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Kontroverse um E-Sports
Kriminologe: Computerspiele verringern die Lernleistung

Den Vorschlag einiger Bundesländer, Computerspiele als Breitensport zu fördern, lehnt Kriminologe Christian Pfeiffer ab. In einer Studie kommt er zu dem Schluss, dass sich exzessives Computerspielen negativ auf die Lernleistung von Jugendlichen auswirke. Vor allem Jungen seien betroffen, sagte er im Dlf.

Christian Pfeiffer im Gespräch mir Sabrina Loi | 16.10.2020
Computerspieler vor dem Bildschirm: Spieler der Mannschaften "Snogard" während der E-Sport-Bundesliga.
Um gegen Computerspielsucht vorzugehen, brauche man einer brummenden Industrie kein Geld hinterherwerfen, sagte der Kriminologe Pfeiffer im Dlf (picture alliance / dpa / lno / Angelika Warmuth )
Virtuelle Sportarten sollen als Breitensport gefördert werden, das ist der Wunsch einiger Bundesländer, etwa von Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Doch es kommt auch Kritik an dem Vorstoß: Zuviel Computerspielen habe einen Einfluss auf die Lernleistung von Kindern und Jugendlichen, sagte Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, im Dlf. Es seien deutlich mehr Jungen davon betroffen als Mädchen.
Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, sei es falsch, die Computerspieleindustrie zu fördern. Es brauche mehr Angebote an den Ganztagsschulen, um Jungen für Aktivitäten zu motivieren, "die im realen Leben stattfinden."
Spieler spielen das Spiel PES 2020 (Pro Evolution Soccer) vor Portraits einiger Spieler des FC Bayern München. 
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"Jungen spielen drei Stunden pro Tag, Mädchen 24 Minuten"
Sabrina Loi: Herr Pfeiffer, warum ist es Ihrer Meinung nach keine gute Idee, E-Sport ähnlich wie Fußball oder Schwimmen als Breitensport zu fördern?
Christian Pfeiffer: Wir sehen seit zehn Jahren eine wachsende Leistungskrise der Jungen, aber nicht der Mädchen. Die schulischen Leistungsabstände zwischen Jungen und Mädchen sind auf den Höchststand gewachsen, den wir je messen konnten. Zum Beispiel bei PISA waren wir alle ja erschrocken, dass wir schon wieder in den Keller gegangen sind, aber das beruhte zu 81 Prozent auf den Leistungsschwächen der Jungen und nicht der Mädchen.
Oder wir nehmen in Niedersachsen die aktuellen Zahlen zum Gymnasium: Fast 60 Prozent der Gymnasiasten sind Mädchen, gut 40 Prozent sind nur noch Jungen. Beim Sitzenbleiben dominieren die Jungen wiederum umgekehrt mit 60 zu 40, beim Studienabbrechen noch viel deutlicher. Am schlimmsten sehen wir es bei den Studenten: Von 100 Verlierern, die Prüfungen wiederholen müssen, ein Semester wiederholen müssen, sind 67 männlich und 33 weiblich. Das alles können wir in Beziehung setzen zum Computerspielen.
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"Wer arm im Leben ist, möchte reich in der virtuellen Welt werden"
Loi: Inwiefern? Also inwiefern hängen die schulischen Leistungen, vor allen Dingen auch von Jungs, dann von deren Computerspielen zusammen?
Pfeiffer: Nehmen wir Niedersachsen als Beispiel: Da mussten wir feststellen, dass die Jungen pro Tag drei Stunden und vier Minuten spielen, die Mädchen nur 24 Minuten.
Loi: Ist das wirklich auf die Zeit von den Computerspielen alleine zurückzuführen, also gibt es da mehr als den statistischen Zusammenhang, sag ich jetzt mal, gibt es da wirklich Ursache und Wirkung?
