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Koptische Christen in Ägypten
"Es geht auch um alltägliche Diskriminierung"

"Nach wie vor ist die politische Situation in Ägypten sehr heikel für die christliche Minderheit", sagte Christian Gerges, Sprecher der Kopten in Düsseldorf, im Dlf. Seine Gemeinde nehme viele geflohene Familien auf und stehe vor enormen Herausforderungen. Vom Besuch des koptischen Papstes verspreche er sich konstruktiven Austausch mit Politikern.

Christian Gerges im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.10.2017
    Blick in eine koptische Kirche in Tanta, Ägypten. Dort gab es einen Anschlag während des Gottesdienstes.
    Blick in eine koptische Kirche in Tanta, Ägypten. Dort gab es einen Anschlag während des Gottesdienstes. (AFP / Stringer)
    Jürgen Zurheide: Der koptische Papst Tawadros II. besucht demnächst Deutschland. Für uns ist das Anlass, zwei Aspekte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen: Da ist zunächst einmal die Lage der Kopten im Nahen Osten, vor allen Dingen in Ägypten, wo sie ja überwiegend leben. Dort ist es unter der Herrschaft der Muslimbruderschaft zu regelrechten Pogromen gekommen, die auch viele Menschen das Leben gekostet haben. Auch seither ist es zwar etwas besser, aber immer noch nicht gut. Deshalb wandern - und das ist der Aspekt Nummer zwei - viele Kopten aus, auch nach Deutschland. Wir wollen jetzt mit einem reden, nämlich dem Vorstandssprecher der koptischen Gemeinde in Düsseldorf, Christian Gerges. Er selbst stammt aus Ägypten, ist Kopte und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Gerges!
    Christian Gerges: Ja, guten Morgen, Herr Zurheide!
    Viele Kopten aus Ägypten geflohen
    Zurheide: Herr Gerges, zunächst einmal: Wie gefährlich ist es denn eigentlich in Ägypten heute für die Kopten? Das sind ja immerhin zehn Prozent der Bevölkerung. Hat sich da etwas zum Positiven gewandelt, nachdem die Muslimbruderschaft nicht mehr an der Macht ist?
    Gerges: Ja, also, am schlimmsten war es sicherlich in der Zeit unter der Muslimbruderschaft, wo es wirklich zu massiven Übergriffen auf die Kopten gekommen ist. Das ist unter dem aktuellen Regime etwas besser geworden. Allerdings muss man sagen, dass nach wie vor die politische Situation in Ägypten sehr heikel ist für die christliche Minderheit. Es gibt immer noch eigentlich jeden Tag Übergriffe auf Kopten, vor allen Dingen in den Regionen, in denen das Regime politisch nicht so stark ist. Sie haben ja vielleicht mitbekommen, dass im Sinai der sogenannte Islamische Staat sehr aktiv ist, da ist ja auch eine russische Passagiermaschine explodiert, das war ein Anschlag des Islamischen Staats. Und da gibt es eben viele Probleme und da gibt es regelrechte Säuberungen und eigentlich kaum noch koptische Christen, die dort verblieben sind, die sind alle geflohen, weil der Staat dort leider - obwohl er es wirklich versucht - nicht die Sicherheit für die christliche Minderheit überall garantieren kann.
    "Der islamische Fundamentalismus ist tief verwurzelt"
    Zurheide: Sie haben es gerade gesagt, der Staat versucht es immerhin. Also, Präsident Sisi betreibt da nicht aktiv oder hintenherum irgendein Geschäft für andere. Da sagen Sie, die versuchen, aber sie schaffen es nicht - oder sie können es nicht?
    Gerges: Ja, man muss natürlich dazu sagen: Für Sisi sind die Islamisten natürlich selbst auch eine Bedrohung. Die haben alles andere als einen geregelten Staat im Sinn oder möchten eine islamistische Republik nach dem Vorbild zum Beispiel Iran oder Saudi-Arabien haben oder installieren in Ägypten, deswegen sind sie seine politischen Gegner. Und wir haben den Eindruck, dass versucht wird, dagegen anzugehen. Aber der islamische Fundamentalismus ist teilweise in einigen Regionen so tief in der Bevölkerung verwurzelt, dass es wirklich schwierig ist, effektiv dagegen anzugehen.
    Es geht ja nicht nur um Tötung, sondern auch um alltägliche Diskriminierung. Wenn Sie sich als Christ für eine Arbeitsstelle bewerben, die Namen der Kopten sind sehr deutsch, wie Sie an meinem Namen zum Beispiel auch feststellen können, weil sie eben aus der Bibel genommen sind, und man fällt dann sofort auf. Und dann haben Sie eben auch bei diesen Sachen viel schlechtere Chancen als ein muslimischer Ägypter. Und das sind eben die Sachen, die sehr tief in der Gesellschaft verwurzelt sind und die nicht so mit dem Wechsel eines politischen Regimes auszumerzen sind.
    Düsseldorfer Gemeinde als erste Anlaufstelle
    Zurheide: Das heißt, unter anderem deshalb, weil die Lage so ist, wie Sie sie gerade beschrieben haben, wandern viele aus nach Deutschland. In Düsseldorf, um dieses Beispiel zu nehmen, leben inzwischen um die 1.000 Familien. Wie viele Menschen sind nach Düsseldorf zum Beispiel in Ihre Gemeinde gekommen, die ja rasant gewachsen ist?
