehen Mikroskope und Messbecher, in der Luft liegt ein strenger Geruch, im Raum sitzen Menschen in weißen Kitteln. Konzentriert beugt sich Margrit Bormann über einen Tisch und kratzt vorsichtig mit einem Skalpell an den Beschlägen eines alten Koffers: "Es ist eine sehr diffizile Arbeit. Ich muss sehr geduldig sein. Gerade wenn ich mit dem Skalpell die Korrosionsprodukte runternehme, muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht hineinschabe in das Metall. Man darf da nicht zwei linke Hände haben, wenn man als Restaurator mit den Objekten umgeht."
Margrit Bormann ist eine von 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des internationalen Konservatoren-Teams im Museum Auschwitz-Birkenau. Einer Abteilung, der die Arbeit nie ausgeht: 110.000 Schuhe, 4000 Koffer, 300 Häftlingsanzüge, unzählige weitere Habseligkeiten wie Zahnbürsten oder Brillen von Holocaust-Opfern lagern in den Magazinen des einstigen Nazi-Vernichtungslagers, und sie alle müssen erhalten werden, auf ganz unterschiedliche Weise.
Eine Arbeit, die nie zu Ende geht
Es ist ein Kampf gegen die Zeit. Denn 75 Jahre nach der Befreiung des Lagers sind viele Objekte in einem desolaten Zustand, sagt Aleksandra Papis, Leiterin der Restauratoren-Werkstatt: "Restaurieren ist eine Arbeit, die von Natur aus nie zu Ende geht. Wie die Renovierung zu Hause, man muss an den Objekten immer wieder das machen, was nötig ist. Klar: Bei so vielen Objekten, die wir haben, versuchen wir, die Zeitspanne zwischen den Restaurierungen zu verlängern. Aber das hängt von den Objekten und ihrem Zustand ab. Bei uns befinden sich die meisten in einem schlechten Zustand und sind von minderer Qualität. Normalerweise haben Museen in ihren Sammlungen Objekte von höchster Qualität."
Eine weitere Herausforderung - gerade auch im Vergleich zu anderen Restauratoren, die etwa Kirchenfresken oder Gemälde konservieren - bestehe im Anspruch, die Objekte so herzustellen, wie sie vor dem 27. Januar 1945 ausgesehen haben, dem Befreiungstag. Aleksandra Papis: "Ein Beispiel mit den Koffern: In jedem anderen Museum würde man einen Koffer so restaurieren, dass er ästhetisch gut aussieht. Hier aber wollen wir eher zeigen, was ist mit dem Koffer geschehen ist: Die Menschen, die hier ankamen, mussten alles abgeben. Dann wurden die meisten Objekte beschädigt, weil sie durchsucht wurden. Diese Beschädigungen bessern wir nicht aus."
Authentizität als wichtigstes Gut
Authentizität bezeichnet Paweł Sawicki, Mitarbeiter der PR-Abteilung, als das wichtigste Gut des Museums Auschwitz. Sie speise sich etwa aus den Begegnungen und Erzählungen mit Zeitzeugen. Doch diese werden 75 Jahre nach der Befreiung des Lagers immer weniger: "Das Fundament der Erinnerung ist der authentische Ort. Natürlich könnte man an Auschwitz auch anders erinnern, aber die Authentizität der physischen Überbleibsel des KZs ist unentbehrlich. Umso wichtiger ist die Bewahrung dieser Authentizität."
Zurück in der Restaurationswerkstatt. Neben allen Schwierigkeiten, die sich dem Museum Auschwitz bei der Restaurierung stellen, bleiben auch die ganz persönlichen Herausforderungen, wie Restauratorin Margrit Bormann berichtet. Etwa die, zu sehr über die Objekte und ihre Geschichte nachzudenken: "Ich habe aber gelernt, gedanklich nicht zu tief in die Materie oder Geschichte einzusteigen, weil es dann schwer wird mit der Arbeit mit dem Gegenstand. Gerade der Koffer ist ein persönliches Objekt. Der Mensch kauft ihn, benutzt ihn auf Reisen. Und wir wissen: Er endete hier in Birkenau. Die Konzentration auf die Entfernung der Korrosion mit dem Metall: Das erfordert so viel Konzentration, dass ich versuche, nicht abzuschweifen mit den Gedanken."