Pfeiffer: Wir haben das mit multivariaten Verfahren für die letzten sechs Jahre in Niedersachsen getestet, und da zeigt sich, die Leistungsabstände von Jungen und Männern werden jedes Jahr größer, je mehr die Jungen in Computerspielen gelandet sind. Und was ganz selten ist, dieser Zusammenhang ist ausschließlich nach den Computerrecherchen auf das Computerspielen zurückzuführen. Da haben wir keine Zweifel mehr, dass der Zusammenhang besteht, und er wird durch viele Einzelfakten dokumentiert, auch dass beim suchtartigen Computerspielen die Jungen 20-mal höher liegen als die Mädchen.
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Loi: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum gerade die Jungs anfällig dafür sind?
Pfeiffer: Wir haben geschaut, welche Jungen es sind, und dann zeigt sich an den Daten, es sind ja nicht alle so gefährdet, es sind primär die, die arm im Leben sind. Wer arm im Leben ist, möchte reich in der virtuellen Welt werden. Da kriegt er dann Anerkennung, Gruppenzusammenhalt, da ist er autonom unterwegs, das ist faszinierend für ihn. Aber es sind die, die im realen Leben zu kurz kommen, vor allem an väterlicher Zuwendung, manchmal aber auch an alternativen Möglichkeiten, im Leben was Sinnvolles zu tun, die Ärmeren stärker gefährdet als die Wohlhabenden.
Milliardenindustrie nicht noch weiter fördern
Loi: Jetzt reden wir darüber, dass einige Bundesländer wollen, dass der E-Sport wie Breitensport gefördert wird. Ich hab hier den Antrag von Niedersachsen vorliegen, in dem es eben genau darum geht. Darin steht, ich lese jetzt einfach mal vor: "Mit der Förderung virtueller Sportarten ist der Auftrag verbunden, diesen pädagogisch sinnvoll in die Jugendarbeit zu integrieren, um den jugendlichen Nutzern Medienkompetenz zu vermitteln, gegen Individualisierung und soziale Entfremdung vorzugehen und Programme gegen Spielsucht und die damit verbundene physische und psychische Gefährdung zu entwickeln und umzusetzen." Erst mal klingt das doch aber ganz vernünftig, oder nicht?
Pfeiffer: Nee, da ist nichts von vernünftig dran. Es gibt keinen Grund, einer brummenden Industrie, die ihren Umsatz verdoppelt hat, auch noch Geld hinterherzuwerfen mit dem Label, sie seien gemeinnützig. Da ist nichts Gemeinnütziges dran. Das ist Zeitvertreib, und das kann, wenn es in Maßen erfolgt, völlig okay, aber wenn es dann so exzessiv wird wie bei jedem vierten Jugendlichen, dann wird es gefährlich. Darüber mogelt sich der Landtag hinweg, indem er schöne Sachen erzählt, was sie alles machen wollen. Die können sie doch ohnehin machen – gegen Sucht vorzugehen, braucht man nicht die Computerspielindustrie fördern, das ist nicht nachvollziehbar.
Angebote in den Ganztagsschulen ausbauen
Loi: Das heißt, was muss Ihrer Meinung nach passieren, um das Problem tatsächlich in den Griff zu kriegen? Wer steht da auch in der Verantwortung?
Pfeiffer: Wir möchten die Wirtschaft, die Bürgerstiftung in Deutschland, natürlich auch die Bundesstaaten dazu animieren, dass sie an den Schulen nachmittags ein Programm ermöglichen, Lust auf Leben wecken, das Begeisterung weckt für Aktivitäten, die im realen Leben stattfinden. Über Verbote kriegen wir nichts geregelt, über Aufklärung schon. Aber am meisten, indem wir die Jungen begeistern für etwas, was eine verrückte Sportart sein kann oder Musik oder Tanzen oder Filmemachen oder sonst was. Im Ausland geschieht das vorbildlich, bei uns sind Ganztagsschulen zwar da, aber oft sind sie nur Kinderbewahranstalten mit Suppenküche zwischendrin, also es fehlen die Inhalte, die wirklich begeistern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.