    Gerges: Ja, also, Sie haben die Zahl schon genau genannt. Wir waren bis 2012 ungefähr, als das mit dem Arabischen Frühling dann losging, vielleicht 100 Familien, die zu unserer Gemeinde gehörten, wobei ich dazu sagen muss, dass nicht alle direkt in Düsseldorf wohnen, sondern eben auch in der Umgebung. Dadurch, dass wir eine der ältesten Gemeinden in Deutschland und die älteste in NRW sind, waren wir natürlich dann auch nach dem Arabischen Frühling die erste Anlaufstelle für die Kopten, die nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind, und dementsprechend speisen sich unsere Mitglieder dann eben auch aus nahezu dem gesamten Landesgebiet. Aber ja, es sind über 1.000 Familien mittlerweile und das ist für uns natürlich eine enorme Herausforderung, weil wir uns komplett ehrenamtlich organisieren und auch ehrenamtlich finanzieren.
    Zurheide: Welche Rolle spielt in dem Fall Kirche? Ist Kirche wirklich jetzt eher etwas, was mit Transzendenz und mit Beten zu Gott zu tun hat, oder sind das da ganz praktische Hilfen?
    Gerges: Es ist sicherlich eine Mischung aus beidem. Das ist ja immer so, wenn eine Community in der Diaspora lebt. Auf der einen Seite ist es natürlich schön, mit Leuten zusammenzukommen, die dieselben kulturellen Hintergründe haben, die dieselbe Sprache sprechen und natürlich dieselbe Religion haben. Aber Kopten sind sehr fromme Menschen, sage ich mal, und der Glaube ist sehr tief verwurzelt, und deswegen kann man nicht sagen, das eine oder das andere wiegt mehr. Es ist sicherlich eine Mischung aus beidem, die für die Leute wichtig ist.
    Ehemaliger Weltkriegsbunker nun koptische Kirche
    Zurheide: Sie haben ja auch - deshalb reden wir heute Morgen miteinander - ein besonderes Verhältnis zur katholischen Kirche. Sie haben zum Beispiel eine entweihte katholische Kirche übernehmen können und die ist jetzt zu einer koptischen Kirche geworden. Wie ist das zustande gekommen? Das war ja für Sie, glaube ich, ein wichtiger Schritt!
    Gerges: Ja, also, wir hatten 2013 ein Treffen mit dem damaligen Innenminister Jäger bei uns in der Gemeinde, der die Situation gesehen hat, und zu dem Termin kam auch Pastor Dederichs, der stellvertretende Stadtdechant Düsseldorfs, der diese Kirche in Heerdt eben auch geleitet hat. Und er hat die Not gesehen und erkannt, dass eben in den Räumlichkeiten eigentlich kein richtiger Gottesdienst mehr möglich ist, und hat dann eben die Idee mit uns entwickelt, diese einmalige Kirche - nämlich ein ehemaliger Weltkriegsbunker - den Kopten zur Verfügung zu stellen. Und das war am Anfang vielleicht eine außergewöhnliche Idee, aber je länger man darüber nachgedacht hat, desto mehr haben wir eigentlich festgestellt, wie gut das auch inhaltlich passt. Denn die Kopten sind aus Ägypten geflohen vor Terror, vor lebensbedrohlichen Situationen, aus Angst um ihr Leben, und finden jetzt Zuflucht in einem ehemaligen Weltkriegsbunker. Thematisch passt das wie die Faust aufs Auge. Und aus dieser initialen Begegnung ist wirklich eine enge Kooperation und Freundschaft geworden. Wir haben viele Veranstaltungen, die wir mit den Menschen vor Ort der Gemeinde machen, und viel vor auch in Zukunft und möchten eben auch die Leute vor Ort aktiv einbinden, damit eben ein wirkliches Zusammenleben dort auch zustande kommen kann. Ich glaube, das ist eine sehr positive Sache.
    Besuch des koptischen Papstes hat politische Bedeutung
    Zurheide: Jetzt kommt der Papst und wird auch diese Kirche weihen, also der koptische Papst. Welche Erwartungen haben Sie an den Besuch, zum Schluss die Frage?
    Gerges: Ja, also, zunächst einmal ist es für uns sehr wichtig, dass der Papst die Kirche eben als koptische Kirche auch weiht. Das ist für uns so der Punkt, an dem wir sagen können, jetzt sind wir wirklich in Heerdt, in dem Bunker auch angekommen. Und es wird im Umfeld dieses Papst-Besuches auch zahlreiche Begegnungen mit lokalen Politikern wie dem Oberbürgermeister, es wird aber auch Begegnungen mit dem Landtagspräsidenten, mit dem Ministerpräsidenten geben. Und da werden wir eben auch viele Punkte besprechen, die uns Kopten hier in Deutschland betreffen. In Düsseldorf vor allen Dingen unter anderem auch der Bau des neuen Integrations- und Bürgerzentrums, den wir gemeinsam mit den Katholiken im Herbst planen. Und ich denke, dass das daher auch ein sehr wichtiger politischer Besuch sein wird.
    Zurheide: Danke schön! Das war Christian Gerges, der Sprecher der Kopten in Düsseldorf. Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.